Laut Gesetzentwurf des Bundesarbeitsministeriums wird der gesetzliche Mindestlohn ab Oktober 2022 auf 12 Euro pro Stunde steigen. Damit würden sich die Einkommen von mindestens 6,2 Millionen Menschen spürbar verbessern. Aber auch bei 12 Euro Mindestlohn gibt es wirklich gute Arbeit und guten Lohn nur mit Tarifvertrag. Deshalb muss die Tarifbindung weiter gestärkt werden.
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Jetzt steht es schwarz auf weiß: Laut Gesetzentwurf des Bundesarbeitsministeriums wird der gesetzliche Mindestlohn ab Oktober 2022 auf 12 Euro pro Stunde steigen. Damit wird eine seit langem bestehende Forderung der Gewerkschaften umgesetzt.
Die Anhebung ist ein wichtiger Schritt zur Erreichung des eigentlichen Ziels des Mindestlohns, nämlich der Vermeidung von Armutsgefährdung. „Arm trotz Arbeit“ ist derzeit kein Randphänomen, sondern für viele Menschen bittere Realität. Es geht auch darum, die geleistete Arbeit von Millionen Beschäftigten mehr wertzuschätzen. Der aktuelle Mindestlohn reicht nicht für ein auskömmliches Einkommen, das Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht und vor Altersarmut schützt. Auch deshalb ist die einmalige Anhebung des Mindestlohnes durch den Gesetzgeber auf 12 Euro notwendig und überfällig.
Die geplante Erhöhung führt zu spürbaren Einkommenszuwächsen bei mindestens 6,2 Millionen Menschen, darunter insbesondere Teilzeitbeschäftigte und Minijobber*innen (siehe Grafik), aber auch 1,4 Millionen Vollzeitbeschäftigte. Für einen vollzeitbeschäftigten Single ohne Kinder bedeutet die Erhöhung ein Einkommensplus von netto etwa 220 Euro monatlich im Vergleich zu heute. Die Erhöhung des Mindestlohnes sorgt auch für Mehreinzahlungen in den Sozialversicherungen. Nicht zuletzt bewirkt die Erhöhung eine spürbare Stärkung der gesamtwirtschaftlichen Kaufkraft. Unter den Beschäftigten, die von der Anhebung profitieren werden, sind Frauen und Ostdeutsche besonders stark vertreten.
DGB/ Quelle: Statistisches Bundesamt, Sonderauswertung auf Grundlage der Verdiensterhebung.
Den Arbeitgebern sind diese Menschen offenbar egal. Sie würden gerne weiter Niedriglöhne zahlen und denken sich laufend neue fadenscheinige Argumente gegen die Mindestlohnerhöhung aus. Die Behauptung, der Mindestlohn koste Arbeitsplätze, ist allerdings bereits seit Einführung der Lohnuntergrenze im Jahr 2015 widerlegt – die Beschäftigung stieg damals vielmehr deutlich an. Die jetzige Erhöhung kostet laut Studien ebenfalls keine Jobs. Und auch die Panikmache, 12 Euro Mindestlohn würden die Inflation antreiben, beruht nicht auf Tatsachen, wie ökonomische Untersuchungen zeigen.
Weil die alten Parolen nicht mehr ziehen, versuchen die Arbeitgeber es jetzt juristisch. Die Anhebung des Mindestlohns durch den Gesetzgeber sei ein verfassungswidriger Eingriff in die Tarifautonomie, nur die Mindestlohnkommission dürfe über dessen Höhe bestimmen, sagen sie. Von einem Eingriff in die Tarifautonomie kann hier wohl kaum die Rede sein. Viele Arbeitgeber haben bis zum heutigen Tag nicht erkannt, dass ihre Flucht aus der Tarifbindung überhaupt erst den Anlass dafür geliefert hat, die Notbremse per Gesetz zu ziehen. Es sind die Arbeitgeberverbände, die Mitglieder ohne Tarifbindung zulassen und so das Tarifsystem schwächen.
Wenn die Arbeitgeber es ernst meinen, sollten sie gemeinsam mit den Gewerkschaften die Tarifbindung stärken. Denn: Auch bei 12 Euro Mindestlohn gibt es wirklich gute Arbeit und guten Lohn nur mit Tarifvertrag. Der Mindestlohn ist auch in Höhe von 12 Euro nur die letzte Haltelinie vor sittenwidrigen Löhnen. Wenn die Arbeitgeber jetzt wirklich dagegen klagen wollen, wirkt es wie die Verzweiflungstat eines schlechten Verlierers.
DGB/hqrloveq/123rf.com
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