Der globale Rechtsindex des Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB) untersucht jährlich die Situation von Arbeitnehmer-Innen in 139 Ländern und dokumentiert die zahlreichen Verletzungen ihrer Rechte. Es wird überprüft, welche Staaten Gewerkschaftsarbeit erschweren oder verhindern, indem beispielsweise das Recht auf freie Meinungsäußerung und auf Versammlungsfreiheit beschränkt wird, oder die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten im Rahmen der international anerkannten Kernarbeitsnormen von den Staaten nicht gewährleistet werden.
Doch was ist mit Regionen, in denen es keine funktionierende Rechtsstaatlichkeit gibt? Wie gestaltet sich hier die Arbeit der Gewerkschaften? Wie steht es um die Arbeitnehmer-Innenrechte?
DGB/Manuel Faba Ortega/123rf.com
In einer solch extremen Situation befinden sich Palästina, beziehungsweise die palästinensischen Autonomiegebietet. Trotz der mehrheitlichen internationalen Anerkennung des palästinensischen Staates. De-facto ist die Westbank von Israel besetzt und hat keine eigene Souveränität oder funktionierende staatliche Institutionen. Mehr als zwei Drittel des Gebiets des Westjordanlands werden von der israelischen Armee kontrolliert und unterliegen Militärrecht (die sogenannte Area C). Lediglich auf etwa 3% der Fläche hat die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) weitestgehend alleinige Kontrolle (Area A), im restlichen Gebiet „teilen“ sich Militär und PA die Zuständigkeiten (Area B), wobei hier der Begriff Kooperation bei der Übermacht des israelischen Militärs wohl unpassend ist. Der Gaza-Streifen ist zwar seit 2005 nicht mehr von Israel besetzt, wird aber weiterhin weitestgehend abgeschottet, zumal dort die islamistische Hamas regiert.
Der IGB hält zur Lage in Palästina in seinem Bericht 2017 fest: „Die andauernde Besatzung Palästinas hat auch zur Folge, dass den dortigen Beschäftigten ihre Rechte verweigert werden und sie keine Möglichkeit haben, menschenwürdige Arbeit zu finden“. Schätzungen zu Folge leben in der Westbank circa 5 Millionen Palästinenser-Innen und etwa 500.000 israelische Siedler-Innen. Während die Siedler-Innen allerdings die israelische Staatsbürgerschaft haben und alle Rechte in Israel und in Area A und B genießen (Area C ist für jüdische Israelis offiziell verboten), sind Palästinenser-Innen der Willkür von Militär und PA ausgesetzt. Das wirkt sich besonders auf die circa 120.000 palästinensischen Menschen aus, die in Israel oder in den Siedlungen arbeiten und täglich die Checkpoints passieren, wo sie Kontrollen und lange Wartezeiten über sich ergehen lassen müssen. Hinzu kommen schätzungsweise 30.000 Palästinenser-Innen, die ohne Arbeitserlaubnis in Israel oder den Siedlungen arbeiten. Auch Palästinenser-Innen, die innerhalb des palästinensischen Gebiets mobil sind, leiden unter Transportschwierigkeiten, da für sie die Straßen, die zu den israelischen Siedlungen außerhalb der Green-Line in der Westbank führen, ohne entsprechende Genehmigung gesperrt sind. Sie müssen große Umwege und massive Wartezeiten in Kauf nehmen.
Das geltende israelische Militärrecht erlaubt den Mitgliedern der Armee außerdem, Personen ohne Erhebung einer Anklage in Administrativhaft festzuhalten. Die Angaben über Anzahl und Dauer der administrativ Inhaftierten schwanken stark zwischen derzeit 500-1000 Menschen. Dabei werden immer wieder Fälle von verhafteten Minderjährigen, Besuchs- und Informationsverboten und jahrelanger Haft ohne Erhebung einer Anklage publik. Laut Statistiken weist praktisch jede palästinensische Familie ein Familienmitglied aus, das schon einmal verhaftet wurde. Dieser Umstand verdeutlicht die Rechtsunsicherheit, in der sich die Palästinenser-Innen befinden und die sich auf das tägliche Leben auswirkt.
Doch auch ohne die extremen politischen Rahmenbedingungen durch die israelische Besatzung gibt es innerhalb der palästinensischen Strukturen viele andere Probleme wie Korruption, Arbeitsbedingungen, Arbeitslosigkeit oder Chancenungleichheit. Die Arbeitslosigkeit in Palästina liegt bei circa 25%, der Lohn ist nur etwa halb so hoch wie in Israel. Daher nehmen viele die Schikanen und Wartezeiten an der Grenze in Kauf. Eine der wichtigsten palästinensischen Gewerkschaften ist die Palestinian General Federation of Trade Unions (PGFTU). Sie ist international anerkannt und seit 2001 auch Vollmitglied des heutigen Internationalen Gewerkschaftsbunds (ITUC, bzw. 2001 ICFTU). Doch ihre Handlungsfähigkeit wird immer wieder in Frage gestellt: Einerseits wird sie von der Palästinenserführung stark unter Druck gesetzt. Versuche, sie mit einer regierungsnäheren Gewerkschaft zu fusionieren, konnten zwar bisher abgewendet werden. Allerdings wurden in diesem Jahr die Konten der PGFTU eingefroren und einem längeren Gerichtsverfahren unterzogen.
Andererseits wird der PGFTU vorgeworfen, Geld aus Beitragseinnahmen nach Israel an den israelischen Gewerkschaftsdachverband Histadrut weiterzuleiten, ohne davon zu profitieren. Außerdem wird sie beschuldigt, israelisches Geld anzunehmen und sich nicht richtig um die Angelegenheiten der Palästinenser-Innen zu kümmern. Insgesamt zeigt sich, dass auch das Ansehen der PGFTU verbesserungsdürftig ist. PGFTU ebenso wie die PA leiden unter dem allgemeinen Vertrauensdefizit der palästinensischen Bevölkerung.
Der Handlungsspielraum der PGFTU ist aber auch auf Grund der fehlenden Rechtsstaatlichkeit stark eingeschränkt. Das gesamte System der PA ist intransparent und von Vetternwirtschaft und Korruption zersetzt. So regiert in der Westbank die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO), obwohl die Hamas bei den letzten Wahlen 2006 die meisten Sitze gewann. Weitere Wahlen werden immer wieder verschoben. Diverse Entwicklungshilfsgelder verschwinden in den bürokratischen Wegen der Behörden.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund und diverse Partnerorganisationen, wie beispielsweise die Friedrich-Ebert-Stiftung oder das Macro-Institut mit Unterstützung der Hans-Böckler-Stiftung, arbeiten in der Region, um ansatzweise einen politischen und gewerkschaftlichen Wandel voranzutreiben[i]. Dazu ist es notwendig, die Gewerkschaften, vor allem die PGFTU, langfristig als verlässliche, vertrauenswürdige Partner zu etablieren, sowohl auf internationaler Ebene also auch für die palästinensische Bevölkerung.
[i] Das Macro-Institut in Tel Aviv ist Partner der Hans-Böckler-Stiftung und des DGB in einem Umsetzungsprojekt zur Verbesserung der Lage palästinensischer ArbeiterInnen in Israel: http://www.macro.org.il/en/publications/?id=130
Wichtige Ansatzpunkte dafür sind die Förderung von jungen Menschen. So bemüht sich die DGB-Jugend seit einiger Zeit darum, den deutsch-israelischen Jugendaustausch mit der Histadrut um die Einbeziehung junger palästinensischer ArbeitnehmerInnen der PGFTU zu erweitern. Insbesondere die Förderung von Frauen, jungen, progressiven Kräften in der Zivilgesellschaft, kann einen nachhaltigen Beitrag leisten. Sie können methodisch geschult und vernetzt werden. Denn wo immer Israel und Palästina in der Vergangenheit Fortschritte machten, waren auch progressive Vereinigungen von Frauen beteiligt. Eine starke Partnerin auf diesem Gebiet kann die Organisation „Women Wage Peace“ sein, die mit ihren zahlreichen Aktionen die Menschen zusammenführt.
von Friederike Haag
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