Deutscher Gewerkschaftsbund

02.05.2022
einblick Mai 2022

"Solidarität muss immer wieder neu geschaffen werden"

Digitalisierung, Klima und Solidarität waren einige zentrale Themen der letzten Jahre. Im einblick-Interview spricht der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann über das Erfolgsrezept des DGB, die Bedeutung sozialer Sicherheit und worauf er sich in Zukunft freut.

Reiner Hoffmann, DGB-Vorsitzender, im Interview

DGB/Gordon Welters

Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt und damit auch die Gewerkschaften. Wie kann die Mitbestimmung mit der Digitalisierung Schritt halten?

Das digitale Zugangsrecht in die Betriebe für Gewerkschaften – wie im Koalitionsvertrag vereinbart – muss jetzt schnell kommen. Wenn wir Menschen nicht mehr am Arbeitsplatz erreichen können, wenn in den Unternehmen selbst digitale Instrumente genutzt werden, dann reicht es nicht mehr, wenn wir vor den Werkstoren Flugblätter verteilen. Dann müssen wir auf den Plattformen der Unternehmen die Mitarbeiter*innen in den Betrieben erreichen können, und zwar orts- und zeitunabhängig.

Welches Update braucht da auch das Betriebsverfassungsgesetz?

Bei unserem Reformvorschlag ist ein ganz entscheidender Punkt, die Einbindung von Betriebsräten am Anfang solcher Prozesse sicherzustellen, und nicht erst bei der Umsetzung. Dann ist es häufig zu spät, um Folgen für die Beschäftigten im Voraus mitzudenken. Und auch Gestaltungsoptionen zu nutzen. Dann ist sichergestellt, dass die Folgen für die Beschäftigten von Anfang an berücksichtigt werden.

DGB-Vorsitzender Reiner Hoffmann

DGB

Reiner Hoffmann ist seit 2014 DGB-Vorsitzender. Zuvor war er Stellvertretender Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes und Landesbezirksleiter Nordrhein der IG BCE. Seit 1972 ist Hoffmann Gewerkschaftsmitglied – in der IG Chemie, Papier, Keramik (heute IG BCE) – und Mitglied der SPD. Im Mai 2022 übergibt er auf dem Ordentlichen Bundeskongress den DGB-Vorsitz in neue Hände.

Wie können die Daten der Beschäftigten geschützt werden?

Die Digitalisierung birgt das Risiko der gläsernen Arbeitnehmer*innen, also absolute Kontrollmöglichkeiten für die Arbeitgeber. Deshalb brauchen wir einen arbeitnehmerbezogenen Datenschutz, der Beschäftigte vor einer vollständigen digitalen Überwachung schützt. Das zeigen zum Beispiel Erfahrungen bei Amazon, wo jeder Handgriff digital erfasst wird. Hier brauchen wir neue Schutzrechte.

Das Thema Umwelt- und Klimaschutz spielte in den letzten Jahren eine große Rolle. War das ein neuer Blickwinkel für die Gewerkschaften?

Die Themen Umwelt und nachhaltiges Wachstum sind für die Gewerkschaften immer schon wichtig gewesen. Betriebliche Interessenvertretungen haben konkrete Vorschläge gemacht für den effizienteren Umgang mit Energien, aber auch im Hinblick auf den Gesundheitsschutz der Beschäftigten oder die Umstellung von Produktionen hin zu umweltfreundlichen Alternativen und Arbeitsformen.

Wie kann der Übergang zu einer klimaneutralen Industrie, Wirtschaft und Gesellschaft gelingen?

Für Gewerkschaften war immer wichtig, dass Nachhaltigkeit ökologisch, sozial und wirtschaftlich gedacht werden muss. Wohl wissend, dass da auch Zielkonflikte entstehen können. Es ist gerade die Aufgabe von Gewerkschaften, hier Lösungen zu finden. Sie stellen sicher, dass ein „green deal“ immer auch ein „social deal“ ist, der den Menschen sichere Beschäftigungsperspektiven bietet. Wir haben in den letzten Jahren schon deutlich gemacht, dass wir einen viel schnelleren Übergang zu erneuerbaren Energien vornehmen müssen. Da haben Unternehmen und Politik vieles versäumt.

Eine „grüne Null“ – also der Weg weg von fossilen Brennstoffen – ist mit einer schwarzen Null nicht zu machen. Wir brauchen massive öffentliche und private Investitionen für die sozial-ökologische Transformation.

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Wie kann diese Transformation im Sinne der Beschäftigten gestaltet werden?

Auch hier kommt es darauf an, die Mitbestimmungsrechte deutlich zu stärken. Beispielsweise im Bereich Qualifizierung und Weiterbildung von Beschäftigten. Neue Arbeitsplätze werden entstehen, alte wegfallen. Die Beschäftigten müssen gut darauf vorbereitet werden, damit sie auch zukünftig eine sichere Beschäftigungsperspektive mit guter Arbeit haben.

Solidarität ist ein gewerkschaftlicher Grundwert. Durch die Krisen der letzten Zeit – Corona, Flutkatastrophe, Ukraine-Krieg – ist er ins gesellschaftliche Zentrum gerückt. Wird das bleiben?

Solidarität wird auch zukünftig einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert haben. Solidarität ist nichts Statisches, sie muss immer wieder neu geschaffen werden. Wir haben 2015 eine überwältigende Hilfsbereitschaft bei den Bürger*innen erlebt, als viele Geflüchtete nach Deutschland kamen. Wir haben in der Pandemie eine große Solidarität für Menschen in systemrelevanten Berufen gesehen. Zugleich wir wissen auch: Applaus für die Beschäftigten reicht nicht! Solidarität aus gewerkschaftlicher Perspektive heißt: Sie brauchen vernünftige Arbeitsbedingungen und eine ordentliche Bezahlung, um ein gutes Leben führen zu können.

Für Gewerkschaften geht es dabei immer um eine inklusive Solidarität – eine, die für alle gilt. Solidarität heißt für uns immer auch, klare Kante gegen Rechtsradikalismus, Chauvinismus und Fremdenfeindlichkeit zu zeigen. Und auch hier zeigt sich, dass wir jeden Tag aufs Neue dafür kämpfen müssen.

Die soziale Sicherheit der Menschen ist eine starke Waffe gegen den Rechtsnationalismus.

Die rassistischen Morde von Halle, Hanau und an Walter Lübke haben erneut bewiesen, dass rechte Gewalt Menschen tötet. Wie engagieren sich Gewerkschaften gegen rechts und für gesellschaftlichen Zusammenhalt?

Durch die Zahlen unserer Wahlauswertung „So wählen Gewerkschafter*innen“ wissen wir, dass auch Gewerkschaftsmitglieder nicht immun sind gegen rechtes Gedankengut. Wir erleben aber auch, dass in einer Arbeitswelt, in der es gute Tarifverträge und eine starke Mitbestimmung gibt, rechte und populistische Mythen deutlich weniger verfangen.

Deshalb ist die soziale Sicherheit der Menschen eine starke Waffe gegen den Rechtsnationalismus. Gerade in den letzten Wochen hat sich gezeigt, dass bei den Betriebsratswahlen rechte Gruppierungen keine Chance haben. Das ist auch der Erfolg von zigtausenden Betriebsräten, die in täglichen Auseinandersetzungen für gute Arbeit und gegen Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit kämpfen.

Die soziale Sicherheit der Menschen ist momentan durch stark steigende Preise in vielen Lebensbereichen strapaziert. Wie können Gewerkschaften hier unterstützend gegensteuern?

In der aktuellen Krise und der damit verbundenen Explosion der Preise für Energiekosten und Lebensmittel, zeigt sich, wie wichtig ein handlungsfähiger Staat ist. Die Tarifpolitik allein ist hier überfordert, solche heftigen externen Schocks aufzufangen. Bei extrem steigenden Preisen ist verantwortungsvolles, staatliches Handeln erforderlich und es wird deutlich, wie wichtig die sozialen Sicherungssysteme sind. Deswegen begrüßen wir die Hilfspakete, die die Bundesregierung aufgelegt hat.

Die EU hat 2017 die Europäische Säule Sozialer Rechte aufgelegt – hat die EU sozial abgeliefert?

Als die EU in Göteborg die Europäische Säule Sozialer Rechte beschlossen hat, war ich sehr skeptisch, ob daraus reale, soziale Fortschritte gelingen können. Von daher ist es ein Erfolg der Gewerkschaften, dass jetzt mit der Umsetzung der Säule handfeste, konkrete Politik gemacht wird. Zum Beispiel mit der EU-Richtlinie zu Mindestlöhnen in Europa, die die Mitgliedsstaaten auch klar verpflichtet, die Tarifbindung deutlich zu erhöhen.

Ein Durchbruch steht bevor, wenn es gelingt, den EU-Vorschlag zur Gestaltung der Plattformarbeit zu verabschieden. Dann würden endlich europäische Spielregeln gelten, die die Beschäftigten in der Plattformökonomie schützen. Das würde dazu führen, dass ihr Arbeitnehmerstatus anerkannt wird, sie damit unter den Schutz der sozialen Sicherungssysteme fallen und dass Gewerkschaften in der Plattformökonomie Tarifverträge erkämpfen können.

Wie sieht es mit der Gleichstellung von Frauen und Männern bei den Gewerkschaften aus?

Die Politik hat im Koalitionsvertrag das Jahrzehnt der Gleichstellung ausgerufen. Das war auch höchste Zeit. Der DGB ist da viele Schritte voraus. Von 18 Führungskräften in unseren DGB-Bezirken werden zukünftig 12 Frauen Verantwortung tragen. Das ist ein richtiger Durchbruch. Auch die Hans-Böckler-Stiftung wird mit Claudia Bogedan von einer Frau geleitet ebenso wie der DGB-Rechtsschutz mit Eva Pulfrich Mit Yasmin Fahimi hat der DGB Bundesvorstand zum ersten Mal eine Frau für die Spitze des DGB nominiert. Das finde ich klasse. Ihnen allen wünsche ich maximalen Erfolg!

Welche Erfolge haben der DGB und die Gewerkschaften in deiner Amtszeit erreicht?

Erfolge sind immer das Ergebnis erfolgreicher Teamarbeit. Und hier hatten wir wirklich ein tolles Team im Geschäftsführenden Bundesvorstand, mit den Bezirksvorsitzenden und mit den Gewerkschaften.

Wir waren immer dann erfolgreich, wenn die Gewerkschaften jenseits ihrer branchenspezifischen Themen große Geschlossenheit praktiziert haben. Beispielsweise beim Thema Rente: Unsere große Einigkeit war der Garant dafür, dass uns eine Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent gelungen ist. Alle Parteien hatten Vorstellungen, die teils deutlich darunter lagen.

Ist der DGB gut aufgestellt für die Zukunft?

Der DGB-Zukunftsdialog, den wir 2014 gestartet haben, ist eine echte Innovation. Es kam darauf an, das ehrenamtliche Engagement unserer Kolleginnen und Kollegen zu unterstützen und zugleich die Kampagnenfähigkeit des DGB in der Fläche zu stärken. Da ist richtig Gutes gelungen, damit unsere Botschaften auch vor Ort Gehör finden. An diesen Erfolgen muss jetzt weitergearbeitet werden.

Was wirst Du ab dem 9. Mai tun?

Ich werde ein bisschen mehr Zeit für Sport und Lesen haben. Das finde ich gut. Ich werde mich weiterhin ehrenamtlich engagieren, insbesondere beim Thema Soziales Europa.


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