Nach der Bundestagswahl geht es auch um die wirtschaftliche Zukunft Europas. Denn die EU-Kommission will nun eine Weiterentwicklung der europäischen Schuldenregeln vorantreiben. Derzeit sind sie ausgesetzt und werden voraussichtlich 2023 wieder in Kraft treten. Bis dahin müssen sie grundlegend reformiert sein. Nur so können Wohlstand und Stabilität in Europa langfristig gesichert werden.
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Nach der Bundestagswahl schaut ganz Europa gespannt nach Deutschland. Denn die Position der nächsten Regierung ist auch entscheidend für die Zukunft der europäischen Wirtschaftspolitik. Die EU-Kommission hat angekündigt, nach der Wahl in Deutschland einen Fahrplan für die Weiterentwicklung der im „Stabilitäts- und Wachstumspakt“ festgeschriebenen europäischen Schuldenregeln vorzulegen. Eine Reform ist dringend nötig.
Denn um auf die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie angemessen zu antworten, mussten viele Mitgliedstaaten Kredite aufnehmen. Träten die EU-Schuldenregeln unverändert in Kraft, wären die Mitgliedsstaaten verpflichtet, ihren Schuldenstand im Verhältnis zur Wirtschaftsleitung innerhalb von 20 Jahren auf 60 Prozent zu reduzieren. Das heißt: Viele Länder wären gezwungen, Milliarden in die Schuldentilgung zu stecken. Diese Gelder fehlen dann an anderer Stelle. Eine brutale Sparpolitik wäre die Folge, die wirtschaftliche Erholung der gesamten Eurozone stünde in Gefahr.
Dabei leiden die EU-Länder heute schon an einer chronischen Investitionsschwäche. Der EU-Aufbaufonds, der im letzten Jahr im Rekordtempo geschaffen wurde, vermag es lediglich, drastische Einschnitte in der Investitionstätigkeit abzufedern. Trotz des EU-Aufbaufonds werden wir in der EU nicht das Investitionsniveau von vor der Finanzkrise erreichen (siehe Grafik). Doch die Bedarfe sind angesichts des digitalen Wandels und der sozial-ökologischen Transformation in den letzten Jahren noch deutlich gestiegen.
Für eine Trendwende muss daher zusätzlich der mitgliedstaatliche Spielraum der Kreditaufnahme zur Finanzierung öffentlicher Investitionen erweitert werden - etwa indem eine „goldene Regel“ eingeführt wird, die öffentliche Investitionen von den EU-Schuldenregeln ausnimmt. Das von DGB und BDI geforderte Investitionsprogramm, das eine Erhöhung öffentlicher Investitionen um 45 Milliarden Euro jährlich für die nächsten 10 Jahre vorsieht, ist mit den derzeitigen EU-Schuldenregeln kaum zu machen. Das heißt: Nicht nur die hoch verschuldeten Mitgliedstaaten sind dringend angewiesen auf eine Reform der EU-Schuldenregeln. Auch die deutsche Wirtschaft würde direkt von einer goldenen Regel für öffentliche Investitionen profitieren.
Quelle: EU-Kommission; eigene Darstellung
Die Grünen haben sich im Bundestags-Wahlkampf explizit dafür ausgesprochen, das EU-Regelwerk so zu reformieren, dass Zukunftsinvestitionen in allen Mitgliedstaaten erhöht werden. Die SPD hat immer betont, den EU-Stabilitätspakt zu einem „Nachhaltigkeitspakt“ weiterzuentwickeln. Egal, wie die künftige Bundesregierung am Ende zusammengesetzt ist – sie sollte erkennen, welche Gefahren ein übertriebenes Sparkorsett für Wohlstand und Stabilität in Europa mit sich bringt.
Die EU-Schuldenregeln sind derzeit ausgesetzt und werden voraussichtlich 2023 wieder in Kraft treten. Aus Sicht des DGB müssen die Regeln bis dahin grundlegend reformiert sein. Die Eckpunkte einer Reform liegen seit langem auf dem Tisch: Die EU-Schuldenregeln müssen flexibler und investitionsfreundlicher werden. Zudem müssen die Parlamente (sowohl die nationalen als auch das Europäische Parlament) und die organisierte Zivilgesellschaft bei europäischen Vorgaben zur nationalen Haushaltspolitik besser eingebunden werden.
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