Bundesfinanzminister Christian Lindner gibt den radikalen Sparkommissar. Er will die Ausgaben im sozialen Bereich kürzen, doch für Unternehmen und Top-Verdienende soll es weitere Steuersenkungen geben. Damit gefährdet er die Zukunft Deutschlands und Europas.
Colourbox.de
Bundesfinanzminister Lindner wird nicht müde, seine finanzpolitische Kompromisslosigkeit zur Schau zu stellen. Zu Beginn der Legislaturperiode schien bei ihm noch die Erkenntnis gewachsen zu sein, dass Modernisierung, Dekarbonisierung und soziale Gerechtigkeit auch mehr Staatsausgaben notwendig machen – Zukunftsinvestitionen, die sich später rentieren. Doch diese Einsicht scheint jetzt verflogen: Lindner agiert als radikaler Sparkommissar und gefährdet so die Zukunft Deutschlands und Europas. Er darf sich nicht durchsetzen.
Auf europäischer Ebene will Lindner die Mitgliedsstaaten zu unrealistisch schnellem Schuldenabbau verpflichten. Erinnerungen an die Eurokrise werden wach, in der auch das deutsche Finanzministerium dazu beitrug, Griechenland und andere Staaten in ein Sparkorsett zu zwingen. Nachfrage und Konjunktur wurden seinerzeit dadurch abgewürgt, Arbeitsplätze vernichtet und die Krise zementiert. Die EU-Kommission, die die europäischen Schuldenregeln mittlerweile eigentlich zu Recht flexibler gestalten will, hat diese Woche leider auf Lindners aktuellen Druck reagiert und ihren eigenen Reform-Entwurf verschlechtert.
In Deutschland versucht Lindner, die anderen Mitglieder der Bundesregierung zu Kürzungen bei ihren Plänen für den Bundeshaushalt 2024 zu treiben. Laut Presseberichten soll ein Sparpaket in zweistelliger Milliardenhöhe geplant sein. Lindner selbst beziffert die Haushaltslücke auf 14 bis 18 Milliarden Euro. Zu einem großen Teil ist diese Lücke allerdings darauf zurückzuführen, dass der Finanzminister noch vor Kurzem auch Top-Verdienende steuerlich bessergestellt hat: Das Inflationsausgleichgesetz beispielsweise entlastet Spitzenverdiener nominal weit mehr als Normal- und Geringverdiener. Dabei kostet die Anhebung des Grundfreibetrages (von der untere Einkommen relativ mehr profitieren) den Fiskus nur rund 4,8 Milliarden Euro, während die Verschiebung des Einkommensteuertarifs (die höhere Einkommen stärker entlastet) 8,5 Milliarden Euro kostet. Gerade für Familien mit Kindern fallen die Entlastungen ungerecht aus: Während das Kindergeld auf 250 Euro angehoben wurde, ergibt sich für Top-Verdienende durch den Kinderfreibetrag ab 2024 eine maximale Entlastung von rund 368 Euro pro Kind und Monat. Die jährlichen Kosten für diese neue Entlastung von höheren Einkommen steigen somit von rund 2,6 auf mindestens 3,6 Milliarden Euro.
Die Wirtschaftsweisen kritisieren die Entlastungsmaßnahmen deshalb als „nicht zielgenau“ und empfehlen zur Entlastung des Staatshaushalts eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes oder die Einführung eines Energie-Solidaritätszuschlags für Besserverdienende. Der DGB fordert u. a. die Wiedererhebung der Vermögensteuer und den Verzicht auf Sonderregeln für reiche Unternehmenserben bei der Erbschaftsteuer. Doch Lindner ignoriert das. Er will sogar noch weitere Steuersenkungen für Unternehmen und Top-Verdienende durchsetzen. Die Staatsausgaben sollen dafür gekürzt werden – wohl auch im sozialen Bereich. Es geht also um Umverteilung von Arm zu Reich.
DGB/Quelle: Ameco Datenbank
Klar ist: Deutschland braucht Investitionen in Infrastruktur, Transformation und Sozialstaat. Finanzieren lässt sich das auch ohne Steuererhöhungen, wenn die Schuldenbremse ausgesetzt oder durch kreditfinanzierte Sondervermögen umgangen wird. Der deutsche Staat kann sich zusätzliche Kredite problemlos leisten, seine Schulden sind im internationalen Vergleich gering.
DGB/hqrloveq/123rf.com
Gewerkschaftliche Wirtschaftspolitik stellt sich der Frage, wie der gesellschaftliche Reichtum gesteigert und zum Wohl der arbeitenden Bevölkerung verteilt werden kann. Uns geht es darum, den Zuwachs an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit für höhere Löhne, weniger Arbeitszeit und mehr Sozialstaat zu nutzen. Dies erfordert ein produktives Zusammenwirken von Staat und Markt. Märkte können schöpferisch sein und den gesellschaftlichen Wohlstand mehren. Märkte sind jedoch sozial und ökologisch blind. Die jüngste Finanz- und Wirtschaftskrise hat das destruktive Potenzial unregulierter Märkte eindrucksvoll offengelegt. Deswegen bedarf es staatlicher Regulierung, Verteilungs-, Wirtschafts-, Sozial-, sowie Industrie- und Dienstleistungspolitik, um die Marktkräfte zu zivilisieren. Die Abteilung Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik entwickelt und popularisiert wirtschaftspolitische Strategien und Instrumente, die diesen Zielen dienen.
Deutscher Gewerkschaftsbund
Bundesvorstand
Abteilung Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik
Keithstraße 1
10787 Berlin
E-Mail: info.wirtschaftspolitik.bvv@dgb.de
Carina Ortmann
Telefon +49 30 24060-727
Manuela Schmidt
Telefon +49 30 24060-107
Florian Moritz
Abteilungsleiter Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik
Dr. Dominika Biegoń
Europäische und internationale Wirtschaftspolitik
Nora Rohde
OECD/TUAC
Öffentliche Daseinsvorsorge
Handelspolitik
Raoul Didier
Steuerpolitik
Dr. Robby Riedel
Tarifpolitische Koordinierung und Mindestlohn
Dr. Inga Jensen
Wohnungs- und Verbraucher*innenpolitik