Deutscher Gewerkschaftsbund

27.03.2019

"Faire-Kassenwahl-Gesetz": So nicht, Herr Spahn

Die Große Koalition will ein weiteres Gesetz mit wohlklingendem Namen auf den Weg bringen: Das „Faire-Kassenwahl-Gesetz“. Doch Fairness ist nur ein Teilaspekt des Pakets. Es geht um tiefgreifende Änderungen bei der Organisation und den Finanzen. Damit heizt Gesundheitsminister Spahn die Privatisierung des Gesundheitssystems und die Konkurrenz unter den gesetzlichen Kassen an, warnt DGB-Vorstand Annelie Buntenbach.

Patient reicht Arzthelferin eine Krankassenkarte

DGB/racorn/123rf.com

Die hauptamtlichen Vorstände der großen Krankenkassen jubeln, die Opposition spricht von „gezielter Provokation“. Und der Gesundheitsminister kündigt an, den ehrenamtlichen Vertretern der Versicherten und Beitragszahler in der sozialen Selbstverwaltung des Krankenkassen-Spitzenverbandes den Stuhl vor die Tür zu stellen: Es bahnt sich eine breite Debatte um einen Entwurf aus dem Bundesgesundheitsministerium für das so genannte „Faire-Kassenwahl-Gesetz“ an.

Der Name hört sich erstmal gut an. Er verspricht: Mehr Auswahl für die Versicherten. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Hinter dem harmlosen Namen verbirgt sich eine weitreichende Finanz- und Organisationsänderung bei den Krankenkassen, mit der das Konkurrenzprinzip im Gesundheitssystem weiter in Richtung Spitze getrieben wird und der Privatisierung der Weg geebnet werden soll.

Was soll sich ändern?

Bei dem Gesetzentwurf geht es vor allem um den Risikostrukturausgleich (RSA) bei den gesetzlichen Krankenkassen. Er gleicht die unterschiedlichen Krankheitsrisiken bei den Mitgliedern und Familienversicherten der Krankenkassen aus. Denn während die Versicherten einiger Kassen gut verdienen und relativ gesund sind – also wenig Kosten verursachen – haben andere Kassen viele Ältere, Kranke und ärmere Versicherte, für deren gesundheitliche Versorgung mehr Mittel notwendig sind. Deshalb müssen alle Krankenkassen die Beiträge der Versicherten in einen Gesundheitsfonds einzahlen. Dieser wird durch Steuermittel ergänzt und dann wieder nach bestimmten Regeln an die gesetzlichen Krankenkassen ausgeschüttet.

Davon profitieren mal die einen, mal die anderen - und schon seit jahren wird über die Regeln für die Verteilung der Mittel gestritten. Einige Kritiker bemängeln, dass die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOKen), die den Versicherten nur regional begrenzt offenstehen, bevorzugt würden. Doch auch regional gibt es Unterschiede bei den Kosten für die Versorgung der Versicherten: In strukturstarken Regionen ist die Gesundheitsversorgung teurer als in strukturschwachen Regionen.

Die Eckpunkte für die Finanz- und Organisationsänderungen sehen jetzt unter anderem vor:

  • bundesweite Öffnung bislang regional begrenzter Krankenkassen, darunter Innungskrankenkassen, Betriebskrankenkassen und AOKen
  • Reform des Risikostrukturausgleichs
  • bundesweit einheitliche Zuweisungen bei regional unterschiedlichen Ausgabenstrukturen
  • Abschaffung der ehrenamtlichen Vertreter der Versicherten und Arbeitgeber der Strukturen des GKV- Spitzenverbandes (Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen)
Brandgefährlich: Das Wettbewerbsprinzip auf die Spitze treiben

Aus Sicht der Gewerkschaften sind die von Minister Spahn vorgeschlagenen Änderungen für die gute Versorgung der Versicherten brandgefährlich. „Wenn die Vorschläge so umgesetzt würden, würden Preiskampf und Konkurrenzdruck der Kassen untereinander auf die Spitze getrieben. Schon jetzt sind die Kassen dazu verleitet, sich besonders um junge, gesunde und gutverdienende Versicherte zu bemühen. Das würde sich dann mit noch mehr Wettbewerb bei den Leistungen, Tarifen und Angeboten weiter eklatant verschärfen“, warnt DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach.

„Das ist der Einstieg in die Abschaffung der sozial selbstverwalteten, solidarischen Gesundheitsversorgung. Es ist ein Fehler, das soziale System einseitig in Richtung Privatisierung und Konkurrenz auszurichten", so Buntenbach weiter. Dass mehr Wettbewerb im Kassensystem das Allheilmittel für eine bessere Versorgung ist, ist eine vollkommen unbewiesene Annahme. Stattdessen führt mehr Konkurrenz dazu, dass nicht der Mensch im Mittelpunkt der Gesundheitspolitik steht, sondern Wettbewerb und Organisation. „Das ist alles andere als fair – und schon gar nicht gerecht“, mahnt Buntenbach.

Sozialpartnerschaft und Soziale Selbstverwaltung

Bundesminister Jens Spahn hat außerdem damit begonnen, die soziale Selbstverwaltung abzuschaffen. Bislang entscheiden sowohl Versicherte als auch Arbeitgeber durch ihre gewählten Vertreter im GKV-Spitzenverband über die wichtigen Fragen in der Krankenversicherung mit. Jetzt will Spahn, dass der Verwaltungsrat des GKV-Spitzenverbands nur noch mit den hauptamtlichen Vorstandsvorsitzenden der Krankenkassen besetzt ist. Den bislang ehrenamtlich arbeitenden Vertreterinnen und Vertretern der Versicherten und Arbeitgebern will er den Stuhl vor die Tür stellen und so die soziale Selbstverwaltung abschaffen.

„Dieser Vorschlag ist aus Sicht der Gewerkschaften komplett inakzeptabel und durch nichts zu rechtfertigen. Die Soziale Selbstverwaltung als Teil der Sozialpartnerschaft ist ein Erfolgsmodell“, sagt Annelie Buntenbach. „Dieser Plan widerspricht auch vollkommen den bisherigen Bekenntnissen der Regierungskoalition."

Verbesserungen in allen Ehren – aber so geht es aus Sicht der Gewerkschaften nicht. 


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