Die Regeln zur Begrenzung der Staatsverschuldung sind wegen der Corona-Krise derzeit ausgesetzt. Doch auch nach der Krise kann es nicht so weitergehen wie bisher. Während der Pandemie hat sich die Haushaltslage europaweit erheblich verschlechtert. Es braucht endlich faire Regeln, die die Staaten in Krisenzeiten nicht noch weiter zum Sparen zwingt.
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Noch sind die europäischen Regeln zur Begrenzung der Staatsverschuldung krisenbedingt ausgesetzt. Doch auch nach Corona kann es mit den Schuldenregeln nicht weitergehen wie bisher. Denn mit der Pandemie hat sich die Haushaltslage europaweit erheblich verschlechtert. Die Staatsschulden steigen und liegen in vielen Ländern der Eurozone weit über der normalerweise erlaubten Obergrenze von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) (siehe Grafik/ blaue Linie).
Im Jahr 2011 wurden die Schuldenregeln verschärft. Seitdem sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, Schulden die über das erlaubte Maß von 60 Prozent des BIP hinausgehen jährlich, um ein Zwanzigstel zu reduzieren. Um diese Anforderung zu erfüllen, müssten die Staaten Jahr für Jahr hohe Haushaltsüberschüsse machen. Sie dürften also viel weniger für Investitionen, Personal, Soziales und anderes ausgeben als sie an Steuern einnehmen.
Berechnungen des Europäischen Fiskalausschusses zeigen, dass die notwendigen Haushaltsüberschüsse deutlich höher liegen würden als diejenigen, die in der Vergangenheit selbst unter günstigen Bedingungen erreicht werden konnten. Das Schulden-Abbauziel der EU-Regeln ist also absolut unrealistisch. Kommt es nicht bald zu einer Reform dieser Regeln, würde der geforderte Schuldenabbau eine brutale Sparpolitik erzwingen.
Das hätte nicht nur fatale Folgen für die wirtschaftliche Erholung und würde notwendige Investitionen und Sozialausgaben ausbremsen. Es könnte auch zu einem erneuten Aufflammen der Eurokrise führen.
DGB, Quelle: EU-Kommission / Ameco
Die Kernelemente für eine Reform der EU-Fiskalregeln liegen seit langem auf dem Tisch: Sie müssen flexibler, investitionsfreundlicher und demokratischer werden. Wir brauchen mehr Flexibilität, um auf Konjunkturverläufe angemessener zu reagieren. Deshalb sollte die strikte Begrenzung der Neuverschuldung durch eine kluge Ausgabenregel abgelöst werden, die den Staat in Krisenzeiten nicht auch noch zusätzlich zum Sparen zwingt.
Darüber hinaus könnten schon technische Reformen bei den so genannten Konjunkturbereinigungsverfahren den Mitgliedstaaten in Abschwungzeiten einen größeren fiskalpolitischen Spielraum verschaffen.
Eine „goldene Regel“ könnte die öffentlichen Investitionen von den Schuldenregeln ausnehmen und damit fördern. Eine solche Regel ist nicht nur kurzfristig als Konjunkturstütze nötig, sondern auch langfristig um die notwendigen Investitionen zur Bewältigung der sozial-ökologischen Transformation zu finanzieren.
Schließlich ist eine Demokratisierung der gesamten wirtschaftspolitischen Steuerungsarchitektur vonnöten. Die EU-Wirtschaftspolitik sollte sich von ihrer Fixierung auf das Ziel der Budgetkonsolidierung lösen. Weitere wirtschaftspolitische Zielsetzungen, die ebenfalls in den Verträgen verankert sind, wie etwa Vollbeschäftigung, soziale Konvergenz und ökologische Nachhaltigkeit, sollten stärker in den Fokus treten.
Fiskalpolitische Fragen müssen in einem breiten wirtschaftspolitischen Zusammenhang diskutiert werden. Dafür ist auch eine effektive parlamentarische und sozialpartnerschaftliche Beteiligung bei den Entscheidungsprozessen unerlässlich