Bundesfinanzminister Lindner hat Deutschland als "Hochsteuerland" bezeichnet, um Forderungen nach Steuererhöhungen für jene, die es sich leisten können, zu entkräften. Doch was ist dran an dem Argument? Fakt ist, dass die erwarteten Steuereinnahmen dieses Jahr um 30 Milliarden Euro geringer ausfallen werden als im Herbst 2022 erwartet wurde.
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Der für seine seriöse Arbeit bekannte „Arbeitskreis Steuerschätzung“ hat am 11. Mai 2023 seine Berechnung der zu erwartenden Steuereinnahmen abgeschlossen. Vorgestellt und interpretiert wurden die Ergebnisse dann vom Bundesfinanzminister. Da die Fachleute nur tatsächlich beschlossene Steuergesetze bei ihrer Arbeit berücksichtigen, war es keine Überraschung, dass die für dieses Jahr erwarteten Einnahmen um rund 30 Milliarden Euro geringer ausfallen als zuletzt im Herbst ermittelt. Denn zum Jahresende wurden wichtige Steuergesetze beschlossen, deren Entlastungsvolumen von etwa 34 Milliarden Euro zwar schon vorher weitgehend feststand, die aber nicht in die Steuerschätzung vom Herbst eingeflossen waren. Weil jetzt erwartet wird, dass die Konjunktur etwas besser verläuft, fällt die Lücke um vier Milliarden Euro geringer aus.
Finanzminister Lindner betonte, die Steuerentlastungen machten deutlich, dass sich der Staat nicht an der Inflation „bereichert“. (Wobei er nicht darauf einging, dass auch die öffentliche Hand höhere Preise zahlen muss.) Weitere Erwartungen dämpfend, erklärte er aber auch für die Bundesregierung, dass nicht alles, was sie sich vorgenommen habe, finanziert werden könne.
Mit den Steuerentlastungsgesetzen wurden höhere Einkommen vergleichsweise stärker entlastet (vergleiche klartext 15/2023) und mit dem Zukunftsfinanzierungsgesetz sind Steuergeschenke von weiteren 1,3 Milliarden Euro für Kapitalmarktakteure auf den Weg gebracht. Nun aber werden mit der Aussage des Bundesfinanzministers weitere im Koalitionsvertrag verabredete Projekte in Zweifel gezogen. Dadurch droht, dass beispielsweise die Einführung einer Kindergrundsicherung oder die sogar vom Bundesfinanzhof erzwungene Beseitigung der Zweifachbesteuerung von Renten nicht ausreichend finanziert werden
Bei diesen Vorhaben handelt es sich nicht um Investitionen, sondern um Mindereinnahmen, die von laufenden Ausgaben herrühren. Deshalb sollten diese auch mit laufenden Steuereinnahmen und nicht mit Krediten finanziert werden.
DGB/Quelle: Taxation Trends in the European Union, 2022 edition, European Commission Luxembourg 2022
Doch Steuererhöhungen für jene, die es sich leisten können, lehnt der Bundesfinanzminister ab. Da Deutschland bereits ein „Hochsteuerland“ sei, käme das im Interesse der deutschen Wettbewerbsfähigkeit nicht in Frage, so der Finanzminister. Frankreich habe beispielsweise jüngst die Steuern für Unternehmen sogar weiter abgesenkt. Doch was ist dran an diesem Argument?
Richtig ist, dass Deutschland in Europas Rangliste der nominalen Steuersätze für körperschaftsteuerpflichtige Unternehmen Platz zwei belegt - hinter der Steueroase Malta! Unter Berücksichtigung einer Vielzahl von Ausnahmen, die den tatsächlich besteuerten Gewinn aber erheblich schmälern, ergibt sich mit den von der EU-Kommission ermittelten impliziten Steuersätzen für die acht EU-Staaten mit dem höchsten Bruttoinlandsprodukt ein völlig anderes Bild: Deutschland liegt im Mittelfeld (siehe Grafik). Angesichts der 2020 vergleichsweise hohen Besteuerung in Frankreich ist nachvollziehbar, dass dort der gesetzliche Steuersatz um 2,6 Prozentpunkte gesenkt wurde. Kein Grund für Deutschland, sich daran zu orientieren!
DGB/hqrloveq/123rf.com
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