Damit liegt Deutschland bei der Weiterbildung 2022 im OECD-Vergleich im letzten Viertel. Besonders schwierig: Qualifizierung ist das zentrale Thema in der aktuellen Transformation. Denn die Transformation durch Wirtschaft 4.0, Klimaschutz und Mobilitätswandel bedeutet gravierende Änderungen von Tätigkeiten und Kompetenzen.
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Obwohl Weiterbildung so wichtig ist wie nie zuvor, hatte 2022 vier Wochen vor der Befragung nur ein geringer Teil der Bevölkerung in Deutschland überhaupt an Qualifizierungsmaßnahmen teilgenommen. In Schweden ist die Weiterbildungsbeteiligung viermal so hoch wie in Deutschland. Aber auch in Ländern mit vergleichbaren Aus- und Weiterbildungssystemen wie zum Beispiel Österreich und der Schweiz ist die Weiterbildungsbeteiligung höher. Daher braucht es in Deutschland dringend einen Qualifizierungsschub – zumal die Beteiligung an Weiterbildungen seit mehr als zehn Jahren stagniert.
Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften sehen in dem Gesetzesentwurf zur Stärkung der Aus- und Weiterbildungsförderung (Weiterbildungsgesetz) erste wichtige und richtige Schritte, die jetzt auch zügig gegangen werden müssen und für die die Bundesagentur für Arbeit die nötigen Ressourcen bekommen muss.
Quelle: European Labour Force Survey, Eurostat
Anmerkung: Ungewichteter Durchschnitt für die OECD-Mitgliedsländer, für die Daten verfügbar sind. Als Referenzzeitraum für die Teilnahme an Qualifizierungsmaßnahmen gelten, wie in der Arbeitskräfteerhebung üblich, die vier Wochen vor der Befragung.
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Die Transformation, also der grundlegende Wandel unserer Wirtschaft, Arbeitswelt und Gesellschaft, wird u. a. durch Digitalisierung, Dekarbonisierung und ein verändertes Mobilitätsverhalten geprägt. Welche Folgen diese Transformationstreiber auf den Arbeitsmarkt haben, wurde in mehreren Studien untersucht. Im Ergebnis führt die Transformation zwar zu erheblichen Umbrüchen, aber nicht zu Einbrüchen. Denn durch die Transformationstreiber wird die Arbeit nicht beseitigt, sondern stark verändert. Im Wesentlichen erfordern die Umbrüche eine deutliche Änderung von Tätigkeiten und Kompetenzen, was nur über Qualifizierung aufgefangen werden kann.
Im IAB-Forschungsbericht 3/2022 wurden die Auswirkungen der Klimapolitik der Bundesregierung für Wirtschaft und Arbeitsmarkt untersucht. Sicherlich werden etablierte Jobs zum Beispiel durch die Elektromobilität verloren gehen. Gleichzeitig führt der ökologische Wandel aber auch zu einem Investitions- und Innovationsschub. Auf Grundlage bestimmter Annahmen (Erhöhung der Zahl an E-Autos auf 15 Millionen Fahrzeuge, die Erhöhung der Wasserstoffproduktion auf 10 Gigawatt, den Bau von zusätzlichen 100.000 Wohnungen pro Jahr, die Abschaffung der EEG-Umlage, die Steigerung des Anteils an Erneuerbaren Energien auf 80 Prozent am Strommix, die Steigerung des Anteils des Ökolandbaus auf 30 Prozent und den Austausch von Gasheizungen) ergeben sich Größenordnungen zum Arbeitsplatzabbau und -aufbau.
Im Saldo bedeutet dies, dass 400.000 Arbeitsplätze bis 2030 entstehen könnten. Dieser erhöhte Bedarf im Jahr 2030 schlägt sich in allen vier Anforderungsniveaus nieder. Am stärksten steigt der Bedarf mit über 220.000 Erwerbstätigen auf dem Niveau der Fachkräfte. Aber es entstehen gerade in den Berufsgruppen neue Jobs, die auch heute schon von Engpässen betroffen sind. Besonders hervorzuheben ist deshalb die Fachkräftesituation in Klempnerei, Sanitär, Heizung, Klimatechnik und der Energietechnik. Mehr lesen in der IAB-Studie.
Ein weiterer IAB-Forschungsbericht aus 2016 hat sich mit dem Thema Digitalisierung und die Folgen für Arbeitsmarkt und Ökonomie beschäftigt. Beim Vergleich einer im Jahr 2025 vollständig digitalisierten Arbeitswelt […] mit einer Welt, in der sich der technische Fortschritt bis zum Jahr 2025 am bisherigen Entwicklungspfad orientieren wird […], zeigt sich, dass die Auswirkungen der Digitalisierung auf das Gesamtniveau der Arbeitsnachfrage mit minus 30.000 Arbeitsplätzen und mit minus 60.000 im Jahr 2035 nicht ins Gewicht fallen […]. Allerdings werden sich diese beiden Arbeitswelten hinsichtlich ihrer Branchen-, Berufs- und Anforderungsstruktur deutlich unterscheiden.
Infolge des branchen- und berufsspezifischen Strukturwandels ergeben sich auch neue Anforderungen am Arbeitsplatz. Allerdings sind von der Digitalisierung zahlenmäßig weniger die Helfertätigkeiten betroffen. Hauptsächlich werden […] weniger Fachkrafttätigkeiten und mehr hochkomplexe Tätigkeiten nachgefragt. Diese Entwicklung sollte jedoch nicht als Risiko betrachtet werden, sondern vielmehr als Chance. So werden bereits heute über 35 Prozent aller hoch komplexen Tätigkeiten von Personen ausgeübt, die keine akademische Ausbildung haben. Trotz des weiter steigenden Anteils an Akademikern wird es auch langfristig Fachkräfte geben, die hoch komplexen Tätigkeiten nachgehen werden – vorausgesetzt, sie entwickeln ihre Kompetenzen laufend weiter.
Ein weiterer Umbruch entsteht durch einen tiefgreifenden Wandel des Mobilitätssystems. Frühere E-Mobilitäts-Studien führten zu deutlich ungünstigeren Ergebnissen bezüglich des Saldos von Arbeitsplatzaufbau und -abbau. Eine umfassendere Betrachtung unter Einbeziehung von Digitalisierung, neuen Mobilitätskonzepten sowie öffentlichen Verkehrskonzepten ergibt jedoch ein anderes Bild. Insbesondere bei der Organisation und Steuerung von neuen Verkehrssystemen können auch gute neue Jobs entstehen. Das […] MoveOn-Szenario [im Bericht des Bundesinstitut für Berufsbildung aus 2021] bildet die Welt eines dekarbonisierten, umweltfreundlichen, effizienten und bezahlbaren Mobilitätssystems in Deutschland ab. Nach […] [diesem] Szenario geht der Umbau hin zu einer ökologischeren Mobilität zudem nicht – wie eine erste Vermutung insbesondere mit Blick auf den Automobilstandort Deutschland befürchten ließe – mit einem Arbeitsplatzabbau, sondern sogar mit einem Zuwachs an Beschäftigung einher.
Dieser zeigt sich als Ergebnis aus Arbeitsplatzverlusten in einigen Branchen und Berufen und Zuwächsen in anderen Bereichen. Somit dürften […] die Auswirkungen eines sich verändernden Mobilitätsgeschehens in der Gesamtschau positiv ausfallen. Im Jahr 2040 werden rund 60.000 Erwerbstätige mehr beschäftigt sein als in der MoveOn-Basisprojektion. Mit Blick auf die Entwicklung des Arbeitskräftebedarfs differenziert nach Anforderungsniveaus zeigt sich, dass sich der erhöhte Bedarf im MoveOn-Szenario im Jahr 2040 im Vergleich zur MoveOn-Basisprojektion in allen vier Anforderungsniveaus niederschlägt. Am stärksten steigt der Bedarf mit über 20.000 Erwerbstätigen auf dem Niveau der Expertinnen und Experten, am geringsten bei Fachkräften.
Die Transformation bringt somit deutliche Umbrüche mit sich, die sich in einem Arbeitsplatzabbau und -aufbau widerspiegeln. Auch wenn in der Gesamtbetrachtung sogar mehr Arbeitsplätze entstehen, bedeutet dies, dass sich Beschäftigte und Menschen, die arbeitslos oder arbeitsuchend sind, neue Kenntnisse und Kompetenzen aneignen oder sich sogar umorientieren müssen. Dies kann aber nur gelingen, wenn Qualifikation auf die individuelle Situation zugeschnitten ist, es die Möglichkeit der Freistellung für Beschäftigte gibt und weder die Weiterbildungskosten an sich noch der Lebensunterhalt einer Weiterbildung entgegenstehen. Und es braucht eine flächendeckende gute Beratung.