Deutscher Gewerkschaftsbund

22.09.2023
Zahl des Monats

3 Millionen Menschen zählen zur sogenannten "Stillen Reserve"

3 Millionen Menschen zählten nach Auswertung des Statistischen Bundesamtes zuletzt zu der sogenannten "Stillen Reserve": Dies sind Menschen, die zwar aktuell nicht erwerbsfähig sind, sich aber dennoch bezahlte Arbeit wünschen. Frauen haben mit 56,8 Prozent den größten Anteil an der "Stillen Reserve". Schaut man sich ihre Qualifikationen wie auch die Hindernisse zur Beteiligung am Arbeitsmarkt an, zeigt sich ein großes und bislang unausgeschöpftes Potenzial zur Erwerbsbeteiligung. 

Zwei Hände bilden die Symbole für "männlich" und "weiblich"

DGB/123rf.com/Larisa Rudenko

Definition "Stille Reserve":

Die „Stille Reserve“ ist eine relevante Größe in der Arbeitsmarktberichterstattung, weil sich mit ihr ein relevanter Teil des am Arbeitsmarkt ungenutzten Arbeitskräftepotenzials aufzeigen lässt. Danach gehören zur „Stillen Reserve“ Personen,

  • die zwar kurzfristig nicht am Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen oder
  • momentan nicht aktiv nach einer Arbeitsstelle suchen,
  • sich aber dennoch Arbeit wünschen.

Das Statistische Bundesamt ermittelt die „Stille Reserve“ aus Angaben des Mikrozensus und der integrierten Arbeitskräfteerhebung.

Frauen haben den größten Anteil an der "Stillen Reserve"

Mit 56,8 Prozent haben Frauen den größten Anteil an der "Stillen Reserve". Frauen in der "Stillen Reserve" sind häufig überdurchschnittlich gut qualifiziert: Mehr als 60 Prozent verfügen über eine abgeschlossene Berufsausbildung oder sogar die Fach-/Hochschulreife laut aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Als Haupthindernis für ihre fehlende Beteiligung am Arbeitsmarkt geben Frauen in der „Stillen Reserve“ Betreuungsverpflichtungen, d.h. die Betreuung von Kindern oder Sorge für pflegebedürftige Angehörige, an. 

Für den DGB ist es ein wichtiges gleichstellungspolitisches Anliegen die Erwerbsbeteiligung dieser Frauen zu steigern und ihre eigenständige Existenzsicherung zu fördern. Gleichzeitig ist die Förderung der Erwerbstätigkeit von Frauen ein wichtiger Schlüssel, um Fachkräfteengpässe zu reduzieren. Barrieren, die einer gleichberechtigten Teilhabe von Frauen am Erwerbsleben entgegenstehen, müssen endlich aus dem Weg geräumt werden. Unbezahlte Sorgearbeit, also Hausarbeit, Kinderbetreuung und Pflege von Angehörigen, muss zwischen den Geschlechtern gerechter verteilt werden. Zudem gilt es, die öffentliche Infrastruktur an professionellen Kinderbetreuungs- und Pflegeangeboten bedarfsgerecht auszubauen, um erwerbstätige Frauen und Männer, die Sorgearbeit leisten, zu entlasten. Des Weiteren müssen dringend rechtliche und finanzielle Fehlanreize beseitigt werden, die einer Erwerbstätigkeit von Frauen entgegenwirken (Steuerklasse V, Ehegattensplitting) oder der prekären Beschäftigung von Frauen Vorschub leisten (Minijobs).

Erläuterung und Hintergrund

Dass unter den gegebenen Rahmenbedingungen und der gegebenen Infrastruktur die Sorge für Kinder oder pflegebedürftige Angehörige mit den Wünschen nach Erwerbstätigkeit nicht gut in Übereinstimmung zu bringen ist und dieses Problem vor allem Frauen betrifft, ist unter anderem im Zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung gut dokumentiert. Die vorliegenden Daten zur „Stillen Reserve“ bestätigen diese Befunde. In der Altersgruppe der 25- bis 59-Jährigen sind Betreuungspflichten der Hauptgrund dafür, warum Frauen keiner Erwerbstätigkeit nachgehen. Jede 3. Frau dieser Altersgruppe nennt Betreuungsaufgaben wie Kinderbetreuung oder Pflege als Hindernis. Männer in der gleichen Altersgruppe sind hiervon kaum tangiert; nur 5,6 Prozent sehen sich aufgrund von Sorgeverantwortung daran gehindert, erwerbstätig zu sein. 

Die ungleiche Verteilung von unbezahlter Sorgearbeit zwischen Männern und Frauen hat Folgen. Der berufliche Wiedereinstig nach längeren Phasen der Erwerbslosigkeit aufgrund von Kinderbetreuung oder Pflege von Angehörigen ist für die betroffenen Frauen oft schwierig. Wenn er gelingt, dann oft in Teilzeit und/oder unterhalb des eigentlichen Qualifikationsniveaus. Damit bleibt nicht nur wertvolles Fachkräftepotenzial ungenutzt. Auch für die Frauen, die aufgrund von Sorgeverantwortung ihre Erwerbswünsche nicht oder nur eingeschränkt realisieren, ist diese Situation gravierend, da sie oft mit wirtschaftlicher Abhängigkeit und einem hohen Armutsrisiko im Alter einhergeht. Deshalb ist eine zentrale Forderung des DGB zur Schließung von Fachkräftelücken auf das Potenzial der vielen Frauen zurückzugreifen, die gar nicht oder nur in Teilzeit beschäftigt sind. Die familienpolitischen Vorhaben der Bundesregierung weisen zwar in die richtige Richtung, müssen nun aber auch konsequent umgesetzt werden. Gerade die 10-tägige Freistellung des 2. Elternteils rund um die Geburt eines Kindes sowie die Entgeltersatzleistung für Pflege sind wichtige Instrumente, um eine partnerschaftliche Aufteilung von Sorgearbeit zu fördern, und ihre Einführung ist längst überfällig. Zudem muss dringend der bedarfsgerechte und qualitativ hochwertige Ausbau der Ganztagsbetreuung für Kinder bis zum 14. Lebensjahr vorangetrieben werden, damit Menschen Erwerbsarbeit mit Sorgeverantwortung besser vereinbaren können. Gleichzeitig gilt es, rechtliche und finanzielle Fehlanreize für die Erwerbsbeteiligung von Frauen abzubauen. Der DGB hat sich gegen die zuletzt vorgenommene Anhebung der Geringfügigkeitsgrenze bei den Minijobs ausgesprochen und seine Position bekräftigt, dass die Minijobs ab dem ersten Euro Einkommen voll in die Sozialversicherung einbezogen werden sollen. Notwendig ist auch eine längerfristige Ersetzung des Ehegattensplittings durch eine Individualbesteuerung und die Abschaffung der Steuerklassenkombination (III/V).


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DGB/rawpixel/123rf.com

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