Die EU-Kommission hat letzte Woche ihren Reformvorschlag zu den Fiskalregeln vorgelegt. Die Mitgliedsstaaten sollen demnach ihre hohen Schuldenstände wachstumsfreundlich reduzieren dürfen. Durch die Reformen würde sich der Einfluss der EU-Kommission auf die Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten deutlich ausweiten. Deshalb braucht es eine umfassende Demokratisierung der EU-Wirtschaftspolitik.
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Nach langem Tauziehen hat die EU-Kommission letzte Woche ihren Vorschlag zur Reform der Fiskalregeln vorgelegt. Die Regeln begrenzen die Möglichkeit der öffentlichen Hand, Kredite aufzunehmen und setzen Leitplanken für die Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten.
Aus gewerkschaftlicher Perspektive muss sich der Vorschlag vor allem an zwei Fragen messen lassen. Erstens: Kann das vorgeschlagene Regelwerk verhindern, dass wir nach der Corona- und der Energiekrise eine neue, von der EU auferlegte Sparpolitik erleben werden? Und zweitens: Bieten die neuen Regeln genügend Spielraum für eine Ausweitung von öffentlichen Investitionen, die für die anstehende sozial-ökologische Transformation so dringend gebraucht werden?
Die Antworten auf diese beiden Fragen fallen gemischt aus – auch weil viele wichtige Details noch unklar sind.
Der Text der Kommission deutet an, dass die EU-Institutionen ihre Lektion aus der Eurozonenkrise gelernt haben. Die Mitgliedstaaten sollen die Möglichkeit bekommen, die hohen Schuldenstände, die sie in den letzten Jahren aufgrund multipler Krisen angehäuft haben (siehe Grafik), wachstumsfreundlich zu reduzieren. Rigide Schuldenabbaupfade werden verworfen.
Vielmehr soll der Schuldenabbau bilateral zwischen EU-Kommission und Mitgliedstaaten verhandelt und in Vierjahresplänen festgelegt werden. Maßgebend ist hier ein Ausgabenpfad für die Entwicklung der Staatsausgaben, den die EU-Kommission vorgibt. Das ist durchaus eine Verbesserung im Vergleich zum Status quo. Wie viel Spielraum die EU-Kommission den Mitgliedstaaten aber tatsächlich lässt, hängt viel von dem Design dieser Ausgabenregel ab. Hier bleibt die Kommission leider sehr vage.
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Was das Thema öffentliche Investitionen angeht, fehlt der große Durchbruch. Gewerkschaften, Umweltorganisationen und einige Arbeitgeberverbände haben sich im Vorfeld für eine „goldenen Regel“ stark gemacht, wonach öffentliche Investitionen bei der Berechnung des erlaubten Defizits ausgenommen wären. Diese ist leider nicht Teil des Reformpakets. Eine bevorzugte Behandlung von öffentlichen Investitionen schlägt die EU-Kommission aber trotzdem vor: Mitgliedstaaten, die sich in den Vierjahresplänen zu bestimmten Strukturreformen und wachstumsfreundlichen Investitionen verpflichten, sollen mehr Zeit für den Schuldenabbau bekommen.
Die 2011 mit dem sog. „Sixpack“ eingeführte Verschärfung der Defizitregeln soll zurückgenommen werden. Lediglich das in den EU-Verträgen verankerte Defizitkriterium von drei Prozent der Wirtschaftsleistung bleibt erhalten. Ob hier tatsächlich mehr Spielraum für Investitionen entsteht, hängt von vielen Details ab. Welche Arten von Investitionen werden bevorzugt behandelt? Wie genau wirken sich Investitionsvorhaben auf den Schuldenabbaupfad der Mitgliedstaaten aus?
Klar ist: Wird das Reformpaket umgesetzt, wird sich der Einflussbereich der EU-Kommission auf die Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten deutlich ausweiten. Die Mitgliedstaaten verpflichten sich zu Strukturreformen, Investitionsvorhaben und Schuldenabbaupfaden. Setzen sie die Pläne nicht um, drohen Sanktionen. Angesichts dieses Machtzuwachses der EU-Kommission ist es wichtig, dass das Reformpaket durch eine umfassende Demokratisierung der EU-Wirtschaftspolitik flankiert wird.
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