Der Weg zur Dekarbonisierung der Wirtschaft ist nicht einfach. Das Handwerk ist dafür – als zentraler Umsetzungspartner einerseits und als eigener Wirtschaftsbereich andererseits – von großer Bedeutung. In welche Richtung es gehen kann und wie die Beteiligung des DGB und der Gewerkschaften dafür sorgt, dass die Beschäftigten dabei nicht auf der Strecke bleiben, zeigt eine Studie der Niedersachsen Allianz für Nachhaltigkeit (NAN) auf.
DGB/sdecoret/123rf.com
Wie kann sich die niedersächsische Wirtschaft klimaneutral aufstellen? Nicht ohne das Handwerk und nicht ohne seine Beschäftigten – Das unterstreicht eine von der Niedersachsen Allianz für Nachhaltigkeit (NAN) veröffentlichte Studie. Das Papier stützt gewerkschaftliche Forderungen.
Als Kooperation zwischen Landesregierung, Unternehmerverbänden, Kammern und Gewerkschaften verfolgt die Allianz das Ziel, den ökonomischen, ökologischen und sozialen Übergang zu einer treibhausgasneutralen Wirtschaft zu begleiten. Durch die Einbindung des DGB als Sozialpartner geht Niedersachsen mit gutem Beispiel voran. Denn häufig werden Beschäftigungsperspektiven bei ökologischen Fragen vernachlässigt. „Wir wollen eine gemeinsame Strategie, um aus den Beschäftigten Gestalter im Transformationsprozess zu machen. Ohne Beschäftigte wird keinem dieser Transformationsprozess gelingen", so Mehrdad Payandeh, Vorsitzender des DGB-Niedersachsen-Bremen-Sachsen-Anhalt.
In der Studie zur Dekarbonisierung der niedersächsischen Wirtschaft geht es um Handlungsmöglichkeiten für einen beschleunigten Übergang zur Treibhausgasneutralität. In Branchensteckbriefen zu den zentralen Wirtschaftszweigen werden spezifische Anforderungen wie Temperatur- und Rohstoffbedarfe, Anwendungsbereiche, aber auch die Rolle der Beschäftigten sowie zu erwartende Arbeitsmarkteffekte untersucht. Damit leistet die Studie Grundlagenarbeit, denn standort- und branchenspezifische Informationen zur Transformation fehlen – nicht nur in Niedersachsen.
Auch sonst beschreitet die Studie neue Pfade: Während bestehende Transformationsszenarien das Handwerk meist nicht gesondert betrachten, rückt es die neue Studie sogar doppelt in den Fokus. Einerseits als zentraler Umsetzungspartner bei der Installation von Klimaschutztechnologien und Sanierungen. Anderseits als Wirtschaftsbereich mit eigenen und von Branche zu Branche verschiedenen Emissionen und Energieanforderungen, aber auch Qualifikations- und Arbeitskräftebedarfen.
Ob durch die Installation von Wärmepumpen oder bei Gebäudesanierungen, im gewerblichen Segment oder privat: Handwerker*innen sind für die Umsetzung der Klimatransformation unerlässlich. „Enabler“, also „Möglichmacher“, nennt das Papier Kolleg*innen in klimarelevanten Berufen. Hinter dem Begriff verbirgt sich mehr als eine moderne Wortschöpfung. Es ist der unmissverständliche Fingerzeig, dass eine Klimawende ohne entsprechende Fachkräfte eben unmöglich ist.
Zwar identifizieren die Wissenschaftler*innen Fachkräftebedarfe in allen betrachteten Branchen. Allerdings wird die Verfügbarkeit von Handwerker*innen als „zentrales Hemmnis für die Erreichung der notwendigen Umbauziele“ genannt. Deshalb sei die Förderung von Weiterbildungs- und Nachqualifizierungsoptionen im Bereich Klimaschutz besonders wichtig.
Hier deckt sich die Transformationsstudie mit bestehenden Forderungen von Beschäftigtenseite. In ihrer Regensburger Erklärung erneuerten die Arbeitnehmervizepräsident*innen des Handwerks jüngst den Ruf nach einer neuen Kultur der Aus-, Fort- und Weiterbildung. Wichtig sei es, nicht nur die Fachkräfteausbildung zu fördern, sondern auch Abwanderungstendenzen entgegenzutreten.
Diese sind im Handwerk ein hausgemachtes Problem. Befragungen weisen auf eine schlechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf, unterdurchschnittliches Einkommen und mangelnde Tarifbindung in vielen Branchen und Betrieben hin. Volle Auftragsbücher führen dazu, dass dies übersehen wird. Möglichmacher*innen der Klimawende werden so selten mit fairen Arbeitsbedingungen belohnt. Ansatzhebel etwa über eine stärkere Tarifbindung durch ein Tariftreuegesetz sind zu lange folgenlos diskutiert worden und müssen auch mit Blick auf Klimafragen endlich Teil einer ernsthaften Fachkräftebindungsoffensive werden.
Abseits der Beschäftigten sieht die Studie das Handwerk nicht nur als „Enabler“. Betrachtet wird auch der Transformationsbedarf der Betriebe selbst. In Niedersachsen entfallen auf das Handwerk schätzungsweise 11,9 Prozent der energiebedingten Co₂-Emissionen und 10,5 Prozent des Primärenergieverbrauchs. Auch wenn Vermeidungsstrategien stark von Branche und Gewerbe abhängen, sehen die Autor*innen Chancen in der Dekarbonisierung von Prozesswärme und in einer Steigerung der Energieeffizienz.
Entsprechende Technologien stünden häufig bereit, allerdings würden Fördermaßnahmen noch von zu wenigen Betrieben angenommen. Hürden lägen bei einer nicht hinreichenden Passgenauigkeit der verfügbaren Förderangebote sowie in aufwendigen Antragsprozessen.
Die Entwicklung und Förderung von digitalen Ökosystemen ist ein erster Ansatzpunkt der Gewerkschaften. Hierbei geht es um die Vernetzung des Handwerks mit Energieberater*innen, Genehmigungsbehörden und Fördermittelgeber*innen. Das Ziel ist es, dass die Beteiligten effizient und fachübergreifend projektbezogen zusammenarbeiten. Doppelarbeiten müssen verhindert, Verbraucher*innen, Handwerker*innen und Genehmigungsbehörden von Bürokratie entlastet werden.
Letztlich veranschaulicht die Studie der NAN die komplexen branchenspezifischen wie -übergreifenden Hürden der Transformation. Dabei wird deutlich, dass der knappe zeitliche Rahmen zum Erreichen der Klimaziele die Zusammenarbeit aller am Wirtschaftsprozess Beteiligten erfordert. An der Notwendigkeit, Arbeitnehmer*innen als Treiber der Transformation ernst zu nehmen, lässt das Papier jedenfalls keine Zweifel.
Studie und Branchensteckbriefe zum Download unter: www.nachhaltigkeitsallianz.de
Was ist das Projekt PerSePlus? Im Erklärfilm kommen die Projektverantwortlichen, Akteure sowie Teilnehmer*innen des Projektes zu Wort. Ein Film von Arbeit und Leben und des Deutschen Gewerkschaftsbundes.
PerSe PLUS ist das Projekt "Perspektive Selbstverwaltung – Das Bildungsprojekt zur Stärkung der Selbstverwaltung des Handwerks". PerSe PLUS unterstützt Selbstverwalterinnen und Selbstverwalter im Handwerk, um den Strukturwandel im Handwerk begleiten und gestalten zu können.