Deutscher Gewerkschaftsbund

20.09.2022

Belarus: Massiver Angriff gegen Gewerkschaften in Europa

von Eric Balthasar, DGB

Im Sommer 2020 kämpfte die belarussische Zivilgesellschaft verstärkt gegen den Machthaber Alexander Lukaschenko, dessen offensichtliche Wahlfälschung von großen Teilen der Bevölkerung nicht länger hingenommen wurde. Massenproteste füllten Minsker Straßen. Die unabhängigen Gewerkschaften sind Veteraninnen dieses Kampfes. Seit 30 Jahren verteidigen sie Arbeitnehmer*innen in einem Land, das das nationalen Arbeitsrecht aushebelt, und internationale Arbeitsnormen dabei mit Füßen tritt. Zwei Jahre nach den Massenprotesten wurden die unabhängigen Gewerkschaften durch die obersten Justizbehörden verboten. Der jüngste Angriff auf die Zivilgesellschaft, um ein Regime zu schützen, das seine eigenen Bürger*innen fürchtet.

Mauer mit Stacheldraht in den Farben der belarussischen Flagge

DGB/vadimjoker/123rf.com

Ein Versprechen Lukaschenkos begleitet die Belaruss*innen seit seinem Amtsantritt 1994: das Schaffen einer besseren wirtschaftlichen Zukunft. Über längere Zeit konnte er das Versprechen halten. Hohes ökonomisches Wachstum zwischen 2003 und 2013 ging Hand in Hand mit einem Einkommensanstieg für die unteren 40 Prozent der Haushalte. Obwohl die fehlenden Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus, das von Lukaschenko als „Psychose“ bezeichnet wurde, die Auswirkungen der Pandemie auf die belarussische Wirtschaft begrenzten, schrumpfte diese 2020 um 0,9 Prozent. Die Prognose der Weltbank geht von einem Schrumpfen der Wirtschaft um 6,5 Prozent im Jahr 2022 aus. In einer internationalen Studie äußerten sich 61 Prozent der belarussischen Befragten besorgt über die ökonomische Lage. Gleichzeitig waren 86,4 Prozent unzufrieden mit den mangelhaften Coronamaßnahmen der Regierung.

Ziviler Widerstand gegen Lukaschenko

Nachdem Lukaschenko 2020 nach offiziellen Angaben mit 80,2 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt worden war, nahm die Bevölkerung diesen offensichtlichen Wahlbetrug nicht mehr hin. Die Präsidentschaftswahl, jahrzehntelang nur formaler Bestätigungsakt, wurde am 9. August 2020 „zum Startschuss für unsere Revolution“, so die damalige Präsidentschaftskandidatin und belarussische Bürgerrechtlerin Swetlana Tichanowskaja. Zeitweise demonstrierten in Minsk bis zu 200.000 Menschen gegen Lukaschenko. Sicherheitskräfte schlugen die Demonstrant*innen nieder, sodass die Massenproteste heute von den belarussischen Straßen verschwunden sind. Dennoch konnte die erzwungene Ruhe auf den Straßen den Zulauf zur organisierten Zivilgesellschaft nicht unterbinden.

In Folge stieg die Mitgliederzahl der unabhängigen Gewerkschaften um 20 Prozent an. Somit zählt der Belarussische Kongress Demokratischer Gewerkschaften (BKDP), der sich aus den Mitgliedsgewerkschaften Belarussische Unabhängige Gewerkschaft (BNP), Belarussische Freie Gewerkschaft (SPB), Freie Gewerkschaft der Metallarbeiter (SPM) und Belarussische Gewerkschaft der Radioelektronischen Industrie (REP) zusammensetzt und aktives Mitglied des Internationalen Gewerkschaftsbundes ist, etwa 11.000 Mitglieder.

Gewerkschaftsarbeit unter widrigsten Bedingungen

Verglichen mit dem staatsnahen Gewerkschaftsbund von Belarus (FPB), der rund vier Millionen Mitglieder hat, ist der BKDP eine kleine Organisation. Doch ist die Mitgliedschaft im FPB faktisch obligatorisch. Er ist der verlängerte Arm einer Regierung, deren Reformen im belarussischen Arbeitsrecht alles ausgehebelt haben, was ausgehebelt werden kann. Die Mitgliedsgewerkschaften des FPB informieren Belegschaften weder über die Konditionen ihrer Tarifverträge noch über ihre Rechte als Arbeitnehmer*innen.

Hingegen kämpfen die unabhängigen Gewerkschaften seit 30 Jahren gegen den Druck Lukaschenkos an, verteidigen Arbeitnehmer*innen in Gerichtsverfahren, versuchen juristische Grundkenntnisse aufzubauen und melden der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) Verstöße gegen Arbeitsnormen. Das macht sie zu einem erheblichen Ärgernis für die belarussische Regierung. Gewerkschaftsarbeit wird konsequent durch Gewalt, Einschüchterung und Bedrohung jeglicher Art unterdrückt. Nicht überraschend findet sich Belarus das zweite Jahr in Folge unter den zehn schlimmsten Ländern für erwerbstätige Menschen im Globalen Rechtsindex des internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB).

ILO zieht Konsequenzen

Auf der internationalen Arbeitskonferenz der ILO im März 2022 wurde Belarus wegen seiner ständigen und zunehmenden Verstöße gegen grundlegende Arbeitsnormen heftig kritisiert. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits 1800 Menschen aus politischen Gründen inhaftiert und 400 NGOs in Belarus verboten oder aus dem Land verschwunden. Der Normenkontrollausschuss (CAS) der ILO brachte seine tiefe Besorgnis zum Ausdruck, dass Belarus seit 17 Jahren keinerlei Maßnahmen ergriffen hat, um die Ergebnisse des Untersuchungsberichtes aus 2004 umzusetzen. Aufgrund der sich stetig mehrenden Anzahl an Verstößen wurde Belarus im CAS-Bericht mit einem „special paragraph“ bedacht, der höchsten Sanktion des Ausschusses. Dadurch ist der Verwaltungsrat befugt, einen Untersuchungsausschuss mit der Aufgabe einzusetzen, Empfehlungen vorzulegen, deren Umsetzung überwacht wird. Werden diese Empfehlungen von der Regierung nicht akzeptiert, kann eine Überweisung an den Internationalen Gerichtshof erfolgen.

Trotzdem drangsalierten belarussische Sicherheitskräfte weiterhin systematisch Gewerkschafter*innen, mehr als 20 führende Mitglieder und Aktivist*innen der unabhängigen Gewerkschaften wurden im April verhaftet. Die IGB-Generalsekretärin Sharan Burrow mahnte, dass Lukaschenkos Regime eindeutig die Absicht hat, grundlegende Freiheiten wie das Streikrecht und das Recht auf legitime gewerkschaftliche Vertretung zu ersticken. Die Tatsache, dass dies während der ILO-Konferenz geschah, unterstreicht die völlige Missachtung der Rechtsstaatlichkeit.

Zerschlagung der unabhängigen Gewerkschaften

Keine zwei Monate nach den Verhaftungen wurden die Mitgliedsgewerkschaften des BKDP am 12. und 14. Juni zerschlagen. Die Justizbehörden begründeten ihre Entscheidung mit angeblichen extremistischen Aktivitäten mehrerer führender Gewerkschaftsmitglieder. Der Prozess gegen den BKDP fand am 18. Juni am Obersten Gericht statt. Die Entscheidung stand im Vorfeld fest, da dem BKDP ohne angeschlossene Gewerkschaften die rechtliche Existenzgrundlage als Verband fehlt. Vor Prozessbeginn informierte der BKDP das Oberste Gericht über die Nichtteilnahme gesetzlicher Vertreter*innen, da diese im Gefängnis sind. Der deutsche und der tschechische Botschafter sowie EU-Vertreter*innen kamen zur Verhandlung, durften den Prozess jedoch nicht beobachten.

Die politisch motivierte Zerschlagung setzt die Angriffe auf die demokratischen Institutionen und organisierte Zivilgesellschaft fort. Arbeitnehmerorganisationen weltweit verurteilen die Geschehnisse und stehen solidarisch zu ihren belarussischen Schwestergewerkschaften, darunter der DGB. Auch die internationale Staatengemeinde kritisiert Lukaschenkos Regime scharf. Die US-Botschaft in Belarus bezeichnet das Verbot der Unabhängigen Gewerkschaften als jüngsten Angriff auf die Freiheit der Menschen in Belarus, und als Versuch die Zivilgesellschaft zu zerschlagen.

Seit 2020 hat die EU zahlreiche Sanktionen gegenüber Belarus verabschiedet, das letzte Paket erst Anfang Juni. Doch das scheint Lukaschenko, der einzig seine Macht erhalten will, nicht zu stoppen. Belarus, das sich zugleich mit einem Kriegsverbrecher gemein macht, muss von allen internationalen Aktivitäten abgeschnitten werden.


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