Weniger Steuereinnahmen, weniger Zahlungen in die Sozialkassen, weniger Kaufkraft: „Die grassierende Tarifflucht kostet die Allgemeinheit Milliarden. Dieses Geld fehlt für den sozialen Ausgleich und für dringend notwendige Investitionen in die Infrastruktur und in Bildung, kritisiert DGB-Vorstand Stefan Körzell.
In unserem DGB-Zukunftsdialog fragen wir, was die Menschen in Deutschland bewegt und sammeln eure Impulse. Wie sorgen wir dafür, dass wieder deutlich mehr Menschen unter den Schutz von Tarifverträgen kommen? Diskutiert mit uns auf der Dialogplattform zum DGB-Zukunftsdialog.
Durch Tarifflucht und Lohndumping entgehen den Sozialversicherungen in Deutschland jährlich rund 30 Milliarden Euro an Beiträgen. Bund, Länder und Kommunen nehmen aus demselben Grund circa 18 Milliarden Euro weniger Einkommensteuer ein. Die mangelnde Tarifbindung wirkt sich darüber hinaus unmittelbar auf die Kaufkraft der arbeitenden Bevölkerung aus: Insgesamt rund 42 Milliarden Euro mehr hätten die Beschäftigten pro Jahr im Portemonnaie, wenn es eine flächendeckende Tarifbindung geben würde.
Im Vergleich zur letzten Auswertung für das Jahr 2014 sind die allgemeinen Kosten der Tarifflucht um insgesamt 15 Milliarden gestiegen.
Die Zahlen stammen aus einer Sonderauswertung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Den Berechnungen liegt die letzte Verdienststrukturerhebung (VSE) nach Beschäftigten mit und ohne Tarifbindung des Statistischen Bundesamts zugrunde.
2019 | 2021 | Differenz | |
Mindereinnahmen der Sozialversicherungen | 24,8 Milliarden Euro | 29,8 Milliarden Euro | +5 Milliarden Euro |
Mindereinnahmen Verlust bei der Einkommensteuer für Bund, Land und Kommunen insgesamt | 14,9 Milliarden Euro | 18,1 Milliarden Euro | +3,2 Milliarden Euro |
Kaufkraftgewinn, wenn Beschäftigte tarifgebunden wären | 35,1 Milliarden Euro | 41,6 Milliarden Euro | +6,5 Milliarden Euro |
2019 | 2021 | Differenz | |
Mindereinnahmen der Sozialversicherungen | 10,7 Milliarden Euro | 10,3 Milliarden Euro | -400 Millionen Euro |
Mindereinnahmen Verlust bei der Einkommensteuer für Bund, Land und Kommunen insgesamt | 6,5 Milliarden Euro | 6,2 Milliarden Euro | -300 Millionen Euro |
Kaufkraftgewinn, wenn Beschäftigte tarifgebunden wären | 15,1 Milliarden Euro | 14,5 Milliarden Euro | -600 Millionen Euro |
2019 | 2021 | Differenz | |
Mindereinnahmen der Sozialversicherungen | 14,1 Milliarden Euro | 19,5 Milliarden Euro | +5,4 Milliarden Euro |
Mindereinnahmen Verlust bei der Einkommensteuer für Bund, Land und Kommunen insgesamt | 8,5 Milliarden Euro | 11,9 Milliarden Euro | +3,4 Milliarden Euro |
Kaufkraftgewinn, wenn Beschäftigte tarifgebunden wären | 20 Milliarden Euro | 27,2 Milliarden Euro | +7,2 Milliarden Euro |
Tarifflucht und Lohndumping verursachen einen enormen finanziellen Schaden in Deutschland. Wie sieht es in den einzelnen Bundesländern aus? Wir haben nachgerechnet und die Zahlen zusammengestellt. Im Vergleich zur letzten Auswertung für das Jahr 2014 sind die allgemeinen Kosten der Tarifflucht um insgesamt 15 Milliarden gestiegen.
Alle Angaben ohne Gewähr. Stand der Daten: Oktober 2021
Quelle: Eigene Berechnungen DGB auf Basis VSE 2018 Sonderauswertung des Statistischen Bundesamtes
„Die grassierende Tarifflucht kostet die Allgemeinheit Milliarden. Dieses Geld fehlt für den sozialen Ausgleich und für dringend notwendige Investitionen in die Infrastruktur und in Bildung. Die Tarifbindung zu stärken gehört zu den dringenden Aufgaben der nächsten Bundesregierung, die dafür verschiedene Instrumente zügig auf den Weg bringen muss. Wir brauchen ein Bundestariftreuegesetz, damit öffentliche Aufträge und Fördergelder nur noch an tarifgebundene Unternehmen gehen. Bei einem öffentlichen Auftragsvolumen von schätzungsweise bis zu 500 Milliarden Euro jährlich, wäre eine zwingende Tariftreueregelung ein enormer Anreiz für Unternehmen, sich an Tarifverträge zu binden.
Zudem müssen die Mitgliedschaften in Arbeitgeberverbänden „ohne Tarifbindung“ zurückgedrängt werden. Im Falle einer Aufspaltung oder Abspaltung eines Unternehmens sollten Tarifverträge per Gesetz fortgelten müssen, bis die Sozialpartner eine neue tarifliche Regelung vereinbart haben. Zudem muss es leichter werden, Tarifverträge für alle Unternehmen einer Branche allgemeinverbindlich zu erklären.“
Der Staat darf nicht weiterhin mit Steuergeldern Lohndrückerei alimentieren. Er muss die Vergabe seiner öffentlichen Aufträge endlich an gute Bezahlung, nämlich an Bezahlung nach Tarif knüpfen.“
DGB/Simone M. Neumann
„Der Staat muss die Vergabe seiner öffentlichen Aufträge endlich an gute Bezahlung, nämlich an Bezahlung nach Tarif, knüpfen."
DGB-Vorstand Stefan Körzell
Für immer weniger Beschäftigte und Betriebe gilt in Deutschland ein Tarifvertrag. Im Jahr 2020 waren nur noch 53 Prozent der Beschäftigten im Westen und 43 Prozent im Osten tarifgebunden (WSI-Tarifarchiv). Betrachtet man die Mindereinnahmen für die Sozialversicherungen nach Ost und West sind das für Ostdeutschland (inklusive Berlin) 10,3 Milliarden Euro und für Westdeutschland 19,5 Milliarden Euro. Das entspricht einem Verlust an Einkommensteuereinnahmen für Ostdeutschland in Höhe von 6,2 Milliarden Euro und für Westdeutschland von sogar 11,9 Milliarden Euro. „Angesichts dessen müssen sich die Unternehmen die unbequeme Frage nach ihrer sozialen Verantwortung gefallen lassen, gerade weil wir vor großen Umwälzungen stehen“, betonte Körzell
DGB-Positionspapier für Maßnahmen zur Stärkung der Tarifbindung