Deutscher Gewerkschaftsbund

27.09.2017

„Wir wollen die IG BAU weiblicher machen“

einblick Oktober 2017

Im Interview erklärt der IG BAU-Bundesvorsitzende Robert Feiger, wie er das Wahlergebnis einschätzt, was Wirtschaftsprofessoren mit körperlicher Arbeit zu tun haben und was die zentralen Herausforderungen der IG BAU in den kommenden Jahren sind.

Fehlender Wohnraum selbst für Normalverdienende treibt viele Menschen um. Was muss politisch passieren, damit Mieten bezahlbar bleiben?

Im Bereich bezahlbarer Wohnungsbau besteht ein extremer Nachholbedarf. Wir brauchen mindestens 400000 neue Wohnungen pro Jahr. Die Politik hat jahrelang die Augen vor der Verteuerung der Mieten verschlossen. Ich erinnere mich, dass Anfang der 2000er sogar gefordert wurde, das Bundesbauministerium abzuschaffen, weil es angeblich ausreichend Wohnraum gab. Das war eine Geisteshaltung bei Bund, Ländern und Kommunen, und es gibt sie leider bei manchen Akteuren heute noch. Zuerst brauchen wir deshalb ein Umdenken bei allen Verantwortlichen. Ein Dach über dem Kopf ist ein elementares Recht, und die Miete dafür darf die Bewohner nicht arm machen.

Robert Feiger, 54, ist seit 2013 Vorsitzender der IG BAU. Seit 1988 ist er in wechselnden Positionen für die IG BAU tätig. Unter anderem als Geschäftsführer des Bezirksverbands Oberbayern und als Regionalleiter Bayern. Seit 2007 ist Feiger Mitglied im IG BAU-Bundesvorstand, zwischen 2009 und 2013 war er stellvertretender IG BAU-Vorsitzender.

Portrait des IG-BAU-Vorsitzenden Robert Feiger; Hintergrund: Logo der IG BAU

IG BAU/Alexander Paul Englert

Wie soll dieses Ziel im Einzelnen erreicht werden?

Konkret heißt das, die neue Bundesregierung muss die Wohnungsnot in Ballungsräumen zur Chefsache machen. Sie muss die Förderung des sozialen Wohnungsbaus deutlich erhöhen und auch für Beschäftigte mit normalem Einkommen muss die Miete bezahlbar werden. Angesichts auslaufender Sozialbindungen brauchen wir 80000 Sozialwohnungen jährlich. In Ballungsräumen dürfen die Kommunen Baugrundstücke nicht zum Höchstpreis anbieten, sondern es müssen zuerst Investoren zum Zug kommen, die günstige Wohnungen bauen wollen. Und nicht zuletzt muss die steuerliche Abschreibung an die tatsächliche Lebensdauer von Immobilien von 35 Jahren angeglichen werden. Das heißt die steuerliche Abschreibung muss von zwei auf drei Prozent angepasst werden.

In Metropolen wohnen viele ältere Menschen in Wohnung, die ihnen mittlerweile zu groß sind. Familien mit Kindern bräuchten mehr Wohnraum. Wie kann beiden Gruppen geholfen werden?

Klar ist, dass niemand gegen seinen Willen seine Wohnung verlassen muss. Leider muss man diese Selbstverständlichkeit bei diesem Thema immer wieder betonen, weil es manche Gewerkschaftsgegner gibt, die hier die Fakten mutwillig verdrehen. Mit freiwilligen Modellen sehen wir in der Praxis bereits gute Beispiele, bei denen sich die interessierten Bewohner untereinander zum Tausch finden. Menschen, die eine große gegen eine kleinere Wohnung tauschen wollen, werden unter Beteiligung des Vermieters mit Familien vernetzt, die größere Wohnungen suchen. Es ist ermutigend, dass sich solche Projekte immer stärker durchsetzen.

Viele eurer Mitglieder – Bauarbeiter, Dachdecker oder Maler- und Lackierer – schaffen es oft nicht gesund in Rente. Was muss passieren, um sie vor Armut im Alter zu schützen?

Wer körperlich hart arbeitet, schafft es nicht bis 67. Das haben sich Wirtschaftsprofessoren ausgedacht, die selbst erst mit über 30 Jahren anfangen zu arbeiten und noch nie in ihrem Leben mit ihrer Hände Arbeit ihr Geld verdienen mussten. Manche von diesen sogenannten Experten wollen uns sogar einreden, wir müssten bis 70 arbeiten. Wir sagen dazu: Flexibilität ist keine Einbahnstraße. Wer lange gearbeitet hat, muss die Sicherheit auf einen würdigen Übergang in die Rente haben. Deshalb brauchen wir flexible Übergänge für Menschen, die zum Schluss körperlich nicht mehr voll arbeiten können. Je nach ihrem Gesundheitszustand sollen sie kürzer treten können. Die Idee ist, dass Ausfallzeiten durch ein Flexigeld ersetzt werden. So kann garantiert werden, dass niemand mehr trotz einem harten Arbeitsleben am Ende in Hartz IV abrutscht.

Was sind die zentralen politischen Herausforderungen für die IG BAU nach der Bundestagswahl?

Man muss kein Experte sein, um zu erkennen, dass dieses Wahlergebnis aus Sicht der Arbeitnehmer keinen Grund zur Freude bietet. Eben so wenig bietet es aber Grund, gleich alle Hoffnung fahren zu lassen.  Wir müssen uns anstrengen. Das fängt jetzt bei der Begleitung der Koalitionsverhandlungen an, um die Belange der Arbeitnehmer möglichst stark im Koalitionsvertrag zu verankern und geht bis zur Aufgabe dem Rechtsruck in der Gesellschaft die bessere Alternative entgegen zu setzen. Unsere Kernforderung lautet: Faire Arbeit jetzt! Wir werden dafür kämpfen, die allerorten um sich greifende Sozialverschmutzung zurückzu-
drängen. Befristungen, Leiharbeit, zu wenige Mindestlohnkontrollen, ein riesiger Niedriglohnsektor oder Altersarmut – all das passt nicht zu einem der reichsten Industriestaaten der Welt. Jede neue Regierung muss sich im Klaren darüber sein, dass die Umverteilung von unten nach oben nicht nur gestoppt, sondern umgekehrt werden muss. Auch Investitionen – gerade für bezahlbares Wohnen und in die Verkehrsinfrastruktur werden inhaltliche Schwerpunkte sein.

Was ist dein Fazit der Organisationsentwicklung der IG BAU? Wo liegen die Schwerpunkte in den kommenden vier Jahren?

In den vergangenen vier Jahren haben wir gemeinsam mit dem DGB und den anderen Gewerkschaften politisch wie organisationspolitisch wichtige Fortschritte erzielt. Der gesetzliche Mindestlohn, die Rente mit 63 oder die Mietpreisbremse sind Verbesserungen, die von den Gewerkschaften vorangebracht wurden. Es gilt jetzt diese nicht nur zu verteidigen, sondern sie weiter auszubauen. Tarifpolitisch haben wir ebenfalls erfolgreich gearbeitet. Übernachtungs- und Verpflegungspauschalen am Bau etwa waren jahrelang Streitthema. Wir haben uns da endlich durchgesetzt. Auf diesem Weg wollen wir natürlich weiter gehen. Und wir wollen die IG BAU weiblicher machen. Das geht nicht über Nacht. Aber im Bundesvorstand gehen wir auf diesem Gewerkschaftstag voran und schlagen vor, das Gremium verpflichtend zu mindestens einem Drittel mit Frauen zu besetzen.


IG BAU-Gewerkschaftskongress 2017: Kurs nehmen

Vom 9. bis 13. Oktober lädt die IG BAU zum 22. Ordentlichen Gewerkschaftstag nach Berlin ein. Unter dem Motto „Arbeit. Leben. Gerechtigkeit.“ debattieren die 317 Delegierten den künftigen Kurs der Gewerkschaft. Insgesamt stehen 176 Anträge zur Beratung, 35 Anträge befassen sich mit Satzungsfragen.

Zu den Wahlen treten alle Mitglieder des jetzigen IG BAU-Vorstandes wieder an. Neben dem Vorsitzenden Robert Feiger sind das die stellvertretenden Vorsitzenden Dietmar Schäfers und Harald Schaum sowie die Vorstandsmitglieder Ulrike Laux und Carsten Burckhardt. Zudem kandidiert Nicole Simons, stellvertretende IG BAU-Regionalleiterin in der Region Rheinland, als sechstes Vorstandsmitglied. Die Erweiterung des Bundesvorstandes soll auf dem Gewerkschaftstag beschlossen werden, um die Quote von mindestens 30 Prozent weiblicher Vorstandsmitglieder zu erreichen.


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