Deutscher Gewerkschaftsbund

06.03.2015
Interview

Nach Jahren des Stillstands endlich frauenpolitische Akzente

Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack im Gespräch

"Wir brauchen faire Aufstiegschancen für Frauen, damit mehr Frauen in Führungsfunktionen ankommen – und zwar auf allen Hierarchie-Ebenen", fordert die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack. Anlässlich des Internationalen Frauentags am 8. März gibt sie außerdem Antworten auf die wichtigsten Fragen rund um Entgeltgleichheit, Lohn-Unterschiede, Arbeitszeiten und Vereinbarkeit.

Frau auf Plakat zwinkert, Mann geht vorüber

DGB/Simone M. Neumann

Frage: Brauchen wir ein Gesetz zur Entgeltgleichheit?

Elke Hannack: Ja. Wir wollen schon lange die Unternehmen verpflichten, ihre Entgeltpraxis zu überprüfen und so zu gestalten, dass weder Männer noch Frauen benachteiligt werden. Dazu gehört ein Entgeltbericht, der mindestens betriebsöffentlich ist und für Lohntransparenz in den Betrieben sorgt. Nur wer weiß, was andere bei gleichem Aufgabenzuschnitt verdienen, kann Vergleiche anstellen und eigene Forderungen formulieren. Dabei können Betriebsrat und Gewerkschaft dann unterstützen.

"Nur wer weiß, was andere bei gleichem Aufgabenzuschnitt verdienen, kann Vergleiche anstellen und eigene Forderungen formulieren. Dabei können Betriebsrat und Gewerkschaft dann unterstützen."

Schon vor fünf Jahren ist der erste Gleichstellungsbericht der Bundesregierung zu dem Ergebnis gekommen: „Die mangelnde Gleichstellung von Frauen im Erwerbsleben manifestiert sich nicht nur in der schwachen Repräsentanz von Frauen in Führungspositionen, sondern auch in den erheblichen Verdienstunterschieden zwischen den Geschlechtern.“

Elke Hannack, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes

Elke Hannack, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes DGB/Simone M. Neumann

Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack im Gespräch über frauen- und gleichstellungspolitische Themen

Seit mehr als zwanzig Jahren ist der Staat gemäß Artikel 3 unseres Grundgesetzes in der Pflicht, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken. Bedarf es weiterer Belege, dass die Bundesregierung handeln muss?

Kann die Offenlegung der Gehälter bewirken, dass die Löhne für Frauen angehoben werden?

Heute gilt: Wo kein Kläger, da kein Richter. Reicht niemand eine Eingruppierungsklage ein, wird die betriebliche Entgeltpraxis keiner rechtlichen Kontrolle unterzogen. Wer vermutet, benachteiligt zu werden, muss das nachweisen. Erst wenn ein Gericht die Benachteiligung feststellt, muss der Arbeitgeber mehr zahlen. Hätten Beschäftigte einen Anspruch auf Information über Höhe, Bestandteile und Gründe der Eingruppierung, könnten sie ihren Forderungen nach gleicher Bezahlung für gleichwertige Arbeit mehr Nachdruck verleihen.

Was muss sich noch ändern – abgesehen vom Entgelt?

Frauendominierte Berufe müssen endlich aufgewertet werden – gesellschaftlich und finanziell. Es kann nicht sein, dass Arbeit mit Maschinen noch immer besser bezahlt wird, als der Dienst am Menschen. Beides stellt hohe Anforderungen an die Qualifikation und ist mit großen Belastungen verbunden.

"Frauendominierte Berufe müssen endlich aufgewertet werden – gesellschaftlich und finanziell."

Außerdem brauchen wir Arbeitszeiten, die sich der aktuellen Lebenssituation anpassen. Vor allem für Frauen heißt es heute: Einmal Teilzeit, immer Teilzeit. Daher brauchen wir einen gesetzlich geregelten Anspruch auf Rückkehr aus Teilzeit, damit Beschäftigte ihre Arbeitszeit nach Bedarf aufstocken können. Dann würden sich auch mehr Männer trauen, in bestimmten Lebensphasen ihre Arbeitszeit zu reduzieren.

Und wir brauchen faire Aufstiegschancen für Frauen, damit mehr Frauen in Führungsfunktionen ankommen - und zwar auf allen Hierarchie-Ebenen, von der Vorarbeiterin, über die Filialleiterin, die Oberärztin und die Geschäftsführerin bis hin zur Aufsichtsrätin. Die Geschlechterquote in Aufsichtsräten ist nur ein erster Schritt.

Wie groß sind die Lohn-Unterschiede?

Seit Jahren stellt das Statistische Bundesamt regelmäßig eine Entgeltlücke von 22 – 23 % fest. So groß ist die Kluft zwischen den durchschnittlichen Bruttostundenlöhnen von Frauen und Männern. Vollzeitbeschäftigte Frauen verdienen brutto monatlich je nach Beruf zwischen 158 und 1.148 Euro weniger als Männer. Auch bei Frauen und Männern im selben Beruf stellen wir erhebliche Verdienstunterschiede fest: Das Einkommen von Ingenieurinnen beispielsweise liegt mit rund 17 % deutlich unter dem ihrer männlichen Kollegen. Und Erzieherinnen verdienen durchschnittlich fast sieben Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen.

Welche Gründe gibt es für diese Lohn-Unterschiede?

Oft genug werden die Frauen selbst für die Entgeltlücke verantwortlich gemacht, weil sie die schlechter bezahlten Berufe bevorzugen, ihre Erwerbtätigkeit zugunsten der Familie unterbrechen und bei Gehaltsverhandlungen zurückhaltender auftreten. Viele Frauen entsprechen schlicht den von traditionellen Geschlechterrollen geprägten gesellschaftlichen Erwartungen, wenn sie sich zum Beispiel für Berufe im Gesundheitswesen oder im Einzelhandel entscheiden und ihre Erwerbstätigkeit zugunsten der Familienarbeit unterbrechen. Und Paare folgen finanziellen Anreizen, die der Staat setzt, wie Ehegattensplitting und Mini-Jobs: Sie entscheiden sich für Familienkonstellationen, in denen der Mann als Ernährer die finanzielle Verantwortung für die Familie übernimmt und die Frau lediglich als "Zuverdienerin" beruflich aktiv ist. Daraus ergeben sich strukturelle Benachteiligungen, die wir beseitigen müssen - am besten durch eine konsequente Politik, die auf die gleiche wirtschaftliche Unabhängigkeit beider Geschlechter abzielt.

Was halten Sie von den Plänen von Familienministerin Schwesig?

Nach Jahren des Stillstands treibt Ministerin Schwesig nicht nur die Vereinbarkeit von Beruf und Familie voran, sie setzt auch frauenpolitische Akzente. Und das ist höchste Zeit. Zahlreiche Gesetzesvorhaben sind bereits umgesetzt, viele werden angeschoben. Darunter sind viele Projekte, die Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern Herzensanliegen sind – allen voran der Mindestlohn. Gerade Frauen, die besonders häufig in prekären Beschäftigungsverhältnissen und zu Niedriglöhnen arbeiten, werden davon profitieren. Auch der Mindestlohn wird einen Beitrag leisten zur Entgeltgleichheit.


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