Deutscher Gewerkschaftsbund

22.06.2023
Arbeitsmarkt: Zahl des Monats

Nur 8,1 Prozent der Erwachsenen in Deutschland bilden sich weiter

Damit liegt Deutschland bei der Weiterbildung 2022 im OECD-Vergleich im letzten Viertel. Besonders schwierig: Qualifizierung ist das zentrale Thema in der aktuellen Transformation. Denn die Transformation durch Wirtschaft 4.0, Klimaschutz und Mobilitätswandel bedeutet gravierende Änderungen von Tätigkeiten und Kompetenzen.

Teilnehmer von hinten bei einem Seminar

DGB/racorn/123rf.com

Obwohl Weiterbildung so wichtig ist wie nie zuvor, hatte 2022 vier Wochen vor der Befragung nur ein geringer Teil der Bevölkerung in Deutschland überhaupt an Qualifizierungsmaßnahmen teilgenommen. In Schweden ist die Weiterbildungsbeteiligung viermal so hoch wie in Deutschland. Aber auch in Ländern mit vergleichbaren Aus- und Weiterbildungssystemen wie zum Beispiel Österreich und der Schweiz ist die Weiterbildungsbeteiligung höher. Daher braucht es in Deutschland dringend einen Qualifizierungsschub – zumal die Beteiligung an Weiterbildungen seit mehr als zehn Jahren stagniert.

Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften sehen in dem Gesetzesentwurf zur Stärkung der Aus- und Weiterbildungsförderung (Weiterbildungsgesetz) erste wichtige und richtige Schritte, die jetzt auch zügig gegangen werden müssen und für die die Bundesagentur für Arbeit die nötigen Ressourcen bekommen muss.

Grafik zeigt, wie viele Erwachsene sich 2012 und 2022 weiteregebildet haben in OECD-Staaten

Quelle: European Labour Force Survey, Eurostat
Anmerkung: Ungewichteter Durchschnitt für die OECD-Mitgliedsländer, für die Daten verfügbar sind. Als Referenzzeitraum für die Teilnahme an Qualifizierungsmaßnahmen gelten, wie in der Arbeitskräfteerhebung üblich, die vier Wochen vor der Befragung.
DGB

Warum ist Weiterbildung in der Transformation so wichtig?

Die Transformation, also der grundlegende Wandel unserer Wirtschaft, Arbeitswelt und Gesellschaft, wird u. a. durch Digitalisierung, Dekarbonisierung und ein verändertes Mobilitätsverhalten geprägt. Welche Folgen diese Transformationstreiber auf den Arbeitsmarkt haben, wurde in mehreren Studien untersucht. Im Ergebnis führt die Transformation zwar zu erheblichen Umbrüchen, aber nicht zu Einbrüchen. Denn durch die Transformationstreiber wird die Arbeit nicht beseitigt, sondern stark verändert. Im Wesentlichen erfordern die Umbrüche eine deutliche Änderung von Tätigkeiten und Kompetenzen, was nur über Qualifizierung aufgefangen werden kann.

Auswirkungen der Klimapolitik auf die Arbeitswelt

Im IAB-Forschungsbericht 3/2022 wurden die Auswirkungen der Klimapolitik der Bundesregierung für Wirtschaft und Arbeitsmarkt untersucht. Sicherlich werden etablierte Jobs zum Beispiel durch die Elektromobilität verloren gehen. Gleichzeitig führt der ökologische Wandel aber auch zu einem Investitions- und Innovationsschub. Auf Grundlage bestimmter Annahmen (Erhöhung der Zahl an E-Autos auf 15 Millionen Fahrzeuge, die Erhöhung der Wasserstoffproduktion auf 10 Gigawatt, den Bau von zusätzlichen 100.000 Wohnungen pro Jahr, die Abschaffung der EEG-Umlage, die Steigerung des Anteils an Erneuerbaren Energien auf 80 Prozent am Strommix, die Steigerung des Anteils des Ökolandbaus auf 30 Prozent und den Austausch von Gasheizungen) ergeben sich Größenordnungen zum Arbeitsplatzabbau und -aufbau.

Im Saldo bedeutet dies, dass 400.000 Arbeitsplätze bis 2030 entstehen könnten. Dieser erhöhte Bedarf im Jahr 2030 schlägt sich in allen vier Anforderungsniveaus nieder. Am stärksten steigt der Bedarf mit über 220.000 Erwerbstätigen auf dem Niveau der Fachkräfte. Aber es entstehen gerade in den Berufsgruppen neue Jobs, die auch heute schon von Engpässen betroffen sind. Besonders hervorzuheben ist deshalb die Fachkräftesituation in Klempnerei, Sanitär, Heizung, Klimatechnik und der Energietechnik. Mehr lesen in der IAB-Studie.

Auch die Digitalisierung ändert die Anforderungen an Arbeitsplätze

Ein weiterer IAB-Forschungsbericht aus 2016 hat sich mit dem Thema Digitalisierung und die Folgen für Arbeitsmarkt und Ökonomie beschäftigt. Beim Vergleich einer im Jahr 2025 vollständig digitalisierten Arbeitswelt […] mit einer Welt, in der sich der technische Fortschritt bis zum Jahr 2025 am bisherigen Entwicklungspfad orientieren wird […], zeigt sich, dass die Auswirkungen der Digitalisierung auf das Gesamtniveau der Arbeitsnachfrage mit minus 30.000 Arbeitsplätzen und mit minus 60.000 im Jahr 2035 nicht ins Gewicht fallen […]. Allerdings werden sich diese beiden Arbeitswelten hinsichtlich ihrer Branchen-, Berufs- und Anforderungsstruktur deutlich unterscheiden.

Infolge des branchen- und berufsspezifischen Strukturwandels ergeben sich auch neue Anforderungen am Arbeitsplatz. Allerdings sind von der Digitalisierung zahlenmäßig weniger die Helfertätigkeiten betroffen. Hauptsächlich werden […] weniger Fachkrafttätigkeiten und mehr hochkomplexe Tätigkeiten nachgefragt. Diese Entwicklung sollte jedoch nicht als Risiko betrachtet werden, sondern vielmehr als Chance. So werden bereits heute über 35 Prozent aller hoch komplexen Tätigkeiten von Personen ausgeübt, die keine akademische Ausbildung haben. Trotz des weiter steigenden Anteils an Akademikern wird es auch langfristig Fachkräfte geben, die hoch komplexen Tätigkeiten nachgehen werden – vorausgesetzt, sie entwickeln ihre Kompetenzen laufend weiter.

Der Wandel von Mobilität bedeutet auch Umbrüche im Arbeitsleben

Ein weiterer Umbruch entsteht durch einen tiefgreifenden Wandel des Mobilitätssystems. Frühere E-Mobilitäts-Studien führten zu deutlich ungünstigeren Ergebnissen bezüglich des Saldos von Arbeitsplatzaufbau und -abbau. Eine umfassendere Betrachtung unter Einbeziehung von Digitalisierung, neuen Mobilitätskonzepten sowie öffentlichen Verkehrskonzepten ergibt jedoch ein anderes Bild. Insbesondere bei der Organisation und Steuerung von neuen Verkehrssystemen können auch gute neue Jobs entstehen. Das […] MoveOn-Szenario [im Bericht des Bundesinstitut für Berufsbildung aus 2021] bildet die Welt eines dekarbonisierten, umweltfreundlichen, effizienten und bezahlbaren Mobilitätssystems in Deutschland ab. Nach […] [diesem] Szenario geht der Umbau hin zu einer ökologischeren Mobilität zudem nicht – wie eine erste Vermutung insbesondere mit Blick auf den Automobilstandort Deutschland befürchten ließe – mit einem Arbeitsplatzabbau, sondern sogar mit einem Zuwachs an Beschäftigung einher.

Dieser zeigt sich als Ergebnis aus Arbeitsplatzverlusten in einigen Branchen und Berufen und Zuwächsen in anderen Bereichen. Somit dürften […] die Auswirkungen eines sich verändernden Mobilitätsgeschehens in der Gesamtschau positiv ausfallen. Im Jahr 2040 werden rund 60.000 Erwerbstätige mehr beschäftigt sein als in der MoveOn-Basisprojektion. Mit Blick auf die Entwicklung des Arbeitskräftebedarfs differenziert nach Anforderungsniveaus zeigt sich, dass sich der erhöhte Bedarf im MoveOn-Szenario im Jahr 2040 im Vergleich zur MoveOn-Basisprojektion in allen vier Anforderungsniveaus niederschlägt. Am stärksten steigt der Bedarf mit über 20.000 Erwerbstätigen auf dem Niveau der Expertinnen und Experten, am geringsten bei Fachkräften.

Jetzt wichtig: neue Kenntnisse und Kompetenzen am Arbeitsplatz mit Weiterbildung

Die Transformation bringt somit deutliche Umbrüche mit sich, die sich in einem Arbeitsplatzabbau und -aufbau widerspiegeln. Auch wenn in der Gesamtbetrachtung sogar mehr Arbeitsplätze entstehen, bedeutet dies, dass sich Beschäftigte und Menschen, die arbeitslos oder arbeitsuchend sind, neue Kenntnisse und Kompetenzen aneignen oder sich sogar umorientieren müssen. Dies kann aber nur gelingen, wenn Qualifikation auf die individuelle Situation zugeschnitten ist, es die Möglichkeit der Freistellung für Beschäftigte gibt und weder die Weiterbildungskosten an sich noch der Lebensunterhalt einer Weiterbildung entgegenstehen. Und es braucht eine flächendeckende gute Beratung.

Welche wesentlichen Maßnahmen beinhaltet das geplante Weiterbildungsgesetz und was sagt der DGB dazu?

  • Weiterentwicklung der Förderung beschäftigter Arbeitnehmer*innen: Der Zugang zur bisherigen Beschäftigtenqualifizierung ist erfreulicherweise deutlich erleichtert worden (z. B. Streichung der bisherigen Fördervoraussetzungen "Tätigkeiten im Kontext Strukturwandel oder Weiterbildung in einen Engpassberuf", nur noch mehr drei statt vier Betriebsgrößenklassen, feste Fördersätze).
  • Einführung Qualifizierungsgeld: Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften begrüßen ausdrücklich die Einführung des Qualifizierungsgeldes. Dieses auf Kollektivität (größere Gruppen und gemeinsames Handeln der Betriebsparteien als Voraussetzung) ausgerichtete Instrument war schon seit geraumer Zeit eine Forderung des DGB und seiner Mitgliedsgewerkschaften. Positiv wird zudem bewertet, dass auch Aufstiegsfortbildungen zur ersten Fortbildungsstufe (geprüfte/r Berufsspezialist*in) über das Qualifizierungsgeld förderbar sind. Die Öffnung des Qualifizierungsgeldes auch für diese Aufstiegsfortbildungen war vom DGB gemeinsam mit der IG Metall stark vorangetrieben worden. Da der Zugang zum Qualifizierungsgeld im Verhältnis zur Weiterentwicklung der Förderung beschäftigter Arbeitnehmer*innen deutlich voraussetzungsvoller ist, bleibt abzuwarten, wie sich die Inanspruchnahme entwickelt. Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften hatten Vorschläge unterbreitet, damit das Qualifizierungsgeld attraktiver wird: Förderung auch der Weiterbildungskosten, Verkürzung der Wartefrist von vier auf zwei Jahre und Ausgestaltung als Anspruchsleistung.
  • Geplante Bildungs(teil)zeit wieder aufgreifen: Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften bedauern die Streichung der geplanten Bildungs(teil)zeit aus dem Gesetzesvorhaben. Die Einführung einer Bildungs(teil)zeit ist wichtig, um Arbeitnehmer*innen bei selbstinitiierter Weiterbildung zu unterstützen. Die Bildungs(teil)zeit soll aber zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgegriffen werden. Damit diese auch zukunftsorientiert wirken kann, haben der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften bereits Empfehlungen unterbreitet. Die Förderhöchstdauer muss erhöht werden, damit auch geregelte abschlussbezogene Bildungsgänge für berufliche Neu- und Umorientierung möglich sind. Damit Geringverdienende die Bildungs(teil)zeit besser in Anspruch nehmen können, empfehlen der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften, die Einführung eines Mindestbetrags der Lebensunterhaltsförderung. Gleichzeitig sollte es ermöglicht werden, die Förderung mit tariflichen Vereinbarungen aufzustocken. Wichtig ist auch die Ergänzung eines Rechtsanspruches im Teilzeit- und Befristungsgesetz, damit Weiterbildungswünsche nicht an den bisher vorgesehenen Vereinbarungen mit dem Arbeitgeber scheitern.

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