Deutscher Gewerkschaftsbund

19.09.2018

Neue Reform und alte Probleme – die Rolle der IAO in einer reformierten UN-Entwicklungsstrategie

„Wir brauchen keine weiteren Versprechen. Wir müssen erst einmal die Versprechen einhalten, die wir bereits gegeben haben.“ Diese Worte des am 18. August verstorbenen früheren Generalsekretärs der Vereinten Nationen Kofi Annan sind Ausdruck eines Politikverständnisses, wie wir es bei den Entscheidungsträgern unserer Zeit nur noch selten finden. Kofi Annan war ohne Zweifel ein Macher, Anpacker und Veränderer. Den Friedensnobelpreis erhielt er nicht für hehre Versprechungen, schöne Reden und Absichtsbekundungen, sondern für seinen unmittelbaren Einsatz für die Umsetzung der beiden wichtigsten Versprechen, die die internationale Gemeinschaft seit Ende des Zweiten Weltkriegs gegeben hat: Frieden für die Welt und Wohlstand für alle.

Totale des Konferenzsaals der ILO-Arbeitskonferenz 2018

Auftaktveranstaltung der Internationalen Arbeitskonferenz der ILO am 28. Mai 2018 in Genf DGB

Annans pragmatische Herangehensweise zeigte sich insbesondere bei seinen UN-Reformbemühungen. Er forderte unter anderem einen demokratischeren Sicherheitsrat, einen kleineren und effektiveren Menschenrechtsrat, der die konfliktträchtige Menschenrechtskommission ablösen sollte und neue Kompetenzen für den Generalsekretär. Nach „Jahren kleinteiliger Reformen“ kündigte er eine „strategische Neuausrichtung“ an – aber eben nicht um damit neue Versprechen auszugeben, sondern um zu halten, was die UN schon Jahrzehnte zuvor in Aussicht gestellt hatte. Die Generalversammlung folgte ihm nicht in allen Punkten; der UN-Sicherheitsrat wurde nicht erweitert und auch die Erhöhung der Entwicklungsausgaben fand nicht in dem Ausmaß statt, wie Annan es sich erhofft hatte.

Das neue Motto ‚Delivering as One‘ inspirierte Annans Nachfolger und ist Leitlinie der aktuellen Reformbemühungen. Die Kräfte der verschiedenen UN-Institutionen zu bündeln und die Arbeit an der Zielsetzung der Regierung auszurichten, ist das derzeitige Bemühen des amtierenden Generalsekretär Antonio Guterres. Er möchte damit im Sinne Annans die UN-Entwicklungsarbeit grundlegend reformieren. So anerkennenswert die Bemühungen, so bedenklich sind die Auswirkungen, die sich für die Arbeit der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO), insbesondere die Um- und Durchsetzung internationaler Arbeitsstandards und die Stärkung gewerkschaftlicher Strukturen in allen Teilen der Welt ergeben.

Die IAO ist die einzige dreigliedrige Sonderorganisation der UN, in der neben Regierungen auch Gewerkschaften, u.a. der DGB, und Arbeitgebervertreter an der Entscheidungsfindung beteiligt sind. Ihre Aufgabe besteht im Aushandeln internationaler Arbeitsstandards, der Förderung von sozialem Dialog in Entwicklungs- und Schwellenländern und der Förderung menschenwürdiger Arbeitsbedingungen. Diese Mission erfüllt die IAO seit ihrer Gründung im Jahre 1919. Seit 1998 sind acht der internationalen Arbeitsstandards der IAO als „Kernarbeitsnormen“ sogar Teil der Menschenrechtscharta.

Ein zentraler Aspekt der UN-Reform betrifft die Ausrichtung der Arbeit der gesamten UN an den Regierungsprioritäten und die gleichzeitige Verschlankung der Länderpräsenzen der UN Organisationen. Die Grundlage bildet hierbei der sogenannte Development Assistance Framework, der vom nationalen UN-Koordinator vor Ort in enger Zusammenarbeit mit den Regierungen ausgearbeitet wird. Nur diejenigen UN-Organisationen, die im Zusammenhang mit den nationalen Prioritäten eines Einsatzlandes einen Mehrwert darstellen, sollen anschließend Teil der lokalen UN-Mission werden.

Für die IAO kann dies bedeuten, dass sie in Ländern mit gewerkschaftsfeindlicher Regierung außen vor bleibt und die Repräsentanz genau dort verliert, wo sie am dringendsten gebraucht wird.

Bisher ist die IAO in 168 Ländern in irgendeiner Weise vertreten. Diese Zahl könnte sich zukünftig und in Zeiten zunehmender Repression von Gewerkschaften dramatisch verringern. In diesem Zusammenhang stellt sich zudem die Frage, welches Gewicht die Entscheidungen des Normenkontrollausschusses (CAS) zukünftig besitzen werden, die jedes Jahr bei der Internationalen Arbeitskonferenz zu spezifischen Verstößen von Regierungen gegen Konventionen der IAO erarbeitet werden. Zu befürchten bleibt, dass dieses Kontrollorgan durch die schwindende Rolle der IAO ebenfalls geschwächt wird.

Auch bei der zukünftigen Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit bleiben Fragen offen. So sollen in Zukunft deutlich mehr Gelder in sogenannte „pooled funds“ fließen und nicht mehr projektgebunden in den Händen einzelner Agenturen liegen. Der Vorteil dieser Art des Ressourcenmanagements besteht in der größeren Flexibilität bei der Zuteilung der Mittel sowie in der Möglichkeit, Projekte zu fördern, die von mehreren UN-Organisationen gemeinsam betrieben werden. Die Gefahr ist, dass sich die einzelnen Organisationen mit der schwindenden Finanzierungssicherheit den Projekten zuwenden, die große finanzielle Zuwendungen versprechen und nicht unbedingt denen, die am sinnvollsten sind. Wer wird sicherstellen, dass auch diejenigen Organisationen weiter ausreichend Gelder beziehen können, die in den mit den Regierungen ausgehandelten Plänen nicht als prioritär eingestuft werden? Wie kann garantiert werden, dass sich die Auswahl der Projekte nicht ausschließlich auf gut messbare kurz- und mittelfristige Indikatoren konzentriert, während wichtige Ansätze zur Stärkung von Gewerkschaften, sozialem Dialog und Arbeitsbedingungen, deren Erfolge langfristig und schwer quantifizierbar sind, verloren gehen? Auch das Ziel, vermehrt private Geldgeber in die Finanzierung der UN einzubinden, gestaltet sich höchst problematisch. Verliert die UN damit ihre Unabhängigkeit und letztlich die politische Dimension?

Die IAO ist die älteste Sonderorganisation der UN, sie ist sogar älter als die Vereinten Nationen selbst. Wenn sie im Jahr ihres 100. Geburtstags zusehen müsste, wie andere, weniger politische UN-Unterorganisationen ihre Position einnehmen und die Kernarbeitsnormen aus dem Fokus der entwicklungspolitischen Arbeit der UN rücken würden, wäre dies ein Anlass zu großer Sorge. Ob die IAO durch die neue Finanzierungs- und Präsenzstruktur geschwächt oder gestärkt wird, hängt nicht zuletzt von der konkreten Ausgestaltung der Reform ab und der Rolle, die man der IAO beimisst. Derzeit spricht allerdings wenig für eine positive Wendung.

Carolin Vollmann, DGB-BVV


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