Um der Inflation entgegenzuwirken, will die EZB den Leitzins erhöhen. Das ist riskant und könnte zu enormen Kollateralschäden führen. Denn Schuld an der steigenden Inflation sind nicht die Zinsen, sondern die gestiegenen Energie- und Nahrungsmittelpreise sowie Lieferengpässe. Es braucht jetzt kluge Entlastungsmaßnahmen und Markteingriffe, die den Preisauftrieb eindämmen.
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Am 16. März 2023 trifft sich der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB), um erneut über die weitere Zinspolitik zu entscheiden. Es sieht alles danach aus, dass die EZB den Leitzins ein weiteres Mal erhöht. Sie begründet ihren Kurs damit, dass die Inflationsraten im Euroraum immer noch viel zu hoch sind. Im Monatsbericht vom Februar bezeichnet es die Bundesbank als absehbar, dass es zu so genannten „Zweitrundeneffekten“, also einem weiteren Hochschaukeln der Inflation, kommt. Eine entschlossene Reaktion der EZB sei daher dringend notwendig.
Bei genauerer Betrachtung zeigt sich: Die Argumente der Notenbanker überzeugen nicht und die Kollateralschäden einer weiteren geldpolitischen Straffung könnten enorm sein.
Erstens: Höhere Zinsen zielen darauf, eine hohe Nachfrage (Investitionen & Konsum) zu drosseln und dadurch die Wirtschaftsentwicklung zu bremsen. Die Preise sollen dann rezessionsbedingt fallen. Die Gründe für die aktuell hohen Teuerungsraten sind aber nicht auf der Nachfrage-, sondern auf der Angebotsseite zu finden. Es sind – anders als etwa in den USA – vor allem die hohen Energiepreise und Lieferengpässe sowie erhöhte Nahrungsmittelpreise, die für die hohen Inflationsraten verantwortlich sind.
Zweitens: Der Höhepunkt der Teuerungswelle ist bereits überschritten. Die Inflation im Euroraum betrug im Oktober 10,6 Prozent, ist seitdem kontinuierlich gesunken und lag im Februar bei 8,5 Prozent. Auch die Kerninflationsrate (die Energie- und Lebensmittelpreise nicht direkt berücksichtigt) hat zwar im Moment noch eine leicht ansteigende Tendenz, wird diesem Trend aber zeitverzögert folgen, wenn niedrigere Energiepreise weitergegeben werden und die Produktions- und Transportkosten sinken. Die EZB wäre also gut beraten, die Wirkung ihrer bisherigen Politik abzuwarten.
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Drittens: Es gibt keine Anzeichen für Zweitrundeneffekte oder gar eine Preis-Lohn-Spirale. Die jüngsten Tarifabschlüsse der Gewerkschaften in Deutschland sind zwar gut ausgefallen, gefährden aber nicht das Preisstabilitätsziel der EZB. Auch in der Eurozone lassen sich keine Zweitrundeneffekte ausmachen. Das zeigen Daten, die die EZB selbst erhebt. Auf der anderen Seite verdichten sich zwar Hinweise, dass hohe Profite der Unternehmen ein Inflationstreiber sind. Auch darauf sind hohe Zinsen (und ein Abwürgen des Wachstums) aber die falsche Antwort.
Die Begründung der EZB für weitere Zinserhöhungen ist also mehr als fragwürdig. Gleichzeitig unterschätzt sie die schädlichen Folgen des hohen Leitzinses auf die Wirtschaft. Der Zinshammer hat die Bauwirtschaft bereits getroffen. Die Wohnungsbaukredite brechen ein (siehe Grafik). Auch in anderen Sektoren verlangsamt sich die Kreditvergabe. Hinzu kommt, dass die Refinanzierungskosten für öffentliche Haushalte steigen. Ein darauffolgender Rückgang der Investitionstätigkeit hätte kurz- und langfristig negative Auswirkungen für Wirtschaft, Klima und Arbeitsplätze.
Klar ist, dass die Politik der Inflation nicht tatenlos zusehen kann. Überzogene Zinserhöhungen helfen aber nicht. Gefragt sind kluge Entlastungsmaßnahmen und Markteingriffe, die den Preisauftrieb eindämmen.
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