Eine neue OECD-Studie bestätigt wieder einmal, dass starke Tarifsysteme zu mehr Wachstum und Wohlstand führen. In den vergangenen zwei Jahrzehnten ist die Tarifbindung aber stetig gesunken. Im internationalen Vergleich liegt die Tarifabdeckung der Beschäftigten in Deutschland nur noch im Mittelfeld. Dieser Abwärtstrend muss endlich gestoppt werden.
DGB/Kathrin Biegner
Im Grunde ist es ganz einfach: Arbeitgeber und Gewerkschaften verhandeln in Tarifverhandlungen über Entgelte, Arbeitszeiten, Urlaub und Sonderzahlungen. Am Ende der Verhandlungen steht ein Ergebnis, mit dem beide Seiten leben können - bei allen unterschiedlichen Interessen. Die Sozialpartnerschaft samt Tarifautonomie ist grundgesetzlich geschützt und eine gesellschaftspolitische Errungenschaft. Sie ist wesentliches Merkmal unseres Wirtschaftssystems.
Eine neue Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) bestätigt abermals, dass starke Tarifsysteme auch ökonomisch sinnvoll sind. Die Autoren zeigen, dass Volkswirtschaften mit koordinierten, zentralen Tarifsystemen, d. h. dort, wo vor allem Flächentarifverträge vorherrschen und somit tarifvertragliche Regelungen bindend für ganze Branchen und Regionen sind, effizienter als kleinteiligere Systeme mit vor allem Haustarifverträgen sind. Zu den koordinierten Systemen gehören z. B. Belgien, Finnland und auch Deutschland. Zu eher dezentralen Tarifsystemen zählen Polen, Großbritannien und die USA.
Die untersuchten Länder mit koordinierten Tarifsystemen hatten im Schnitt eine niedrigere Erwerbslosenquote im Vergleich zu Ländern mit vorwiegend dezentralen Systemen. Zudem weisen koordinierte Systeme geringere Einkommensungleichheiten auf. Länder mit stark deregulierten, „flexiblen“ Systemen schnitten hinsichtlich der Beschäftigung am schlechtesten ab.
DGB/ Quelle: OECD
Das zeigt: Das oftmals von Arbeitgebern und neoliberalen Wissenschaftlern und Politikern propagierte Ziel möglichst „flexibler“ Arbeitsmärkte ist ein Job-Killer und mitnichten der Schlüssel für mehr Beschäftigung. Das Prinzip „hire and fire“, das vor allem in den angloamerikanischen Volkswirtschaften hochgehalten wird, erweist sich als arbeitsmarktpolitische Sackgasse. Nur mit anständigen tarifvertraglichen Regelungen lassen sich Jobs sichern und das erworbene, oftmals spezifische Know-how der Mitarbeiter*innen auch langfristig im Unternehmen binden. Dies wiederum schafft Wachstum und Wohlstand gleichermaßen.
Es nutzt also allen, wenn möglichst viele Betriebe und Beschäftigte unter starke (Flächen-)Tarifverträge fallen. In den vergangenen zwei Jahrzehnten ist die Tarifbindung aber leider stetig gesunken. Im internationalen Vergleich liegt die Tarifabdeckung der Beschäftigten in Deutschland allenfalls im Mittelfeld (siehe Abbildung). Diesen Trend gilt es umzukehren - auch mit Hilfe der Politik. Die Vorschläge für eine stärkere Tarifbindung hierzulande liegen auf dem Tisch. Neben den im Koalitionsvertrag bereits verankerten Bundestariftreueregelungen, den Nach- und Fortgeltungen von Tarifverträgen bei Betriebsübergängen brauchen wir auch eine Ausweitung und Erneuerung der Allgemeinverbindlicherklärung (AVE), die Abschaffung von sogenannten „Ohne-Tarif“-Mitgliedschaften in Arbeitgeberverbänden und ein verbessertes Zugangsrecht von Gewerkschaften. Mehr Infos unter: www.dgb.de/-/0oD
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Gewerkschaftliche Wirtschaftspolitik stellt sich der Frage, wie der gesellschaftliche Reichtum gesteigert und zum Wohl der arbeitenden Bevölkerung verteilt werden kann. Uns geht es darum, den Zuwachs an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit für höhere Löhne, weniger Arbeitszeit und mehr Sozialstaat zu nutzen. Dies erfordert ein produktives Zusammenwirken von Staat und Markt. Märkte können schöpferisch sein und den gesellschaftlichen Wohlstand mehren. Märkte sind jedoch sozial und ökologisch blind. Die jüngste Finanz- und Wirtschaftskrise hat das destruktive Potenzial unregulierter Märkte eindrucksvoll offengelegt. Deswegen bedarf es staatlicher Regulierung, Verteilungs-, Wirtschafts-, Sozial-, sowie Industrie- und Dienstleistungspolitik, um die Marktkräfte zu zivilisieren. Die Abteilung Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik entwickelt und popularisiert wirtschaftspolitische Strategien und Instrumente, die diesen Zielen dienen.
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