Deutscher Gewerkschaftsbund

01.02.2012
Migration

Zuwanderer: Gesellschaftliche Brückenfunktion im Öffentlichen Dienst

Die Bundesregierung will im Rahmen des "nationalen Aktionsplans" den Anteil von Einwanderern im Öffentlichen Dienst erhöhen. Die Gewerkschaften fordern schon seit langem mehr Staatsbedienstete mit Zuwanderungsgeschichte. Denn für die Gesellschaft wäre es ein Gewinn, sagt Carsten Schneider,  Leiter der Abteilung Beamte und Öffentlicher Dienst beim DGB.

Fast ein Fünftel der deutschen Bevölkerung hat einen Migrationshintergrund – doch im Öffentlichen Dienst und unter den Beamten ist der Anteil an ZuwanderInnen weit niedriger. In Polizei, Feuerwehr – aber auch an Schulen und in der Verwaltung sind sie unterrepräsentiert. Auch deshalb wünscht sich der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Bernhard Witthaut, dass sich "noch mehr junge Leute aus Zuwandererfamilien für den Polizeiberuf entscheiden.“

Witthaut ist damit auf einer Linie mit der Integrationsbeauftragten des Bundes, Maria Böhmer, und NRWs Integrationsminister Guntram Schneider. Auch sie wollen mehr Beschäftige mit Zuwanderungsgeschichte im Staatsdienst. Diese sind "eine wichtige Brücke der öffentlichen Verwaltung zu einer Gesellschaft, welche von Einwanderung mindestens in Teilen geprägt ist", meint Dr. Karsten Schneider in unserem Interview. Er ist Leiter der Abteilung Beamte und Öffentlicher Dienst beim Deutschen Gewerkschaftsbund.

Frage: „Die Potenziale von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte sind ein Gewinn für die Mehrheitsgesellschaft“, sagt Nordrhein-Westfalens Integrationsminister. Warum brauchen wir diese Menschen dringend im Öffentlichen Dienst?

Karsten Schneider: Das wird zum Beispiel bei der Polizei sehr deutlich: Aus der Forschung ist bekannt, dass Frauen mit Migrationshintergrund – soweit sie Opfer häuslicher Gewalt werden – sich  meist nicht an die Polizei wenden. Das hängt auch mit der Erwartung zusammen, von deutschen BeamtInnen nicht vorurteilsfrei behandelt zu werden. Gäbe es in ausreichender Zahl Polizistinnen und Polizisten mit Migrationshintergrund, würde das also  auch zur Gewaltbekämpfung beitragen und den Frauen helfen.

Säulengrafik: MigarantInnen im Öffentlichen Dienst

Fast ein Fünftel der deutschen Bevölkerung hat einen Migrationshintergrund - der Anteil im öffentlichen Dienst ist deutlich niedriger. Grafik: DGB-Bildungswerk;Zahlen: Bundesagentur für Arbeit, Dezember 2006.

Der DGB-Bundeskongress hat 2010 heftig die Ausgrenzung nicht-deutscher Staatsbürger kritisiert. „Ausländische Arbeitssuchende werden aus den Auswahlprozessen ausgeschlossen, wenn sie nicht schon bei der Bewerbung den unbeschränkten Arbeitsmarktzugang nachweisen“, heißt es im Integrationsbeschluss. Müsste der Staat hier nicht mit gutem Beispiel vorangehen und geeigneten Bewerbern unabhängig vom Aufenthaltsstatus eine Chance geben?

Ja, die öffentliche Hand sollte Vorbild sein. Man kann dem Staat nicht nachsagen, dass er in der Sache nichts unternimmt. Allerdings reicht es nicht, Menschen mit Zuwanderungsgeschichte gleiche „Chancen“ zu geben. Faktisch haben bereits heute alle EU-Bürgerinnen und -Bürger Zugang zum Beamtenstatus. Zum Teil gilt das auch für Menschen aus Nicht-EU-Ländern. Auf einem anderen Blatt steht, dass diese oft nicht erleben, dass sie für die Beschäftigung im öffentlichen Dienst gewollt sind. In der Folge gibt es weniger BewerberInnen als offene Stellen. Das ist nicht allein aus Gründen der Vorbildfunktion bedauerlich,  sondern – angesichts des Demographieproblems – auch im Interesse des öffentlichen Dienstes problematisch.

Angeblich gibt es nicht genügend geeignete BewerberInnen unter den Zuwanderern. Ist die Arbeit bei Polizei, Feuerwehr oder beim Finanzamt nicht attraktiv genug? Sind die Laufbahnmöglichkeiten möglicherweise zu wenig bekannt?

Ob es genügend geeignete Bewerberinnen und Bewerber gibt, hängt von zwei Faktoren ab. Zum einen davon, was in Bildung investiert wird. So fällt auf, dass Menschen mit Migrationshintergrund seltener auf weiterführenden Schulen zu finden sind. Zum anderen müssen auch Bildungsabschlüsse, welche nicht in Deutschland erworben wurden, anerkannt werden. Das betrifft auch spezifische berufliche und außerberufliche Erfahrungen, soweit sie für die Tätigkeit im öffentlichen Dienst relevant sind. Der DGB setzt sich auch deshalb für eine Flexibilisierung des Laufbahnrechts ein.

Es hat zwar bei der Besoldung und den Arbeitsbedingungen in den letzten Jahre deutliche Negativentwicklungen gegeben. Angesichts der massiven Sparrunden konnte das nicht ausbleiben. Dennoch bleibt die öffentliche Hand ein attraktiver Arbeitgeber. Die Verantwortlichen sind aber gut beraten, in diese Attraktivität auch wieder zu investieren und nicht weiter von der Substanz zu leben.

Der DGB ist der Spitzenverband der Beamtinnen: Gibt es eine Gewerkschafts-Initiative für mehr Migrantinnen in Öffentlichem Dienst, Verwaltung und Justiz?

Als Spitzenorganisation setzt sich der DGB aktiv gegen Diskriminierung ein. Die Erhöhung des Anteils von Menschen mit Migrationshintergrund in der Verwaltung ist nicht nur ein wichtiges Signal für alle Arbeitgeber und die Bürger. Es ist auch eine wichtige Brücke der öffentlichen Verwaltung zu einer Gesellschaft, welche von Einwanderung mindestens in Teilen geprägt ist.  Dem DGB geht es also nicht nur darum, die Chancen zu verbessern. Wir leisten auch einen Beitrag, dass der öffentliche Dienst den Anteil von Beschäftigten mit Zuwanderungsgeschichte tatsächlich erhöht.

19. DGB-Bundeskongress: Beschlüsse zur Migrations und Integrationspolitik (PDF/ZIP)


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