Studien belegen, dass ein erheblicher Anteil der Inflation auf den Profit-Hunger der Unternehmen zurück geht. Die erneute Erhöhung des Leitzinses durch die Europäische Zentralbank ist allerdings keine geeignete Maßnahme gegen diese „Gierflation“. Um entgegenzuwirken, braucht es neben klugen Antworten der Politik gute Tarifabschlüsse der Gewerkschaften.
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Diese Woche hat die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins ein weiteres Mal um 0,25 Prozentpunkte erhöht. Diese Entscheidung ist nicht nachvollziehbar. Offizielle Daten zeigen, dass die Teuerungsraten den Zenit überschritten haben und zurück gehen. Die weltweiten Energiepreise sind wieder auf Vorkrisenniveau. Auch der Verweis auf den steigenden Lohndruck ist nicht überzeugend. Die Lohn-Preis-Spirale ist und bleibt ein Mythos: Die jüngsten Lohnabschlüsse fallen zwar gut aus. Anders als manche behaupten werden die Löhne aber die Preise nicht weitertreiben.
Ein erheblicher Teil der Inflation geht allerdings auf den Profit-Hunger der Unternehmen zurück, die ihre Preise stärker anheben als es zur Kompensation höherer Kosten notwendig wäre. In den USA wird deshalb schon seit längerem von „greedflation“ – also von „Gierflation“ – gesprochen. Dass eine solche auch in Europa grassiert, belegen mittlerweile mehrere Studien. Auch die EZB selbst hat erkannt, dass die Ausweitung der Gewinnspannen die Inflation in den letzten Monaten angeheizt hat. Eine aktuelle Veröffentlichung der Zentralbank zeigt, dass der auf eine Produktionseinheit anfallende Gewinn (unit profits/Stückgewinn) deutlich stärker gestiegen ist als die Lohnstückkosten und stellt fest: „Die Wirkung der Gewinne auf den inländischen Preisdruck sind außergewöhnlich hoch.“ Diese Entwicklung gilt insbesondere für die Landwirtschaft, aber auch für andere Branchen (siehe Grafik).
Aktuell steht die Lebensmittelbranche im Fokus. Die Verbraucherpreise für Nahrungsmittel sind in den letzten Monaten am deutlichsten gestiegen, während der Preisdruck bei anderen Gütern, wie z. B. Energie, deutlich nachgelassen hat. In Deutschland lag die Preissteigerung für Lebensmittel im März mit 22,9 Prozent über dem Durchschnittswert der Eurozone (17,9 Prozent). Neuere Auswertungen zeigen, dass diese Entwicklung nicht durch die Betriebskosten der Lebensmittelproduzenten und -händler erklärt werden kann. Hier gibt es zunehmend Anzeichen für Gewinnmitnahmen sowie unzureichenden Wettbewerb.
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Eine Gewinninflation ist für die Zentralbank heikel, denn sie hat keine Mittel, um gezielt dagegen vorzugehen. Ihre Zinserhöhungen sind kontraproduktiv. Damit wird die Konjunktur nur weiter ausgebremst und letztlich Arbeitslosigkeit gefördert.
Ein effektiver Weg, um ausufernden Profiten und den fatalen Verteilungswirkungen der Gierflation entgegenzuwirken, sind gute Tarifabschlüsse der Gewerkschaften. Die besten Instrumente, um Markt-Gegenmacht herzustellen, sind Tarifverträge und Mitbestimmung. Auch deshalb ist die Politik gefordert, Tarifbindung und Mitbestimmungsrechte in der aktuellen Situation zu stärken.
Aber auch darüber hinaus muss die Politik geeignete Antworten auf die profitgetriebene Inflation finden: Wir brauchen beispielsweise ein starkes Kartellrecht. Das Bundeswirtschaftsministerium hat hier richtigerweise Schritte unternommen, um es der Bundeskartellbehörde zu ermöglichen, Marktmacht von Unternehmen durch verschiedene Maßnahmen zu reduzieren.
Eine wirksame Übergewinnsteuer könnte Unternehmen in allen Branchen – auch in der Lebensmittelbranche – den Anreiz nehmen, Preise über die Kostensteigerung hinaus zu erhöhen. Zum Teil machen auch Preisdeckel Sinn – der DGB fordert etwa einen befristeten Mietenstopp. Schließlich zeigt die Entwicklung, wie nötig eine angemessene Besteuerung von Unternehmensgewinnen und der daraus resultierenden Vermögen ist.
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Gewerkschaftliche Wirtschaftspolitik stellt sich der Frage, wie der gesellschaftliche Reichtum gesteigert und zum Wohl der arbeitenden Bevölkerung verteilt werden kann. Uns geht es darum, den Zuwachs an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit für höhere Löhne, weniger Arbeitszeit und mehr Sozialstaat zu nutzen. Dies erfordert ein produktives Zusammenwirken von Staat und Markt. Märkte können schöpferisch sein und den gesellschaftlichen Wohlstand mehren. Märkte sind jedoch sozial und ökologisch blind. Die jüngste Finanz- und Wirtschaftskrise hat das destruktive Potenzial unregulierter Märkte eindrucksvoll offengelegt. Deswegen bedarf es staatlicher Regulierung, Verteilungs-, Wirtschafts-, Sozial-, sowie Industrie- und Dienstleistungspolitik, um die Marktkräfte zu zivilisieren. Die Abteilung Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik entwickelt und popularisiert wirtschaftspolitische Strategien und Instrumente, die diesen Zielen dienen.
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