Deutscher Gewerkschaftsbund

27.04.2012
Standpunkte zur Hochschule der Zukunft

Tölle: Die Studierenden gehen vor - nicht der Wettbewerb

Das Leitbild "Demokratische und Soziale Hochschule“ in der Diskussion

Eine demokratische Hochschule muss in erster Linie gewährleisten, dass die Studierenden im Vordergrund stehen. Dafür braucht es eine unabhängige Wissenschaft, die sich auch in Lehre und Forschung widerspiegelt.

Von Hartmut Tölle, Vorsitzender des DGB-Bezirks Niedersachsen – Bremen – Sachsen-Anhalt

Wie andere Bildungsbereiche auch, sind Universitäten und Hochschulen einem starken Reformdruck ausgesetzt. Aber kaum ein anderer Bereich wurde in den vergangenen Jahren so grundlegend umgebaut wie die akademische Bildung. Einfallstor für einen Privatisierungsdruck der Hochschulen, die nach wirtschaftlichen Regeln autonom haushalten und agieren, war und ist die dauerhafte staatliche Unterfinanzierung des Hochschulbereichs. Die Kürzungen von öffentlichen Mitteln haben dazu geführt, dass Universitäten häufig keine andere Lösung sehen, als sich nach neuen Finanzierungsmöglichkeiten umzuschauen. Die Politik hat diese Entwicklung dahingehend gefördert, dass durch die Reform vieler Landeshochschulgesetze die Wege frei waren, neue Finanzquellen anzuzapfen.

Studierende gehen vor

Es ist wichtig und richtig, dass sich der DGB mit dem ideologischen Leitbild der „deregulierten“ oder „unternehmerischen“ Hochschule kritisch auseinandersetzt und Alternativen aufzeigt. Denn dieses Leitbild beinhaltet insbesondere die Vorstellung einer wirtschaftlichen Autonomie öffentlicher Hochschulen. Dadurch steht „Wettbewerb“ in der Hochschulpraxis im Vordergrund. Doch eine demokratische Hochschule muss in erster Linie gewährleisten, dass die Studierenden im Vordergrund stehen. Sie muss den Studierenden ermöglichen sich weiterzuentwickeln, neue Dinge zu lernen und sich zu selbstbestimmten Menschen zu entwickeln. Das kann nur durch eine unabhängige Wissenschaft, die sich auch in Lehre und Forschung widerspiegelt, gewährleistet werden. Das heißt nicht, dass Unterstützung von und Zusammenarbeit mit der Wirtschaft generell abgelehnt werden muss. Aus gewerkschaftlicher Sicht ist es sogar wichtig, dass Studierende nicht im luftleeren Raum studieren, sondern auch während des Studiums bereits Kontakte zur betrieblichen Welt knüpfen. Doch bei der universitär-wirtschaftlichen Kooperation muss immer die Freiheit von Lehre und Forschung gewährleistet sein.

Staatliche Hochschul- und Studienfinanzierung ausbauen

Die schleichende Umgestaltung der Universitäten und Hochschulen hat seit Ende der 1990er Jahre bundesweit stark an Geschwindigkeit und Ausmaß zugenommen. Im Jahr 1999 erklärten die europäischen Bildungsminister in Bologna, dass sie die Hürden zwischen den nationalen Hochschulsystemen abschaffen wollen, um mehr grenzüberschreitende Mobilität von Studierenden und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu erreichen. Im Rahmen des Bologna-Prozesses wurden nach anglo-amerikanischem Vorbild die Studienabschlüsse Bachelor und Master eingeführt. Der Bachelorabschluss zielt vor allem darauf, möglichst viele Studierende unmittelbar für den europäischen Arbeitsmarkt zu qualifizieren. Der auf dem Bachelor aufbauende Master steht hingegen nur zwei Gruppen offen: den Absolventinnen und Absolventen mit besonders guten Noten und den Berufstätigen, die eine teure Weiterbildung wahrnehmen wollen und privat finanzieren können. So soll der Bologna-Prozess den so genannten „Akademiker-Output“ bei gleich bleibendem oder sinkendem finanziellen Input erhöhen. Die Zahl der Akademikerinnen und Akademiker soll bei geringeren Kosten für die öffentliche Hand erhöht werden. Dies geschieht, indem für die Masse der Bildungsabschlüsse weniger Mindestanforderungen gestellt werden (Bachelor) und nur für Studierende mit besonders guten Noten oder ausreichenden finanziellen Möglichkeiten ein weiterführendes wissenschaftliches Studium ermöglicht wird (Master). Die Gebührenpflicht verstärkt die bestehenden Ungleichheiten im Bildungssystem zusätzlich. Studiengebühren sind unsozial, da sie ein Studium von der finanziellen Leistungsfähigkeit des Einzelnen abhängig machen. Aus dem neoliberalen Umbau der Hochschulen ergeben sich deswegen aus gewerkschaftlicher Sicht zentrale Forderungen. Es muss Aufgabe des Staates sein, gute Forschung und Lehre zu gewährleisten. Die staatliche Hochschul- und Studienfinanzierung muss ausgebaut werden, um u.a. auch die Qualität von Forschung und Lehre zu gewährleisten. Die öffentliche Finanzierung von Hochschulen muss gesichert sein - Hochschulen und Forschung müssen in gemeinsamer Verantwortung von Bund und Ländern gestaltet werden.

Systematischer Dialog an der Schnittstelle von Wissenschaft und Arbeitsweltbesonders wichtig

Zudem bedarf es einer guten Zusammenarbeit zwischen Hochschulen sowie nicht-staatlichen und privaten Akteuren, um die notwendige Praxisorientierung von Studium und Lehre und Berufsperspektiven von Studierenden zu fördern. Diese Zusammenarbeit wird derzeit von Drittelmitteln für Forschungsaufgaben und Stiftungsprofessuren bestimmt. Die Durchlässigkeit zwischen akademischer und beruflicher Bildung sowie der Arbeitswelt muss jedoch in erster Linie von der Hochschule selbst gewährleistet werden. Im Zusammenhang von gesellschaftlichem Diskurs und gesellschaftlicher Verantwortung der Wissenschaften halte ich die Organisation eines systematischen und praxisbezogenen Dialogs an der Schnittstelle von Wissenschaft und Arbeitswelt für besonders wichtig. Vor dem Hintergrund der positiven Erfahrungen mit den bestehenden Kooperationsstellen Hochschulen und Gewerkschaften, ist eine Weiterentwicklung dieses Instruments und eine flächendeckende und staatlich finanzierte Einrichtung von Kooperationsstellen (dringend) erforderlich.


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