Der DGB fordert von der nächsten Bundesregierung die Tarifbindung in Deutschland zu stärken. Nur so können mehr Menschen von guten Löhnen und Arbeitsbedingungen profitieren. Sie ist auch gesamtwirtschaftlich geboten, weil zunehmende Tarifflucht und Lohndumping die Allgemeinheit jedes Jahr Milliarden kosten.
DGB/Kathrin Biegner
In ihren Sondierungsgesprächen für eine künftige Regierungskoalition haben sich SPD, Grüne und FDP zum Ziel gesetzt, die Tarifbindung in Deutschland zu stärken. Zu Recht! Denn für immer weniger Beschäftigte und Betriebe in Deutschland gilt ein Tarifvertrag. Laut WSI-Tarifarchiv waren im Jahr 2020 nur noch 53 Prozent der Beschäftigten im Westen und 43 Prozent im Osten tarifgebunden.
Eine höhere Tarifbindung ist nicht nur wichtig, weil dann mehr Menschen von guten Löhnen und Arbeitsbedingungen profitieren. Sie ist auch gesamtwirtschaftlich geboten, weil zunehmende Tarifflucht und Lohndumping die Allgemeinheit jedes Jahr Milliarden kosten, wie der aktuelle DGB-Tariffluchtatlas zeigt (siehe Abbildung). Konkret entgehen den Sozialversicherungen jährlich rund 30 Milliarden Euro an Beiträgen. Bund, Länder und Kommunen nehmen ca. 18 Milliarden Euro weniger Einkommensteuer ein. Das ist viel Geld, das für den sozialen Ausgleich und für dringend notwendige Investitionen in eine moderne Infrastruktur, in Klimaschutz, in Bildung und für mehr Personal fehlt.
Die Beschäftigten hätten insgesamt rund 42 Milliarden Euro mehr pro Jahr im Portemonnaie, wenn es eine flächendeckende Tarifbindung geben würde. Für jeden nichttarifgebundenen Beschäftigten bedeutet dies ein jährliches Minus von rund 2.300 Euro netto, für Beschäftigte in Ostdeutschland 3.800 Euro und in Westdeutschland 1.900 Euro. Eine höhere Kaufkraft der Beschäftigten durch mehr Tarifbindung würde also auch den privaten Konsum und die Konjunktur beleben.
DGB/ Quelle: Eigene Berechnungen auf Grundlage Sonderauswertung Statistisches Bundesamt, VSE 2018
Für den DGB ist deshalb klar: Die Tarifbindung zu stärken, gehört zu den dringenden Aufgaben der nächsten Bundesregierung. Hierfür gibt es verschiedene Maßnahmen, die sie ergreifen muss. Beispielsweise fordert der DGB ein Bundestariftreuegesetz, damit öffentliche Aufträge und Fördergelder nur noch an Unternehmen gehen, die Tarifverträge anwenden. Der Staat vergibt Aufträge im Gesamtwert von schätzungsweise bis zu 500 Milliarden Euro jährlich. Es kann nicht sein, dass diese Steuergelder an Unternehmen gehen, die letztendlich Lohndrückerei und schlechte Arbeitsbedingungen befördern.
Zudem müssen die Mitgliedschaften in Arbeitgeberverbänden „ohne Tarifbindung“ (OT) zurückgedrängt werden, z. B. im Hinblick auf Blitzwechsel von Arbeitgebern in eine OT-Mitgliedschaft. Im Falle einer Auf- oder Abspaltung eines Unternehmens sollten Tarifverträge per Gesetz fortgelten müssen, bis die Sozialpartner eine neue tarifliche Regelung vereinbart haben.
Außerdem muss es leichter werden, Tarifverträge für alle Unternehmen einer Branche allgemeinverbindlich zu erklären. Heute werden weit weniger Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt, als früher: Gab es im Jahr 2000 noch 113 erfolgreiche Anträge auf Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) nach dem Tarifvertragsgesetz, waren es im Jahr 2018 nur noch 26. Ein Grund ist die Veto-Möglichkeit der Arbeitgeber im paritätisch mit Arbeitgebern und Gewerkschaften besetzten Tarifausschuss. Deshalb sollten, anstatt des bislang nötigen Mehrheitsbeschlusses, AVE-Anträge künftig nur noch mit Mehrheit abgelehnt werden können.
DGB/hqrloveq/123rf.com
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