Deutscher Gewerkschaftsbund

18.02.2011
DGB-Vorstand Dietmar Hexel

Europa-GmbH droht Mitbestimmung zu gefährden

Deutsche Unternehmen nutzen zunehmend ausländische Rechtsformen, um sich der in Deutschland gültigen Arbeitnehmer-Mitbestimmung zu entziehen. Mit der geplanten Europäischen Privatgesellschaft droht diese Abwanderung weiter erleichtert zu werden.

Zunehmend nutzen deutsche Unternehmen ausländische Rechtsformen, um sich der in Deutschland gültigen Arbeitnehmer-Mitbestimmung zu entziehen. Das zeigt eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung. Mit der von der EU geplanten Europäischen Privatgesellschaft (EPG) droht diese Abwanderung weiter erleichtert zu werden. "Ich möchte nicht, dass die EPG ein Steuerparmodell kalt kalkulierender Unternehmer wird oder gar ein Vehikel zur Flucht vor der Mitbestimmung", sagte Dietmar Hexel dem Handelblatt.

Arbeitnehmer-Mitbestimmung als Retter in der Not

"Die Krisenbewältigung in Deutschland hat gezeigt, dass das 'Deutsche Jobwunder' ohne Mitbestimmung nicht möglich gewesen wäre", ist sich Hexel sicher, der im geschäftsführenden DGB-Bundesvorstand den Bereich Mitbestimmung betreut. Betriebsräte, Gewerkschaften und Arbeitnehmer haben in der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise wesentlich dazu beigetragen, dass viele deutsche Unternehmen schon seit letztem Jahr wieder hohe Gewinne einfahren. Mit Arbeitszeitkonten und Bereitschaft zur Kurzarbeit zeigten sich die Arbeitnehmer kooperativ, als die Nachfrage nach den Produkten ihrer Unternehmen einbrach. Die deutsche Arbeitnehmer-Mitbestimmung war der Retter in der Not und ist "ein fester Bestandteil der sozialen Marktwirtschaft", betont Hexel.

Mitbestimmung in Gefahr: Unternehmen fliehen vor Mitarbeiterbeteiligung

In Deutschland müssen Unternehmen ab 500 Beschäftigen ihre Arbeitnehmer zu einem Drittel an den Aufsichtsgremien beteiligen; ab 2000 Beschäftigten ist gesetzlich sogar die Hälfte der Sitze für Arbeitnehmervertreter reserviert. Dieser Mitbestimmungskompromiss hat sich zwar wirtschaftlich und sozial ausgezahlt - trotzdem scheint er deutschen Unternehmen zunehmend ein Dorn im Auge zu sein. Das verdeutlicht die Studie "Mitbestimmungsrelevante Unternehmen mit ausländischen/kombiniert ausländischen Rechtsformen" der Hans-Böckler-Stiftung. Seit 2006 hat sich die Zahl der sogenannten Scheinauslandsgesellschaften mit ausländischen Rechtsformen von 17 auf 34 erhöht. Die Forscher untersuchten hierbei Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten.

H&M Deutschland: Auf die Forderung nach Mitarbeiter-Beteiligung folgt der Umzug ins Ausland

Mit Air Berlin, der deutschen H&M-Tochter und der Drogeriekette Müller Ltd. & Co. KG. befinden sich bekannte Namen darunter. Dass neben niedrigeren Steuern auch die Arbeitnehmer-Mitbestimmung ein Motiv für den Wechsel zu einer englischen oder niederländischen Rechtsform ist, weisen die Autoren der Studie nach. Ein prominentes Beispiel ist H&M Deutschland. Als Reaktion auf die Forderung der Belegschaft nach der gesetzlich vorgeschriebenen Mitbestimmung im Aufsichtsrat meldete das Unternehmen seinen Firmensitz in den Niederlanden an - und konnte so eine stärkere Beteiligung der Beschäftigten abwenden.

Nationales Interesse statt europäischer Gedanke: Die EPG ruft „race to the bottom“ hervor

Hexel befürchtet, dass die Flucht vor Mitbestimmung und demokratischen Strukturen in Unternehmen von der EU weiter zunehmen könnte. Die von der ungarischen Ratspräsidentschaft vorangetriebene einheitliche europäische Unternehmensrechtsform EPG, die einer deutschen GmbH ähnelt, sieht die Möglichkeit vor, den Satzungs- und Verwaltungssitz eines Unternehmens voneinander zu trennen. "Unternehmen werden ihren Satzungssitz dorthin verlegen, wo aus Unternehmenssicht die günstigsten Bedingungen vorherrschen", erklärt Hexel. Falls die Europäische Union die Trennung von Verwaltungs- und Satzungssitz ermöglichen sollte, führe dies zu einem "race to the bottom". Die Unterstützer dieser Rechtsform hätten ein Interesse an Liberalisierung und Sozialabbau. "Die Zuschreibung 'europäisch' verdient eine solche Forderung daher in keiner Weise", sagt Hexel.

Hexel: Arbeitnehmer müssen in Europa mitbestimmen – auch in der EU

Dass die Mitbestimmung der Arbeitnehmer vonseiten der EU bedroht wird, hat für Hexel einen einfachen Grund: "Wer den Europäischen Gedanken ernst nimmt muss weiterhin dafür sorgen, dass alle Arbeitnehmer in Europa von Anfang an in Verhandlungen zur Mitbestimmung eingebunden werden."


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