In zahlreichen Branchen starten in diesen Tagen Tarifverhandlungen. Für die Beschäftigten geht es dabei um viel. Denn angesichts der hohen Inflation haben sie immer weniger Geld im Portemonnaie. Gewerkschaften kämpfen deshalb für höhere Löhne, doch aufgrund der Tarifflucht erreichen sie immer weniger Beschäftigte. Es braucht deshalb eine Stärkung der Tarifbindung und bessere Regeln für öffentliche Auftragsvergabe.
DGB/Kathrin Biegner
In zahlreichen Branchen starten dieser Tage Tarifauseinandersetzungen. Es geht dabei um viel: Die Beschäftigten leiden unter Reallohnverlusten angesichts der hohen Inflation. Manche fürchten, die Gas- und Stromrechnung nicht mehr zahlen zu können. Entlastungsmaßnahmen der Politik greifen nicht überall ausreichend und meist nur verzögert. Gleichzeitig ist eine Stabilisierung der Kaufkraft notwendig, um die wichtige Binnennachfrage gegen eine Rezession zu stärken (siehe Grafik).
Deshalb kämpfen die Gewerkschaften um höhere Löhne: In der Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie fordert die IG Metall für ihre Mitglieder ein Plus von acht Prozent. Die IG BCE verhandelt im Oktober weiter für die 580.000 Tarifbeschäftigten der Chemiebranche. Verdi bereitet sich auf die Verhandlungen für die rund 2,3 Millionen Beschäftigten im Öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen vor.
Doch die Gewerkschaften erreichen längst nicht mehr alle Beschäftigten mit ihrem Kampf für höhere Löhne und gegen die Folgen der Inflation. Ein Grund: Der Anteil der Betriebe, die sich an Haus- oder Branchentarifverträge binden, ist zwischen 1999 und 2021 von 43 Prozent auf 25 Prozent gesunken. Mittlerweile profitieren nur noch 52 Prozent der Beschäftigten in Deutschland von einem Tarifvertrag. Mit der Tarifbindung bröckelt auch eine tragende Säule unseres Sozial- und Wirtschaftssystems. Schließlich werden Löhne und ein Großteil der Regeln zu Arbeitsbedingungen nicht vom Gesetzgeber festgelegt, sondern von Gewerkschaften und Arbeitgebern ausgehandelt.
DGB/Quelle: Destatis, VGR, BIP 2021
Vor diesem Hintergrund sind auch die Parlamente in Bund und Ländern gut beraten, die Tarifbindung in Deutschland aktiv zu stärken. Immer mehr Politiker*innen erkennen das. Auf dem CDU-Parteitag am vergangenen Wochenende wurde die Entscheidung über einen Antrag zur Stärkung der Tarifbindung nach Intervention von BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter und Parteichef Merz zwar vertagt. Aber über die Inhalte – eine Erleichterung der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen, die exklusive Vergabe öffentlicher Aufträge an tarifgebundene Betriebe und andere sinnvolle Maßnahmen – will die CDU immerhin im kommenden Jahr weiter diskutieren.
Viele Bundesländer haben bereits Regelungen, die vorsehen, dass nur Unternehmen von öffentlichen Aufträgen profitieren, die bereit sind, sich an Tarifverträge zu halten. Am fortschrittlichsten sind die Regeln im Saarland. Die Bundesregierung will nachziehen: Im Koalitionsvertrag kündigt die Ampelkoalition an, Vergaben des Bundes an die Einhaltung eines repräsentativen Tarifvertrages der jeweiligen Branche zu binden.
Diese Regeln müssen jetzt schnell kommen. Für den DGB ist dabei wichtig: Der gesamte Tarifvertrag muss anzuwenden sein, auch Regeln zu Arbeitszeit, Urlaub und Sonderzahlungen beispielsweise. Subunternehmen müssen sich auch an die Regeln halten. Und es braucht effektive Kontrollen und Sanktionen.
Das Tariftreuegesetz auf Bundesebene ist auch Thema auf der „Vergabetagung 2022“, die DGB und Friedrich-Ebert-Stiftung am 20.09.22 in Berlin veranstalten. Infos: www.fes.de/themenportal-bildung-arbeit-digitalisierung/artikelseite/vergabetagung-2022
DGB/hqrloveq/123rf.com
Gewerkschaftliche Wirtschaftspolitik stellt sich der Frage, wie der gesellschaftliche Reichtum gesteigert und zum Wohl der arbeitenden Bevölkerung verteilt werden kann. Uns geht es darum, den Zuwachs an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit für höhere Löhne, weniger Arbeitszeit und mehr Sozialstaat zu nutzen. Dies erfordert ein produktives Zusammenwirken von Staat und Markt. Märkte können schöpferisch sein und den gesellschaftlichen Wohlstand mehren. Märkte sind jedoch sozial und ökologisch blind. Die jüngste Finanz- und Wirtschaftskrise hat das destruktive Potenzial unregulierter Märkte eindrucksvoll offengelegt. Deswegen bedarf es staatlicher Regulierung, Verteilungs-, Wirtschafts-, Sozial-, sowie Industrie- und Dienstleistungspolitik, um die Marktkräfte zu zivilisieren. Die Abteilung Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik entwickelt und popularisiert wirtschaftspolitische Strategien und Instrumente, die diesen Zielen dienen.
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