Deutscher Gewerkschaftsbund

30.09.2019

Hoffmann: „Einheit ist Grundlage für unseren Erfolg“

Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann blickt auf 70 Jahre Gewerkschaftsgeschichte zurück. Im einblick-Interview berichtet er, warum er eine Uhr seines Vorgängers Heinz Oskar Vetter besitzt und wie ein Buch Anfang der 1990er Jahre den Kurs der Gewerkschaften beeinflusst hat.

DGB 1986

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Vor 70 Jahren ist der DGB gegründet worden. Was macht den Bund der Gewerkschaften aus?

Einer der größten Erfolge von Hans Böckler und anderen war es, die Zersplitterung in politische und konfessionelle Richtungsgewerkschaften zu beenden und den DGB nach dem Prinzip der Einheitsgewerkschaft zu gründen. Sie folgten damit der Aufforderung von Wilhelm Leuschner, der einen Tag vor seiner Hinrichtung durch die Nazis im September 1944 gesagt hat: „Morgen werde ich gehängt – schafft die Einheit“. Die Einheitsgewerkschaft ist heute Grundlage für unsere Erfolge.

Reiner Hoffmann

Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann im einblick-Interview über 70 Jahre Gewerkschaftsgeschichte DGB / Detlef Eden

Welche Erfolge sind das?

Ohne Einheitsgewerkschaften würde es heute keine Tarifautonomie im Modell der Sozialpartnerschaft geben. So konnten wir unter anderem die Unternehmensmitbestimmung in den 1970ern oder in der jüngeren Vergangenheit, den gesetzliche Mindestlohn, die Stabilisierung des Rentenniveaus auf 48 Prozent und die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der Krankenkassen durchsetzen. Bei all diesen Erfolgen haben die Gewerkschaften gezeigt, dass sie geschlossen im Bund der Gewerkschaften politische Handlungsstärke entwickeln.

Wo sind Beschäftigte weiterhin benachteiligt?

Die größten Probleme gibt es dort, wo sich Arbeitgeber der Sozialpartnerschaft verweigern und keine Tarifverträge abschließen wollen oder Arbeitgeberverbänden beitreten, die Mitgliedschaften ohne Tarifbindung ermöglichen. Tarifflucht ist eine ganz zentrale politische Herausforderung für alle DGB-Gewerkschaften. Wir wollen, dass Arbeitgeber auf gleicher Augenhöhe mit den Beschäftigten verhandeln – vor allem in Branchen, in denen es auf Grund der fehlenden Tarifbindung bis zu 25 Prozent weniger Lohn, weniger Urlaub und längere Arbeitszeiten gibt. Deshalb muss auch die Politik aktiv werden und dafür sorgen, dass die Tarifbindung wieder steigt.

Wie bist Du Gewerkschafter geworden?

Mein Vater war Maurer und Mitglied der IG Bau Steine Erden. Als kleiner Junge war ich stolz, die Mitgliedsmarken, die damals noch wöchentlich ausgegeben wurden, in sein Gewerkschaftsbuch zu kleben. Gewerkschaftsmitglied bin ich bereits vor meiner Ausbildung geworden. In meinem Ausbildungsbetrieb gab es zwar einen Betriebsrat aber keine Jugend- und Ausbildungsvertretung, das wollte ich ändern – leider ohne Erfolg. Wir waren nur fünf Auszubildende und Beschäftigte unter 25 Jahre. Kurz vor der Wahl hatte ein Kollege Geburtstag und war anschließend zu alt, um wahlberechtigt zu sein.

Dein erstes zentrales Thema war also die Mitbestimmung.

Stimmt. Ich werde auch heute noch richtig sauer, wenn ich erlebe, dass Betriebsratswahlen verhindert und Betriebsratsarbeit behindert wird.

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Welche GewerkschafterInnen hast Du in jungen Jahren bewundert?

Als DGB-Jugendlicher hatte ich Mitte der 1970er Jahre erstmals Kontakt mit dem damaligen DGB-Vorsitzenden Heinz Oskar Vetter. Unsere Wege haben sich dann häufiger gekreuzt. Als ich in den späten 1980er Jahren Referent bei der Hans-Böckler-Stiftung war, habe ich ihn etwa zu einem Workshop eingeladen. Da war er schon Abgeordneter im Europäischen Parlament. Ich habe außerdem ein Andenken von ihm: Vetter hat kurz vor seinem Tod seine Sitzungsuhr an einen seiner engen Mitarbeiter mit der Bitte verschenkt, diese Uhr bei Rentenbeginn an einen jungen Kollegen weiterzugeben. Diese Uhr steht nun auf meinem Schreibtisch.

Vor fast 30 Jahren hast Du gemeinsam mit anderen das Buch „Jenseits der Beschlusslage“ veröffentlicht. Worum ging es euch?

Das Land befand sich Mitte der 1980er Jahre in einer Umbruchphase. Auch durch die Erfolge der Gewerkschaften gab es in Deutschland eine stärkere Individualisierung und Pluralisierung von Lebensstilen. Die Menschen waren eigenständiger und emanzipierter als Generationen zuvor. Wir wollten mit dem Buch deutlich machen, dass künftige Gewerkschaftsarbeit dieser neuen Vielfalt gerecht werden muss. Gewerkschaften mussten lernen, unterschiedliche Arbeitnehmerinteressen zu akzeptieren. Es war zudem klar, dass Gewerkschaftsarbeit in Zeiten der Globalisierung europäischer und internationaler werden musste. Viele Ansätze wurden in den folgenden Jahren breit diskutiert und fanden teilweise Einzug in das bis heute gültige DGB-Grundsatzprogramm von 1996.

Wie sieht es heute aus?

Im DGB-Zukunftsdialog diskutieren wir aktuell mit den Menschen über Probleme, Sorgen und Herausforderungen, die sie bewegen. Es gilt als Gewerkschaften, die Lebensrealität der Menschen auch jenseits der Arbeit wahrzunehmen und die Themen aufzugreifen. Dabei geht es um bessere Infrastruktur, mehr ÖPNV, umweltgerechtes Wirtschaften oder bezahlbaren Wohnraum. Generell müssen sich Gewerkschaften als lernende Organisationen immer fragen, ob sie richtig aufgestellt sind, zum Beispiel bei der Vereinbarkeit von Arbeit und Umwelt. Gewerkschaften treiben den Umstieg von fossilen Energien in neue Technologien voran. Das sind enorme Herausforderungen, bei denen wir unsere Positionen im Dialog immer wieder neu bestimmen müssen. Nachhaltigkeit besteht für uns aus drei Säulen: sozial, ökologisch und ökonomisch.


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