Deutscher Gewerkschaftsbund

27.04.2012
Standpunkte zur Hochschule der Zukunft

Jena: Wir brauchen hochschulpolitische Alternativen

Das Leitbild "Demokratische und Soziale Hochschule“ in der Diskussion

Die Ökonomisierung der bayerischen Hochschulen verdrängt das seit Jahrhunderten geltende Humboldtsche Bildungsideal zu Gunsten des Marktgedankens. Es braucht eine breite Diskussion über hochschulpolitische Alternativen.

Von Matthias Jena, Vorsitzender DGB-Bezirk Bayern

Das Leitbild „Demokratische und Soziale Hochschule“ bietet eine Vielzahl an Anknüpfungspunkten für eine grundlegende Debatte über Hochschulpolitik in Deutschland. Wir haben in Bayern in den beiden vergangenen Jahrzehnten einen grundlegenden Umbau der Hochschullandschaft erlebt, der insbesondere mit Beginn des Bologna-Prozesses eine neue Qualität erfahren hat.

Zwei Entwicklungen kennzeichnen die bayerische Hochschulpolitik der letzten Jahre: auf der einen Seite wurden die internen Strukturen der Hochschulen nach unternehmerischen Vorbild umgebaut. Auf der anderen Seite wurde mit der Einführung von Studiengebühren eine weitere Hürde aufgebaut, die Abiturienten aus einkommensschwachen Haushalten vom Studium abhält.

Umbau der Hochschulen zu „Wissenschaftsunternehmen“

Die wettbewerbsgesteuerte Hochschule, aufgebaut nach unternehmerischen Prinzipien, ist Leitbild bayerischer Hochschulpolitik.

Mit der Novellierung des bayerischen Hochschulgesetzes im Jahr 2006 wurde die Organisation der Hochschulen an die großer Wirtschaftsunternehmen angepasst. Die operativen Entscheidungen werden seitdem alleine von der Hochschulleitung (fungiert als Vorstand) getroffen, die vom Hochschulrat (entspricht dem Aufsichtsrat in Aktiengesellschaften) kontrolliert wird.

Dieser wiederum besteht zur Hälfte aus VertreterInnen der Hochschule, zur anderen Hälfte aus externen Mitgliedern, die in Bayern überwiegend aus der Wirtschaft kommen. Durch die Machtfülle der Hochschulräte bekommt die bayerische Wirtschaft so erheblichen Einfluss auf die Hochschulen.  

Neben dem organisatorischen Umbau wurden die Hochschulen durch die Novellierung des Hochschulgesetzes auch dazu gezwungen, sich vermehrt über das Einwerben von Drittmittel zu finanzieren.

Hierbei erweist sich als besonders problematisch, dass inzwischen auch die Bewertung von Forschungsbereichen und die Berufung von ProfessorInnen maßgeblich von den eingeworbenen Drittmitteln abhängt.

Die Ökonomisierung der Hochschulen bleibt selbstverständlich nicht ohne Folgen für Forschung und Lehre: Wenn Wissenschaft nur noch nach ihrem praktischen, unternehmerischen Nutzen bewertet wird führt dies zum einen zu einer völligen Entwertung der Lehre und zum anderen dazu, dass sich Forschung nur noch auf die Aspekte eines Faches konzentriert, die ökonomisch verwertbar sind.

Unternehmerischer Wettbewerb um Finanzierungsmittel

Passend zum unternehmerischen Umbau, wurden die Hochschulen auch in einen Wettbewerb untereinander gesetzt. In Bayern wird dieser Wettbewerb durch die Sparpolitik im Hochschulsystem weiter angeheizt, da neben Drittmitteln auch staatliche Fördergelder aus Sondertöpfen eine immer größere Rolle bei der Hochschulfinanzierung spielen.  

Prominentes Beispiel hierfür ist die „Exzellenz-Initiative“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Um an staatliche Fördergelder zu kommen, müssen die Hochschulen ein Konzept vorlegen, das ihre Arbeitsschwerpunkte und Kernkompetenzen beschreibt. Kerngedanke der Exzellenz-Initiative ist die Schaffung von „Leuchttürmen“ in der Forschung.

Da das bayerische Hochschulgesetz den Hochschulen die Möglichkeit gibt, über die Verteilung ihrer finanziellen und personellen Ressourcen weitgehend autonom zu entscheiden, gehen diese bereitwillig den Weg der Spezialisierung. Auf diese Art geht sowohl wissenschaftliche Vielfalt als auch das breite Spektrum an aktiven ForscherInnen zwangsläufig verloren. Hochschulen werden von Universal- zu Spezialforschungseinrichtungen.  

In der Praxis führt diese Hochschulpolitik – vor allem im Zusammenhang mit dem Wunsch der Staatsregierung in Bayern Elite-Universitäten nach amerikanischem Vorbild zu schaffen – zu einem stark differenzierten Bild an den Hochschulen: während der eine Fachbereich über ausreichende finanzielle und personelle Mittel verfügt, sitzen andere Fachbereiche der gleichen Hochschule oftmals in maroden Gebäuden, haben zu wenig Lehr- und Forschungspersonal und verfügen nur über veraltete Lehrmittel und technische Ausstattung.

Studiengebühren – Studierende als Kunden

Passend zur Ökonomisierung der Hochschulen ist auch die Erhebung von Studiengebühren in Bayern. Bei deren Einführung wurde argumentiert, dass sich mit den Gebühren die Bedingungen an den Hochschulen verbessern würden, da die Studierenden so zu Kunden werden.  

Bayern erhebt seit Frühjahr 2007 Studiengebühren. Eine Verbesserung der Studienbedingungen ist allenfalls punktuell – und eben insbesondere in den Exzellenz-Studiengängen – festzustellen. Der Großteil der bayerischen Studierenden sind unzufriedene „Kunden“, die sich mit teils untragbaren Bedingungen abfinden müssen.

Darüber hinaus sind die Gebühren eine massive Benachteiligung für Menschen aus einkommensschwachen Familien. Viele junge Menschen machen ihre Entscheidung für oder gegen ein Studium nicht von einer theoretischen Bildungsrendite abhängig, sondern von der Frage, ob sie sich ein Studium leisten können. Nicht zuletzt deshalb hängt die Frage ob jemand studiert in Bayern stark von seiner sozialen Herkunft ab.

Fazit

Durch die Ökonomisierung der bayerischen Hochschullandschaft wird das seit Jahrhunderten geltende Humboldtsche Bildungsideal zu Gunsten des Marktgedankens auf die Seite geschoben.

Aber sind Wissenschaft und Forschung eine Ware wie Kartoffeln, Fernseher oder Autos? Soll es bei der Ausbildung unserer Studierenden nur noch um die Bereitstellung des künftigen Humankapitals der Unternehmen gehen? Ist es hinnehmbar, dass wir unsere Idee von Bildung widerstandslos durch den Gedanken des grenzenlosen Wettbewerbs ersetzen lassen?

Das Leitbild „Demokratische und Soziale Hochschule“ eröffnet uns die Chance eine breite gesellschaftliche Debatte über Hochschulpolitik anzustoßen und gerade der von Eliten-Denken und Wettbewerbsgedanken geprägten bayerischen Hochschulpolitik eine Alternative entgegenzustellen.


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