Die Arbeitswelt wandelt sich, die Industrie wandelt sich – also muss es auch eine gestärkte, offensive Mitbestimmung geben. Denn die flexible, digitalisierte Wirtschaft braucht mehr, nicht weniger Arbeitnehmer-Mitbestimmung – so der Tenor der DGB-Veranstaltung zur "Woche der Industrie".
DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell diskutierte auf der DGB-Veranstaltung im Rahmen der "Woche der Industrie" mit Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, Wissenschaft und Betrieben DGB/Simone M. Neumann
Am 19. September 2016 startete das Bündnis "Zukunft der Industrie" die "Woche der Industrie". Auf mehr als 300 Veranstaltungen diskutierten Verbände, Unternehmen und Wissenschaft, welchen Nutzen die Industrie für die Gesellschaft hat – und wie sie sich in den nächsten Jahren verändern wird.
Auch der DGB beteiligte sich an der Aktionswoche – und diskutierte am 22. September in der Landesvertretung der Hansestadt Bremen in Berlin das Thema "Mitbestimmung für eine starke Industrie".
Bremens Bürgermeister Carsten Sieling bei der Eröffnung der DGB-Veranstaltung zur "Woche in der Industrie" in der Landesvertretung Bremens in Berlin DGB/Simone M. Neumann
Das Thema Arbeitnehmer-Mitbestimmung habe der DGB ganz bewusst zum Thema der "Woche der Industrie" gemacht, sagte der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann zur Eröffnung der Veranstaltung – auch, wenn das einigen Arbeitgebern nicht gefallen habe. "Wenn wir davon überzeugt sind, dass Mitbestimmung kein Standortnachteil, sondern ein Standortvorteil für Deutschland ist – dann muss man das Thema auch in der Industriepolitik und der Strukturpolitik stark machen", so Hoffmann.
"Mitbestimmung in Industriepolitik und Strukturpolitik stark machen" - der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann auf der DGB-Veranstaltung im Rahmen der "Woche der Industrie" DGB/Simone M. Neumann
Prof. Dr. Kerstin Jürgens, Co-Vorsitzende der Kommission "Arbeit der Zukunft" der Hans-Böckler-Stiftung, beleuchtete in ihrem Input zur Veranstaltung unter anderem den Zusammenhang von Mitbestimmung, Demokratie und Arbeitswelt: "Wer Gute Arbeit hat", so Jürgens, "dürfte weniger anfällig für einfache Lösungen rechter Stimmenfänger sein." Die aktuellen politischen Entwicklungen zeigten, dass "die Menschen ein gewisses Maß an Stabilität und auch ein gewisses Maß an Sicherheit" bräuchten. Deshalb sei es wichtig zu fragen, was die Mitbestimmung in der Arbeitswelt dazu beitragen könne.
Prof. Dr. Kerstin Jürgens, Co-Vorsitztende der Kommission "Arbeit der Zukunft" der Hans-Böckler-Stiftung DGB/Simone M. Neumann
Die "wohl schwierigste, aber auch wichtigste Aufgabe", so Jürgens, werde darin bestehen, Wettbewerb und Markt aus Arbeitnehmersicht "abzusichern". Man müsse die Frage klären, wie man die aufstrebende Plattform-Ökonomie und Global Player der Digitalisierung "eingrenzen kann". Auch Industrie-Unternehmen müssten in Zukunft ein Eigeninteresse an der Regulierung weltweit marktbeherrschender Unternehmensgiganten wie Google haben, um mit eigenen innovativen Ideen im Wettbewerb bestehen zu können.
Prof. Kerstin Jürgens, @boeckler_de-Kommission #ArbeitDerZukunft: Erreichte Standards auf Plattformökonomie übertragen. #WocheDerIndustrie pic.twitter.com/jQNXHyjib0
— DGB-Bundesvorstand (@dgb_news) 22. September 2016
Ein Beispiel guter Mitbestimmungs-Praxis in der Industrie präsentierte Dr. Peter Cammerer, Betriebsrat am Standort München der BMW AG. Bei BMW hatte der Betriebsrat in einem Industrieunternehmen eine wegweisende Betriebsvereinbarung zu mobilem Arbeiten durchgesetzt – inklusive eines Rechts auf Nichterreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeiten.
Dr. Peter Cammerer, Betriebsrat bei BMW, stellt die Betriebsvereinbarung zu mobilem Arbeiten vor DGB/Simone M. Neumann
Welche Auswirkungen die Digitalisierung auf die Mitbestimmung und etwa den Beschäftigtendatenschutz in Industrieunternehmen haben kann, schilderte in der abschließenden Diskussionsrunde Hans Georg Diekmann, Gesamtbetriebsratsvorsitzender beim Glas-Verpackungshersteller Ardagh Glass: Nicht nur innerhalb eines Unternehmens, auch entlang einer international vernetzten Wertschöpfungskette spiele das eine Rolle. Wenn etwa ein Zulieferer Produktionsdaten an den Auftraggeber weitergebe, könne der Auftraggeber einsehen, ob Schicht A oder Schicht B weniger Produktionsfehler mache. Wenn dann der Auftraggeber fordere, nur noch mit Produkten von der "fehlerfreieren" Schicht A beliefert zu werden, könne das massive Folgen für die Beschäftigten der anderen Produktionsschicht haben. Solche Themen müsse Mitbestimmung in Industrieunternehmen angehen.
Beim Thema Digitalisierung und Mitbestimmung beobachte sie bei vielen Unternehmen inzwischen eine "positive Lernkurve", sagte Yasmin Fahimi, Staatsekretärin im Bundesarbeitsministerium. Den Unternehmen werde bewusst, "dass es viele Themen gibt, denen sie sich jetzt stellen müssen". Wer im Wettbewerb um Fachkräfte stehe, berücksichtige zunehmend auch Arbeitnehmerinteressen, wenn es um flexible Arbeitszeitgestaltung gehe. Sie beobachte allerdings mit Sorge, dass der deutsche Arbeitsmarkt auseinanderzudriften drohe: In einen Teil mit mitbestimmten und tarifgebundenen Unternehmen, in denen Lösungen für die Herausforderungen der Digitalisierung gefunden würden. Und in einen anderen Teil mit Betrieben ohne Betriebsrat und Tarifverträge, in dem sich Deutschland im europäischen Vergleich teilweise zum "Niedriglohnland" entwickelt habe.
Zum Abschluss der Veranstaltung forderte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell, die Möglichkeiten der Arbeitnehmer-Mitbestimmung an die Herausforderungen der digitalisierten Wirtschaft und Arbeitswelt anzupassen: "Wir brauchen eine Mitbestimmung 4.0 für die Arbeitswelt und die Industriepolitik der Zukunft", so Körzell.
DGB-Vorstand @SKoerzell auf DGB-Veranstaltung zur #WocheDerIndustrie: Mitbestimmung 4.0 für Arbeitswelt und Industriepolitik der Zukunft. pic.twitter.com/WSTlxZRW6M
— DGB-Bundesvorstand (@dgb_news) 22. September 2016
Körzell machte außerdem deutlich: Viele Herausforderungen der Digitalisierung lassen sich nur lösen, wenn Arbeitnehmer auf Augenhöhe mit den Arbeitgebern agieren könnten. Dazu brauche es mehr denn je eine starke Mitbestimmung.
.@SKoerzell bei #WocheDerIndustrie: Gestaltung flexibler Arbeit im Betrieb nur möglich mit Arbeitnehmern auf Augenhöhe mit Arbeitgebern. pic.twitter.com/KVioDhj8ap
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