Das Ausmaß der Armut stagniert in Deutschland seit Jahren auf hohem Niveau. Fast 13 Millionen Menschen sind von Armut bedroht. Was das bedeutet, zeigt der DGB-Faktencheck.
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Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) bezeichnet die Aussagen,
als Zerrbilder, die nicht der Wirklichkeit entsprechen.
Die Zahlen des 5. Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung (2017) zeigen:
1.
Das Ausmaß der Armut stagniert in Deutschland seit Jahren auf hohem Niveau. Die Armutsrisikoquote lag 2015 bei 15,7 Prozent. Somit ist jede und jeder Sechste arm oder von Armut bedroht. In absoluten Zahlen sind das fast 13 Millionen Menschen. Die Bundesregierung stellt in ihrem Armutsbericht (S. 386) fest: „Menschen aber, die einmal unter die Armutsrisikoschwelle geraten, tun sich vergleichsweise schwer, diesen Zustand zu überwinden.“
Mit anderen Worten: Millionen Menschen verharren in Deutschland in Armut.
2.
Von den abhängig Beschäftigten sind 7,6 Prozent arm oder armutsgefährdet. Besonders häufig von Armut betroffen sind prekär Beschäftigte (Armutsrisikoquote 19,2 Prozent), insbesondere Minijobber/innen (25,7 Prozent) und Leiharbeiter/innen (17,7 Prozent).
Mit anderen Worten: Viele Menschen können von ihrer Arbeit nicht – frei von Armut – leben.
Nach dem Armutsbericht der Bundesregierung gelten Personen als arm und armutsgefährdet, die über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens (Median) verfügen. Diese Armutsgrenze ist allgemein anerkannt und entspricht den Konventionen der EU.
Armut ist in hochentwickelten Gesellschaften wie Deutschland etwas anderes als nackte Not und Elend. Armut bedeutet, dass ein mittlerer Lebensstandard, der für ein Land typisch ist, in sehr weiter Ferne liegt. Armut bedeutet, sich die Dinge nicht leisten zu können, die für die meisten selbstverständlich zum Leben dazugehören. Armut heißt „Abgehängt-Sein“ und ist eine Frage des Abstands zur Wohlstandsnormalität in der Mitte der Gesellschaft.
Genau dieses „Abgehängt-Sein“ von einem mittleren Lebensstandard wird mit der 60-Prozent-Armutsgrenze erfasst. Die Armutsrisikoquote ist somit ein sachgerechter Ausdruck für Armut in hochentwickelten Gesellschaften.
In 18 europäischen Ländern ist der Anteil der von Armut betroffenen Personen niedriger als in Deutschland, in 14 Ländern höher (gemessen an der 60-Prozent-Armutsgrenze und bezogen auf das jeweilige, mittlere Einkommen der Länder; Jahr, 2015; Eurostat 2017).
Das von der BDA behauptete sehr niedrige Ausmaß der Armut in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ergibt sich nur, wenn Armut als extreme Unterversorgung verstanden wird. In diesem Konzept der sogenannten materiellen Entbehrung wird beispielsweise abgefragt, ob es aus finanziellen Gründen nicht möglich ist, die Wohnung ausreichend zu heizen oder jeden zweiten Tag eine Mahlzeit mit Fleisch, Fisch oder gleichwertiger Proteinzufuhr einzunehmen.
Laut BDA ist eines der besten Mittel gegen das Armutsrisiko „eine prosperierende Wirtschaft mit einer geringen Arbeitslosigkeit“. Genau diese Situation – Wirtschaftswachstum und einen erfreulichen, deutlichen Rückgang der Arbeitslosigkeit – erleben wir in Deutschland in den letzten Jahren. Trotzdem stagniert die Armut in Deutschland auf hohem Niveau. Wirtschaftswachstum und eine günstige Entwicklung am Arbeitsmarkt führen eben nicht automatisch dazu, dass von Armut betroffene Personen zur Mitte hin aufholen können und aus der Armut herauskommen. Um Armut wirksam zu bekämpfen, sind gute Arbeitsplätze mit auskömmlichen Löhnen erforderlich sowie Sozialleistungen, die wirksam vor Armut schützen.