Während Prominente einen sofortigen Importstopp von russischem Öl, Gas und Kohle fordern, weisen Ökonomen auf die drohende Versorgungsunsicherheit hin. Zudem ist strittig, ob Russland zur Finanzierung seines Militärs überhaupt auf Devisen angewiesen sein dürfte. Auf die kaum noch zu kalkulierende Energiepreisentwicklung müssen schnelle Maßnahmen folgen, die vor allem Geringverdiener*innen entlasten.
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Als mögliche Reaktion auf den russischen Krieg gegen die Ukraine wird mittlerweile ein Energie-Embargo diskutiert: In einem offenen Brief forderten vergangene Woche zahlreiche Prominente – vom Rennfahrer Sebastian Vettel, über Klimaaktivistin Luisa Neubauer bis hin zum CDU-Politiker Ruprecht Polenz – einen Importstopp für Öl, Gas und Kohle aus Russland. Die Unterzeichnenden befürchten, durch Devisen-Zahlungen für Energieimporte das russische Militär und den Krieg zu finanzieren.
Dass der Krieg durch ein Energieembargo allerdings tatsächlich zu einem schnellen Ende kommt, ist zweifelhaft. Ökonomen verweisen z. B. darauf, dass Russland zur Finanzierung seines Militärs nicht auf Devisen angewiesen sein dürfte. Soldaten werden in Rubel bezahlt – der unbegrenzt vorhandenen einheimischen Währung. Auch große Teile der technischen Ausrüstung stammten aus russischer Produktion oder stünden ohnehin schon auf Sanktionslisten und dürften nicht nach Russland verkauft werden, so die Argumentation. Umgekehrt würde ein sofortiger Importstopp für Energieträger aus Russland die Versorgungssicherheit in Deutschland gefährden und mit großer Sicherheit die Falschen treffen.
Bereits vor dem Ukraine-Krieg waren die Energiepreise stark gestiegen (siehe Grafik). Seit dem russischen Angriff haben sie eine kaum kalkulierbare Entwicklung eingeschlagen. Deutschland bezieht 55 Prozent aller Erdgasimporte aus Russland, bei der Steinkohle sind es 50 Prozent, bei Öl 35 Prozent. Diese Mengen sind nicht kurzfristig zu ersetzen. Ein Importstopp wäre für viele Unternehmen nicht zu stemmen, würde mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Wirtschaftskrise führen – inklusive sozialer Probleme, Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit.
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Hinzu kommen die direkten sozialen Folgen von Energieknappheit und -preissteigerungen. Wenn Ex-Bundespräsident Joachim Gauck betont, wir könnten „auch mal frieren für die Freiheit“, ist das bestimmt als Geste der Solidarität gemeint. Tatsächlich dürften Top-Verdiener wie er aber die letzten sein, die aufgrund von Energieknappheit frieren müssen. Tatsächlich trifft es Geringverdienende am härtesten und oft existenziell, wenn Strom- und Gaspreise steigen. In diesen Gruppen gehört Energiearmut heute schon zur Realität. Im Jahr 2020 wurden 4,2 Millionen Mal Stromsperren angedroht, weil Haushalte in Zahlungsverzug gerieten. In 230.000 Fällen wurde die Stromversorgung tatsächlich eingestellt. Sperrungen bei der Gasversorgung gab es in 24.000 Fällen.
Die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen muss schnell durch zusätzliche Investitionen in Energieeffizienz und erneuerbare Energien reduziert werden. Kurzfristig handelt die Bundesregierung aber richtig, wenn sie einen kurzfristigen Energie-Importstopp abwenden will und Maßnahmen zur Abfederung der Energiepreis-Belastung einführt. Weitere müssen allerdings folgen: Kartellrecht und Regulierung müssen verhindern, dass die Situation für ungerechtfertigte weitere Preissteigerungen missbraucht wird, um Extragewinne zu generieren. Eine befristete Mehrwertsteuersenkung bei Gas und Strom, höhere Heizkostenzuschüsse und ein Mobilitätsgeld, das alle Beschäftigten unabhängig von Einkommen und genutztem Verkehrsmittel erhalten, können kleinere und mittlere Einkommen gezielt entlasten.
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