Deutscher Gewerkschaftsbund

03.12.2012
Arbeitsmarkt auf den Punkt gebracht 04/2012

Hubert Hüppe: "Nicht auf die Fähigkeiten Schwerbehinderter verzichten"

Menschen mit Handicap haben es schwer auf dem Arbeitsmarkt, ihre Arbeitslosenquote stagniert seit Jahren auf hohem Niveau. Hubert Hüppe, Schwerbehindertenbeauftragter der Bundesregierung, sieht die Arbeitgeber in der Pflicht. Er will Vorbehalte gegen die angeblich mangelnde Leistungsfähigkeit schwerbehinderter Menschen abbauen. Viele seien genauso produktiv wie andere Beschäftigte.

Hubert Hüppe, Behindertenbeauftragter der Bundesregierung

Hubert Hüppe (MdB) ist Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen in der 17. Wahlperiode. Hüppe ist Mitglied des Deutschen Bundestages. www.behindertenbeauftragter.de

Im Vergleich zur allgemeinen Arbeitslosenquote ist die Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen seit Jahren überdurchschnittlich hoch. Wurde dagegen nicht genug unternommen oder ist dies kaum zu ändern?

Hubert Hüppe: Auf jeden Fall will ich mich nicht damit abfinden! Es gibt aus meiner Sicht unterschiedliche Stellen, an denen man ansetzen kann, um die Situation zu verbessern. Arbeitgeber, die schwerbehinderte Menschen bei Einstellungen bisher kaum im Blick hatten, müssen sich mehr gegenüber dem Thema öffnen. Es wird oft nur darauf geschaut, was jemand nicht kann und nicht darauf, was jemand kann. Um bei Unternehmerinnen und Unternehmern mehr Aufgeschlossenheit zu schaffen, veranstalte ich gemeinsam mit den Industrie- und Handelskammern vor Ort in diesem und im nächsten Jahr eine Konferenzreihe zum Fachkräftepotenzial von Menschen mit Behinderung..

Außerdem muss es ein Unternehmensziel sein, Menschen im Betrieb zu halten, bei denen sich im Laufe des Erwerbslebens eine Behinderung einstellt. Das Betriebliche Eingliederungsmanagement, das dieses Ziel verfolgt, funktioniert überall dort, wo es zusammen mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, insbesondere den Schwerbehindertenvertretungen, erarbeitet wird. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen müssen dabei unterstützt werden, das Betriebliche Eingliederungsmanagement auch wirklich einzusetzen.

Zudem müssen Jugendliche mit Behinderung die Chance haben, ihre Ausbildung in Betrieben des allgemeinen Arbeitsmarkts zu machen. Derzeit scheinen Ausbildungen in außerbetrieblichen Einrichtungen, etwa Werkstätten für behinderte Menschen oder in Berufsbildungswerken, oft immer noch naheliegender. Ein Budget für Ausbildung und Beschäftigung könnte die Ausbildungschancen für Jugendliche mit Behinderung in Betrieben stärken.

Es gibt zahlreiche Unterstützungsmöglichkeiten für Unternehmen, wenn sie Menschen mit Behinderung beschäftigen. Von der Arbeitsplatzgestaltung bis zu finanziellen Zuschüssen. Dennoch ist die Beschäftigungsquote viel zu gering, Was sind die Ursachen?

Die größte Beschäftigungsbarriere ist, dass Menschen mit und ohne Behinderung in getrennten Lebenswelten aufgewachsen sind. Viele Arbeitgeber, aber auch Kolleginnen und Kollegen, haben deshalb Vorbehalte und sind unsicher gegenüber Menschen mit Behinderung. Beispiele von Betrieben, in denen behinderte Menschen selbstverständlich mitarbeiten, helfen am besten, diese Barrieren in den Köpfen abzubauen. Außerdem gilt es, anstatt die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen, von Anfang an gegenzusteuern, mit gemeinsamen Kindertagesstätten, Schulen, aber auch barrierefreien Freizeitmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche.

Daneben ist es für viele kleine und mittlere Unternehmen, die keine großen Personalabteilungen haben, oft schwierig, einen Überblick über die vorhandenen Unterstützungsmöglichkeiten zu bekommen. Das gilt übrigens vor allem für Unternehmen, die nicht der Beschäftigungspflicht unterliegen, aber vielleicht trotzdem Interesse haben, einen Menschen mit Behinderung zu beschäftigen. Wichtig ist deshalb, insbesondere bei Arbeitsagenturen und Integrationsämtern, einen Ansprechpartner zu haben, der die Informationen bündelt und konkrete Lösungswege mit dem Unternehmen bespricht.

Mit der „Initiative Inklusion“ fördert die Bundesregierung Ausbildungs- und Arbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen. Die finanzielle Förderung allein reicht aber offensichtlich nicht aus, um die Arbeitsmarktchancen für schwerbehinderte Menschen nachhaltig zu verbessern?  Was kann noch getan werden?

Es gibt viele schwerbehinderte Menschen, die genauso produktiv arbeiten wie andere Beschäftigte. Die finanzielle Förderung ist deshalb nur ein Aspekt und oft gar nicht nötig. Ich will den Blick vor allem darauf lenken, was Menschen mit Behinderung leisten können und dass wir nicht auf ihre Fähigkeiten verzichten sollten. Man muss herausfinden, wo die Stärken jedes Einzelnen liegen, manche behinderte Menschen benötigen technische oder finanzielle Unterstützung für ihre Eingliederung in den Arbeitsmarkt, andere nicht. Manche Menschen mit Behinderung sind aufgrund Ihrer Behinderung für bestimmte Tätigkeiten sogar besser geeignet. Das zeigen etwa die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Unternehmens Auticon in Berlin, das Asperger-Autisten im IT-Bereich einsetzt. Wenn wir den Blick stärker auf das lenken, was behinderte Menschen leisten können, anstatt sie über ihre Defizite zu definieren, dann sind wir schon einen guten Schritt vorwärtsgekommen.

Eine höhere Ausgleichsabgabe für einen Teil der Unternehmen und bessere Förderung und Betreuung der Arbeitslosen – das schlägt der DGB vor, um dauerhaft mehr schwerbehinderte Menschen in Beschäftigung bringen. Was halten sie von den Vorschlägen?

Ich habe, als die damalige rot-grüne Bundesregierung die Pflichtquote von sechs Prozent  auf fünf Prozent gesenkt hat, im Bundestag dagegen gestimmt. Hierzu stehe ich noch heute, insbesondere weil der demografische Wandel dazu führt, dass in den kommenden Jahren immer mehr Menschen mit Behinderung dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen werden.

In der Diskussion um die Ausgleichsabgabe wird zu wenig thematisiert, wie die Mittel der Ausgleichsabgabe eingesetzt werden. Heute werden immer noch zweistellige Millionenbeträge aus der Ausgleichsabgabe außerhalb des allgemeinen Arbeitsmarkts eingesetzt. Hier müsste man ansetzen, um schwerbehinderte Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt besser zu unterstützen.


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Ar­beits­markt­stu­die: Wei­ter­hin ho­he Bar­rie­ren für be­hin­der­te Men­schen
Rollstuhlfahrer
DGB/Simone M. Neumann
Mit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention hat sich Deutschland 2009 verpflichtet, den Arbeitsmarkt komplett barrierefrei zu gestalten. Das bedeutet: Gleiches Recht auf Arbeit für behinderte Menschen. Doch drei Jahre später ist die Arbeitslosenquote bei diesen unverändert hoch.
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