Seit dem Jahr 2000 sinkt in den Industrieländern das Produktivitätswachstum - der Sachverständigenrat will mit Deregulierung und Flexibilisierung gegensteuern. Doch Wohlstand entsteht nicht durch Billigprodukte und Dumpinglöhne. Im Gegenteil: Für mehr Produktivität braucht es Tarifverträge, öffentliche Investitionen und eine aktive Industriepolitik.
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Am vergangenen Montag veranstaltete der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) den ersten nationalen Produktivitätsdialog und stellte seinen Produktivitätsbericht vor. Der Anlass: Der SVR agiert in Deutschland seit neuestem auch als „Nationaler Ausschuss für Produktivität“ – ein Gremium, das laut europäischen Regeln in allen EU-Mitgliedsstaaten geschaffen werden soll.
Hintergrund ist auch, dass das Produktivitätswachstum in vielen Industrienationen besonders seit der Jahrtausendwende sinkt (siehe Grafik). Dass das eine schlechte Entwicklung ist, leuchtet unmittelbar ein. Schließlich bedeutet eine Steigerung der (Arbeits-)Produktivität, dass mehr Wohlstand mit weniger Arbeitskraft geschaffen werden kann. Das erweitert – bei gerechter Verteilung – die Möglichkeiten für mehr Wohlstand für alle und eine humanere Arbeitswelt.
OECD 2019; DGB
Umso wichtiger ist es, die Gründe für die stagnierende Produktivitätsentwicklung genau zu analysieren und Möglichkeiten zur Stärkung der Produktivität aufzuzeigen. Dem SVR gelingt das leider nur zum Teil. Unstrittig dürfte sein, dass eine höhere Investitionstätigkeit und mehr und bessere Bildung die Produktivität fördern. Viele Empfehlungen im Produktivitätsbericht des SVR lesen sich allerdings als verzweifelter Versuch, neue Begründungen für die üblichen neoliberalen Politik-Empfehlungen zu finden.
So ruft der SVR zum Beispiel nach Unternehmenssteuersenkungen und nach einer weiteren Deregulierung und Flexibilisierung von Arbeits- und Produktmärkten. Maßnahmen zum Schutz von Guter Arbeit, wie die Verschärfung der EU-Entsenderichtlinie oder die Wiedereinführung der Meisterpflicht, werden als kontraproduktiv abgelehnt. Besonders die letzten Punkte sind absurd. So führen Deregulierungen an Dienstleistungs- und Arbeitsmärkten erfahrungsgemäß nicht zu produktiverer Arbeit, sondern schnell zu schlechteren Arbeitsbedingungen und Niedriglöhnen. Die Meisterpflicht wurde jüngst in einigen Gewerken des Handwerks gerade auch deshalb wieder eingeführt, weil deren vorherige Abschaffung zu einem Qualitätsverfall geführt hatte.
Produktivität und Wohlstand werden nicht durch Billigprodukte und Dumpinglöhne gesteigert. Vielmehr sind regulierte Arbeitsmärkte und hohe Tarifbindung nötig. Gerade Flächentarifverträge sind „Produktivitäts- und Innovationspeitschen“, weil sie Dumpingwettbewerb verhindern und Unternehmen einen Anreiz geben, im Wettbewerb auf Qualität und Innovation zu setzen. Rationalisierungs- und Produktivitätsgewinne sollten dann an die Beschäftigten über höhere Löhne oder kürzere Arbeitszeiten weitergegeben werden.
Um Produktivität zu steigern, braucht es darüber hinaus langfristige öffentliche Investitionen, eine aktive Industriepolitik und einen fairen Wettbewerbsrahmen. Das bietet Planungssicherheit und schafft gute Rahmenbedingungen - auch für private Investitionen. Steuergeschenke sorgen selten für produktive Investitionen, sondern eher für Löcher in der Staatskasse und somit für Löcher beim Mobilfunknetz, in Straßen und im Stundenplan von Schülerinnen und Schülern.