Die Corona-Krise hat die Umverteilung von unten nach oben verstärkt. Doch das Problem geht weit über die aktuelle Pandemie hinaus, wie der Finanzexperte Gerhard Schick skizziert.
Colourbox.de
Es gibt wenig, worüber wir uns so einig sind: 87 Prozent der Deutschen stimmen der Aussage zu, dass „die ungleiche Verteilung von Einkommen und Vermögen zunehmend zu einem Problem für den Zusammenhalt der Gesellschaft in Deutschland wird“. Die Fakten bestätigten diese Einschätzung, der Trend zur sozialen Ungleichheit hält an. Dies spiegelt sich unter anderem in den Einkommen wider: Seit den 1970er Jahren nehmen die Einkommen aus Arbeit einen immer geringeren Anteil bei der Gesamtaufteilung der Gelder ein, die Vermögen aus Kapitalerträgen einen immer größeren. Schuld an dieser Situation ist eine jahrzehntelang armutsfördernde Politik: Deregulierung des Arbeitsmarktes, Senkung der gesetzlichen Rente, Abschaffen des gemeinnützigen Wohnungsbaus etc. Parallel wurden die Steuern am oberen Ende gesenkt und die Vermögenssteuer abgeschafft. Die Folge: mehr Reiche, mehr Arme und weniger Menschen in der Mitte.
Unterschätzt wird häufig die Rolle des Finanzmarkts. Dabei wirkt er wie eine große Umverteilungsmaschine von unten nach oben. Dies ist auch während der Corona-Krise zu beobachten. So haben einige Hedgefonds im März innerhalb weniger Tage Milliarden damit verdienten, dass sie auf den Niedergang von Firmen wetteten, die gerade mit ihren Angestellten ums Überleben kämpften. Auf der anderen Seite sind insbesondere Haushalte mit geringen Einkommen von Corona besonders betroffen und erleiden große Einnahmeausfälle. Ein Teil dieser Menschen gerät dann schnell an Banken mit übertrieben hohen Dispozinsen von bis zu 13,75 Prozent oder Inkassofirmen mit überhöhten Gebühren.
"Einige Hedgefonds haben im März innerhalb weniger Tage Milliarden damit verdienten,
dass sie auf den Niedergang von Firmen wetteten, die gerade mit ihren Angestellten ums Überleben kämpften."
Doch die problematische Umverteilungswirkung des Finanzmarkts besteht nicht nur in Krisenzeiten. Ich finde es empörend, wie manche aus der Finanzbranche mit den finanziell Ärmsten der Gesellschaft umgehen und sie aus der Bahn werfen. Bei Ratenkrediten und Basiskonten beispielsweise langen viele Banken und Sparkassen übertrieben hin und nehmen den finanziellen Abstieg ihrer Kunden in Kauf. Die Targo-Bank etwa, stark präsent bei Konsumentenkrediten, erzielt eine Eigenkapital-Rendite von rund 40 Prozent!
Milliardäre dagegen müssen in der Regel seltener befürchten, dass sie ausgeplündert werden. Privatbanken und Co. hätscheln die großen Vermögen liebevoll. Den Vermögenden tut das auf zweierlei Weise gut: Erstens werden Lehman-Zertifikate und ähnlicher Unsinn vielen begüterten Menschen gar nicht erst angeboten, da sie ihre Beraterin direkt bezahlen und dadurch kein Vertriebsdruck herrscht. Zweitens liegt die Vergütung, die der Berater erhält, prozentual gesehen unter dem, was der Normalanlegerin abgeknöpft wird. Kleinsparer und Mittelvermögende müssen also anteilig häufig mehr zahlen, damit sich um ihr Geld gekümmert wird, und erhalten gleichzeitig die schlechteren Produkte.
"Manche Geschäftsmodelle, wie etwa der Hochfrequenzhandel, bei dem im Millisekundentakt riesige Aktienpakete hin und her geschoben werden, haben zwar keinerlei gesellschaftlichen Mehrwert, bringen aber wenigen Finanzprofis Gewinne zu Lasten aller anderen."
Hinzukommt, dass in der Regel nur Reiche Geld in Anlagen mit oftmals besonders hohen Renditen stecken können. Teils muss man sogar 100 000 Euro und mehr mitbringen. Der Steuerraub CumEx mit seinen Traumrenditen etwa wurde nur sehr begüterten Anlegern angeboten. Ähnliches gilt für Finanzkonstrukte zur Steuervermeidung in Schattenfinanzzentren wie den Cayman Islands.
Weniger sichtbar, aber in der Auswirkung nicht zu unterschätzen ist die Umverteilung zugunsten der Finanzwirtschaft, die sich durch die Finanzialisierung ergibt. Immer häufiger fallen Erträge nicht in den Sektoren an, in denen sie eigentlich erwirtschaftet werden, sondern bei Finanzunternehmen wie Private Equity Fonds. Kein Wunder, dass Finanzzentren in den letzten Jahren boomten, während Regionen industrieller Wertschöpfung deutlich hinterherhinkten. Manche Geschäftsmodelle, wie etwa der Hochfrequenzhandel, bei dem im Millisekundentakt riesige Aktienpakete hin und her geschoben werden, haben zwar keinerlei gesellschaftlichen Mehrwert, bringen aber wenigen Finanzprofis Gewinne zu Lasten aller anderen.
Wer sich diesen Phänomenen am Finanzmarkt nicht entgegenstellt, wird die Verteilungsfrage nicht lösen können. Ziel muss es sind, die Finanzmärkte wieder in den Dienst der gesamten Gesellschaft zu stellen – und dafür auch kleiner zu machen. Genau dafür setzen wir uns mit Finanzwende ein.
Gerhard Schick, 48, war von 2005 bis 2018 Mitglied des Deutschen Bundestages. Seit Juli 2018 ist er Vorstand der „Bürgerbewegung Finanzwende“ für eine nachhaltige Finanzwirtschaft.
„Der Finanzmarkt zieht uns das Geld aus der Tasche. Unfairer Umgang mit Sparvermögen und unserer Altersvorsorge, gigantischer Steuerbetrug und dreiste Immobilienspekulation machen uns das Leben schwer.“ Darum ist höchste Zeit für eine Finanzwende. Das fordert Finanzexperte Gerhard Schick in seinem neuen Buch „Die Bank gewinnt immer“. Neue Regeln und Maßnahmen müssen her und kriminelle Akteure gestoppt werden.
Er beleuchtet kriminelle Machenschaften wie Steuerbetrug und Geldwäsche, verdeutlicht, wie dreiste Immobilienspekulationen und das Geschäft mit hochriskanten Geldanlagen die Umverteilung von arm nach reich befördern, und legt offen, wie Lobbyisten geschickt wichtige Gesetze ausbremsen. Denn auch wenn es noch nicht alle realisiert haben, bekommen die Bürger die Auswirkungen der Finanzmarktvergiftung längst zu spüren: Berufsunfähigkeitsversicherungen zahlen selbst bei langer Krankheit nicht, obwohl sie genau für diesen Fall abgeschlossen wurden. Sogenannte Geierfonds kaufen Schuldtitel armer Staaten zum Schnäppchenpreis auf und klagen dann die Rückzahlung auf voller Höhe ein, nachdem verantwortungsvolle Staaten das Land durch einen Schuldenerlass wieder stabilisiert haben. Schick zeigt trotz allem, eine bürgerfreundliche Finanzwelt ist möglich.
Gerhard Schick: Die Bank gewinnt immer – Wie der Finanzmarkt die Gesellschaft vergiftet, 256 Seiten, Campus Verlag, 22 Euro