In Brüssel wird gerade an einer Reform der europäischen Fiskalregeln gearbeitet. Demnach soll mehr über fiskalpolitische Entscheidungen mit den Mitgliedsstaaten diskutiert werden. Bisher werden diese anhand von mechanischen Regelanwendungen getroffen. Der DGB begrüßt dieses Vorhaben und fordert zusätzlich auch die Mechanismen der Wirtschaftspolitischen Steuerung auf den Prüfstand zu stellen.
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In Brüssel wird gerade auf Hochtouren an einer Reform der europäischen Fiskalregeln gearbeitet. Die EU-Kommission hat Anfang November 2022 erste Vorschläge vorgelegt. Nun liegt es am Rat, Kompromisslinien auszuloten, auf deren Basis noch im Frühjahr konkrete Gesetzesvorschläge vorgelegt werden könnten.
Die deutsche Bundesregierung nimmt in der aktuellen politischen Gemengelage eine Schlüsselposition ein, daher verfolgt die europäische Öffentlichkeit aufmerksam die Positionierung des deutschen Finanzministers. Dieser hat sich in den letzten Wochen zum ersten Mal öffentlich zum Kommissionsvorschlag geäußert.
Im Kern schlägt die EU-Kommission vor, dass politische Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten und der EU-Kommission ins Zentrum der wirtschaftspolitischen Koordinierung rücken. Wie schnell Staatsschulden abgebaut werden müssen, soll nicht mehr mechanisch auf Basis makroökonomischer Eckwerte ermittelt, sondern in einem Aushandlungsprozess mit den Mitgliedstaaten vereinbart werden.
Diese Neuerung in der politischen Steuerung scheint dem Bundesfinanzministerium ein Dorn im Auge zu sein, denn der Finanzminister unterstreicht, dass „Fiskalregeln […] keine Verhandlungssache [sind]“.
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Aus gewerkschaftlicher Perspektive ist es gut, wenn die zukünftige europäische Fiskalpolitik stärker von politischen Aushandlungsprozessen geprägt ist und weniger von einer mechanischen Regelanwendung. Die Fiskalpolitik ist keine technische Angelegenheit, die man an Experten delegieren kann, die den Mitgliedstaaten die richtige Haushaltpolitik verordnen. Der Fokus auf politische Verhandlungen kann eine Chance darstellen. Richtig umgesetzt, könnte so mit den Mitgliedstaaten ein behutsamer Schuldenabbau vereinbart werden, der mehr Spielraum lässt zur Finanzierung öffentlicher Investitionen und Wachstumsimpulse setzt. Damit könnten die Kommissionsvorschläge ein Türöffner sein für eine flexiblere Anwendung der Regeln.
Mehr politische Verhandlungen sind also der richtige Weg, diese müssen aber demokratisch eingebettet werden. Der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert deshalb in einer aktuellen Stellungnahme, dass bei den anstehenden Reformen auch die politischen Mechanismen der Wirtschaftspolitischen Steuerung (Economic Governance) in der EU auf den Prüfstand kommen.
Denn der Konsolidierungsdruck auf die mitgliedstaatlichen Haushalte wird in den nächsten Jahren voraussichtlich deutlich steigen. Auch drohen makroökonomische Ungleichgewichte, denn die Inflationsraten in der Eurozone entwickeln sich stark auseinander (siehe Grafik).
Um zu verhindern, dass die EU-Kommission einigen Mitgliedstaaten – ähnlich wie während der Eurozonenkrise – eine rigide Sparpolitik verordnet, ist eine stärkere Demokratisierung der EU Economic Governance zentral. Konkret fordert der DGB etwa eine Stärkung der Parlamente auf nationaler und europäischer Ebene sowie eine effektive Einbindung der Sozialpartner in der zukünftigen wirtschaftspolitischen Koordinierung.
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Gewerkschaftliche Wirtschaftspolitik stellt sich der Frage, wie der gesellschaftliche Reichtum gesteigert und zum Wohl der arbeitenden Bevölkerung verteilt werden kann. Uns geht es darum, den Zuwachs an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit für höhere Löhne, weniger Arbeitszeit und mehr Sozialstaat zu nutzen. Dies erfordert ein produktives Zusammenwirken von Staat und Markt. Märkte können schöpferisch sein und den gesellschaftlichen Wohlstand mehren. Märkte sind jedoch sozial und ökologisch blind. Die jüngste Finanz- und Wirtschaftskrise hat das destruktive Potenzial unregulierter Märkte eindrucksvoll offengelegt. Deswegen bedarf es staatlicher Regulierung, Verteilungs-, Wirtschafts-, Sozial-, sowie Industrie- und Dienstleistungspolitik, um die Marktkräfte zu zivilisieren. Die Abteilung Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik entwickelt und popularisiert wirtschaftspolitische Strategien und Instrumente, die diesen Zielen dienen.
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