Auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung gibt es immer noch wirtschaftliche Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Um gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Teilen Deutschlands zu schaffen, braucht es Tarifverträge. Denn dort, wo Tarifverträge gelten, ist die Angleichung der Löhne nahezu abgeschlossen.
DGB/Kathrin Biegner
Die Deutsche Einheit jährt sich in dieser Woche zum 30. Mal. Deutschland hat sich seitdem wirtschaftlich gut entwickelt und auch die Lebensverhältnisse haben sich spürbar angeglichen, zu 100 Prozent ist es aber noch ein Stück. Sowohl im Westen als auch im Osten gibt es strukturschwächere und -stärkere Regionen. Dennoch lassen sich nach wie vor große ökonomische Unterschiede zwischen Ost und West feststellen.
Die Wiedervereinigung vor 30 Jahren erfolgte unter erschwerten Rahmenbedingungen für Ostdeutschland. Es gab praktisch keine industrielle Basis mehr. Die meisten Unternehmen waren nicht konkurrenzfähig und viele Menschen verloren im Zuge der Transformation der Wirtschaft ihre Arbeit. Hunderttausende, vor allem junge Menschen, wanderten in den Westen. Entwicklungen, die tiefgreifende Spuren in Ostdeutschland hinterließen.
Nach anfänglichen Erfolgen mit steigenden Einkommen und steigender Wirtschaftsleistung stagniert der Aufholprozess im Osten der Republik allerdings seit Jahren. So liegt die Wirtschaftsleistung pro Kopf in den neuen Ländern bei lediglich 69 Prozent des West-Niveaus. Die verfügbaren Einkommen sind im Osten durchschnittlich 15 Prozent niedriger als die der westdeutschen Beschäftigten (siehe Abbildung).
Das Problem, dass viele Kommunen stark verschuldet sind, dass sie kaum eigene Infrastrukturprojekte finanzieren können, ist im Osten noch größer als im Westen. Und auch auf dem Immobiliensektor zeigen sich deutliche Unterschiede. Denn der Anteil von ImmobilieneigentümerInnen ist in den westdeutschen Bundesländern um mehr als zehn Prozent höher als im Osten, wie eine aktuelle Studie des DIW zeigt. In Westdeutschland bessern fast doppelt so viele Haushalte ihr Einkommen durch Mieteinnahmen auf als im Osten.
Quelle: Statistisches Bundesamt; Arbeitskreis VGR der Länder; Einheitsbericht 2020.
Nun ist die Politik gefragt, um gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Teilen der Republik zu schaffen. Vor allem müssen im Osten künftig mehr Beschäftigte von Tarifverträgen profitieren können. Dort, wo Tarifverträge auch dank Gewerkschaften gelten, ist die Angleichung der Löhne nahezu abgeschlossen. Im Osten fallen aber nur 45 Prozent der Beschäftigten unter den Geltungsbereich von Tarifverträgen (im Westen 56 Prozent). Nur noch jeder fünfte Betrieb im Osten ist in der Tarifbindung. Viel zu viele Arbeitgeber schlagen sich in die Büsche und drücken sich vor anständiger Bezahlung.
Auch der Staat muss deshalb gegensteuern: Es muss einfacher werden, Tarifverträge für allgemeinverbindlich – also für alle Unternehmen einer Branche bindend – zu erklären. Wenn öffentliche Aufträge nur noch an Unternehmen vergeben werden, die Tarifverträge anwenden, stärkt das ebenfalls die Beschäftigten und die Tarifverträge. Gerade in den neuen Bundesländern würden diese Maßnahmen zu höheren Einkommen beitragen.
Klar ist auch: Überschuldete Regionen brauchen Unterstützung, damit sich die Lebensbedingungen wieder verbessern und neue gute Arbeitsplätze entstehen. Hierfür braucht es unter anderem einen Altschuldentilgungsfonds, über den Bund und Länder betroffenen Kommunen die Schuldenlasten abnehmen, um ihnen Luft zum Atmen zu geben.