Sozialkürzungen werden oft mit dem demografischen Wandel begründet. Ist eine älter werdende Bevölkerung tatsächlich eine Gefahr für die Sozialsysteme? Nein, denn die Nachhaltigkeit der sozialen Sicherung ist ein Verteilungsproblem. Das war einer der Standpunkte bei einer Diskussion im Rahmen der DGB-Ringvorlesung „Wohlstand ohne Wachsen?“ von DGB und Technischer Universität (TU) am 6. Dezember in Berlin.
Demografie gelte in den Debatten um die Sozialsysteme häufig als Bedrohung, kritisierte Norbert Reuter vom Bereich Wirtschaftspolitik beim ver.di-Bundesvorstand. Mit dem Argument, immer weniger Junge müssten für immer mehr Alte sorgen, würde beispielsweise bei der Rente ein politischer Sachzwang konstruiert, den es so gar nicht gibt. Denn dabei werde der Produktivitätsfortschritt völlig außer Acht gelassen. „Wir müssen die Werte zählen, nicht die Köpfe“, so Reuter. Dann sei eine schrumpfende Bevölkerung sogar ein Vor- statt ein Nachteil. Denn angesichts steigender Produktivität und steigendem Bruttoinlandsprodukt nehme die Pro-Kopf-Wertschöpfung sogar zu.
Das Problem sei nicht, dass es zu wenig zu verteilen gäbe, so Reuter. Das Problem sei die ungerechte Verteilung selbst. In den vergangenen zehn Jahren hätten sich die Arbeitseinkommen preisbereinigt auf sehr niedrigem Niveau entwickelt und seien teilweise gar zurückgegangen. Im selben Zeitraum seien Gewinne aus Kapital deutlich gestiegen. „Wenn die Sozialsysteme primär von den Arbeitseinkommen abhängen, muss man sich nicht wundern, dass es dort Probleme gibt, wenn das Wachstum bei den Arbeitseinkommen nicht mehr ankommt“, erklärte Reuter. Er forderte deshalb unter anderem eine Steuerreform, die Vermögen wieder stärker belastet, Arbeitsmarktreformen, die für höhere Beschäftigungsquoten und mehr reguläre Beschäftigung sorgen sowie eine breitere Finanzierungsgrundlage der Sozialsysteme.
Aus der Finanzierung der Sozialsysteme hätten sich die Arbeitgeber in den vergangenen Jahren immer mehr zurückgezogen, erklärte Dr. Stephan Fasshauer von der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Berlin-Brandenburg. Das sei eine Entwicklung, die stärker thematisiert werden müsste. Den Ausstieg aus der paritätischen Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung bezeichnete Fasshauer als „Fehlentwicklung“.
„Man braucht keine Angst haben vor der Demografie“, so der Rentenversicherungs-Experte, „wir müssen nur mutig sein, den Weg zu gestalten.“ Mit den Reformen seit Ende der 1980er Jahre sei die gesetzliche Rentenversicherung bereits gut und nachhaltig aufgestellt. Eine der wichtigsten Herausforderungen für die Sozialpartner sei es künftig, ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Beschäftigung zu halten. „Demografie bedeutet für Deutschland eben nicht nur, dass wir weniger Menschen werden, sondern auch, dass diese Menschen immer älter werden. Wir brauchen die Älteren und es wird eine große Aufgabe, sie auch im Alter gesundheitlich fit und in Arbeit zu halten“, so Fasshauer.