Deutscher Gewerkschaftsbund

14.03.2018

Ist Kolumbien reif für den OECD Beitritt?

Am 20. Oktober 2017 erhielt eine Gruppe von Gewerkschaftern in Bogota, Kolumbien, ein Paket, nachdem einer von ihnen zuvor eine Wahlkampagne für eine Leitungsfunktion in seiner Gewerkschaft betrieben hatte. Neben Grabblumen befand sich in dem Paket auch ein Drohbrief an die Gewerkschafter.

Der Brief im Wortlaut: „Für die Spezialisten der Gewerkschaftsleuchten und ihre dicke Präsidentin, der dreifachen Hurentochter. Wir senden unsere brüderlichen Grüße an euch und an jede einzelne Eurer Familien, die bei guter Gesundheit bleiben und sich eines langen Lebens erfreuen wollen. Macht weiter so eine Scheiße, Truppe großer Tripper-infizierter Hurensöhnen. Gewerkschaftlich organisierte Spezialisten der Scheiße. Wir wollen, dass Ihr eure Gewerkschaftsarbeit beendet und verschwindet und das so schnell wie möglich. Andernfalls werden eure Familien die Konsequenzen erfahren. PS: Grüße an eure Söhne und Töchter, die ihr so liebt.“

Häfte von Gesicht eines traurig guckendes Kindes mit kolumbianischen Farben geschminkt

DGB/Zoran Orcik/123rf.com

An den vorangegangenen Tagen wurden Personen auf dem Werksgelände der gewerkschaftlich aktiven Arbeitnehmer beobachtet, die Fotos von den Gewerkschaftern, ihren Fahrzeugen und dem Betriebsgebäude machten. Weder das Unternehmen noch die Polizei oder Justiz ergriffen Maßnahmen zum Schutz der Betroffenen.

Leider ist das kein Einzelfall. Immer wieder kommt es in Kolumbien zu psychischer und physischer Gewalt gegen Gewerkschafter. Auch Morde sind keine Seltenheit. Wie der Globale Rechtsindex des Internationalen Gewerkschaftsbundes belegt, sind grundlegende Gewerkschaftsrechte weder in Gesetz noch in der Praxis garantiert. Damit ist Kolumbien eines der gefährlichsten Länder für Gewerkschaftsarbeit. Während die Anzahl von Gewalttaten in den letzten Jahren sank, sind Morde an Menschenrechtsaktivisten seit 2016 in beunruhigender Weise angestiegen. So wurden laut Vereinten Nationen im Jahr 2017 über 100 Aktivisten getötet, 2016 waren es 127, darunter auch viele Gewerkschafter.

Als Grund sieht man hierfür ein Machtvakuum, das durch den Friedensvertrag Mitte 2016 in vormals von der FARC kontrollierten Regionen des Landes entstand. Der Friedensvertrag, wurde zwischen dem kolumbianischen Präsidenten und dem Kommandeur der linken Guerillaorganisation FARC geschlossen. Seitdem ist die FARC Teil der Parteienlandschaft Kolumbiens und tritt bei der Präsidentschaftswahl im Mai 2018 ebenfalls an. Hingegen sind Verhandlungen mit den Guerillas der marxistisch orientierten Ejército de Liberación Nacional (ELN, nationale Befreiungsarmee) mit dem Ziel der Verlängerung der seit Oktober 2017 geltenden Waffenruhe seit einem Sprengstoffanschlag im Januar 2018 ausgesetzt. Eine Einigung scheint in weiter Ferne.    

Offenbar versucht die Regierung durch das Vorantreiben eines OECD-Beitritts vor den Präsidentschaftswahlen international zu punkten. Man erhofft sich dadurch verstärkte Investitionen aus dem Ausland und einen Prestige-Gewinn für die Elite des Landes.

Noch ein weiter Weg zu Gewerkschaftsrechten und zur Demokratie

Doch ist Kolumbien schon so weit? Die Antwort liegt wohl auf der Hand. Wo Menschenrechte mit Füßen getreten werden, wo Gewerkschafter, Aktivisten und die Landbevölkerung um ihr Leben fürchten müssen, ist es noch ein weiter Weg bis zur Demokratie. Kolumbien muss erst zeigen, dass es bereit ist, diesen Weg auch zu beschreiten, bevor es ein geeigneter OECD-Kandidat ist.

Für den DGB stehen insbesondere folgende Hindernisse derzeit noch im Wege, die vor einem Beitritt überwunden werden müssen:

Die Problematik der ‚collective pacts‘, sprich Tarifverhandlungen mit Nicht-Gewerkschaftern, ist weder gelöst noch verboten. Zwar wurden kosmetische Gesetzesänderungen vorgenommen, die aber nicht klar genug sind, um das Problem an der Wurzel zu packen. Gleiches gilt für die Problematik der Arbeitnehmerüberlassung, wodurch viele Gruppen von ArbeitnehmerInnen von der gewerkschaftlichen Organisation ausgeschlossen sind.

Das OECD-Sekretariat hatte diese Praxis in der Vergangenheit mehrfach kritisiert und Änderungen angemahnt. Das internationale und kolumbianische Arbeitgeberlager dagegen war auf einem kürzlich im BMAS abgehaltenen Workshop am 19.2. sehr deutlich in seiner Forderung, diese Praktiken unbedingt beizubehalten. Für Akteure eines OECD-Landes sollte es als Selbstverständnis gelten, demokratische Grundregeln nicht nur anzuerkennen und zu respektieren, sondern aktiv voranzutreiben.

Sehr beunruhigend ist weiterhin die Tatsache der vom Expertenrat der ILO 2014 bereits seit längerem bemängelten Einschränkungen des Streikrechts:

"For a number of years, the Committee has been referring to the need to take steps to amend the legislation in relation to: (i) the prohibition of strikes for federations and confederations (section 417(i) of the Labour Code) and within a wider range of services that are not necessarily essential in the strict sense of the term  … and (ii) the possibility to dismiss workers who have intervened or participated in an unlawful strike (section 450(2) of the Labour Code), even where the unlawful nature of the strike is a result of requirements that are contrary to the provisions of the Convention." http://labour-rights-indicators.la.psu.edu/country/170

Die Tatsache, dass sich die Regierung erst kürzlich in den Avianca-Streik eingemischt hat macht deutlich, dass es offenkundig am Verständnis über das Prinzip der Tariffreiheit mangelt.

Von Carolin Vollmann (DGB)


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