Deutscher Gewerkschaftsbund

01.08.2023
Arbeitnehmerentsendung und mobile Beschäftigte

Soziale Absicherung über Grenzen sichern

HBS Studie „Reform des grenzüberschreitenden Austauschs von Sozialversicherungsdaten bei Entsendung“

Die soziale Absicherung von grenzüberschreitend mobilen Beschäftigten ist eine zentrale Aufgabe des Sozialen Europas. Da es in der EU kein einheitliches Sozialrecht gibt, soll die Koordinierung der Sozialversicherungssysteme sicherstellen, dass Sozialversicherungsansprüche wie Arbeitslosen-, Gesundheits- und Familienleistungen über Grenzen hinweg gelten. Der DGB fordert einen umfassenden Sozialschutz für mobile Beschäftigte. Beschäftigte müssen wirksamer vor Missbrauch geschützt werden.

Nahaufnahme eines Schutzhelms, den ein Bauarbeiter auf dem Hintergrund der EU-flagge hält

DGB/svershinsky/123rf.com

Grundlage für die Koordinierung der Sozialversicherungssysteme ist ein komplexes Regelwerk, das zur Zeit mit der Überarbeitung der EU-Verordnung zur Koordinierung der Sozialsysteme an die aktuellen Herausforderungen angepasst werden soll. Die Verhandlungen laufen seit 2018, bislang ist es Kommission, Parlament und Rat allerdings nicht gelungen, einen Kompromiss zu finden. Gleichzeitig arbeitet die Europäische Kommission seit vielen Jahren daran, den grenzüberschreitenden Austausch von Sozialversicherungsdaten durch verschiedene Digitalisierungsprojekte einfacher und sicherer zu machen. Das sogenannte elektronische Austauschsystem EESSI ermöglicht es Sozialversicherungsträgern, Sozialdaten auszutauschen. Zudem soll ein Europäischer Sozialversicherungspass (ESSPASS) es mobilen Bürgerinnen und Bürgern zukünftig ermöglichen, die Echtheit und Gültigkeit ihres Versicherungsschutzes gegenüber Behörden nachweisen zu können. Der ESSPASS wird aktuell im Rahmen eines Pilotprojekts der Kommission entwickelt.

Arbeitnehmerentsendung: Missbrauch bei Sozialversicherung verhindern

Besonders komplex und missbrauchsanfällig ist der Sozialversicherungsschutz und der Austausch von Sozialdaten im Bereich der Arbeitnehmerentsendung. Entsandte Beschäftigte werden im Rahmen von Dienstleistungsaufträgen von einem EU-Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat für zum Teil kurzfristige Arbeitseinsätze „entsandt“. Für die Dauer der Entsendung bleiben die Beschäftigten für maximal 24 Monaten in ihrem Heimatstaat sozialversichert. Die sogenannte A1-Bescheinigung dokumentiert hierbei, welches Sozialversicherungsrecht auf den mobilen Beschäftigten angewendet wird.

Die A1-Bescheinigung ist jedoch missbrauchs- und fehleranfällig. So ist es bisher legal, eine A1-Bescheinigung erst nach Beginn der Tätigkeit im Arbeitsstaat zu beantragen. In der Praxis kommt es immer wieder zu Fällen von Sozialversicherungsmissbrauch, in dem Sozialversicherungsbeiträge von Arbeitgebern nicht oder nicht in vollem Umfang abgeführt werden. Zudem kommt es bei der Ausstellung von A1-Bescheinigungen in Papierform in der Praxis zum Beispiel durch falsche Schreibweisen häufig zu Schwierigkeiten bei der Zuordnung der Beschäftigten und/oder des Arbeitgebers. Zurzeit gibt es für die Kontrollbehörden nur sehr unzureichende und langwierige Möglichkeiten bei Missbrauchsverdacht, die Authentizität der A1-Bescheinigung und der Angaben in der A1-Bescheinigung zu überprüfen.

Forderung des DGB: Beschäftigte wirksam schützen

Aus Sicht des DGB bieten die aktuellen Reformansätze der Europäischen Kommission richtige Ansätze, um die Verfahren zu vereinfachen und sicherer zu machen, reichen aber noch nicht aus, um die Beschäftigten wirksam vor Missbrauch zu schützen. Der DGB setzt sich für einen zügigen Abschluss der Verhandlungen der VO 883/2004 ein, um einen umfassenden und lückenlosen Sozialschutz mobiler Beschäftigter sicherzustellen und missbräuchliche Praktiken wirksamer zu bekämpfen. Dabei ist es aus Sicht des DGB zentral, dass die A1-Bescheinigung zwingend vorab beantragt werden muss. Um Sozialversicherungsmissbrauch von Arbeitgeberseite wirksam zu bekämpfen, braucht es zudem wirksame digitale Lösungen, wie einen verbindlichen Sozialversicherungspass und die Möglichkeit, einschlägige Dokumente, wie die A1-Bescheinigung, in Echtzeit zu überprüfen.

Reformen nötig bei der Arbeitnehmerentsendung

Die aktuelle Studie der Hans-Böckler-Stiftung „Reform des grenzüberschreitenden Austauschs von Sozialversicherungsdaten bei Entsendung“ beschäftigt sich mit der komplexen Rechtslage und Praxis und dem Reformbedarf des Austauschs von Sozialversicherungsdaten am Beispiel der Arbeitnehmerentsendung. In der Studie kommen Prof. Dr. Manfred Walser und Anneliese Kärcher zu dem Ergebnis, dass der grenzüberschreitende Austausch von Sozialversicherungsdaten bei Entsendungen Reformen sowohl im europäischen sozialversicherungsrechtlichen Koordinierungsrecht wie auch auf nationaler Ebene erfordert.

Folgende Reformvorschläge können nicht nur die Unternehmen entlasten und den Europäischen Binnenmarkt stärken, sondern auch den sozialen Schutz der Beschäftigten deutlich erhöhen:

  • Digitalisierte und vereinfachte Verfahren unter Nutzung moderner Technologien,
  • einheitliche Gestaltung der Beantragung der A1-Bescheinigung und der Entsendemeldung in einem einfach zu handhabenden digitalen System,
  • die Stärkung der Verbindlichkeit der A1 Bescheinigung durch eine verbindliche Vorabbeantragung und Mitführungspflicht sowie
  • eine eindeutige Identifizierbarkeit der Beteiligten.

Die HBS-Studie zum Nachlesen:

Grenzüberschreitender Austausch von Sozialversicherungsdaten (PDF, 1 MB)

Rahmenbedingungen und Reformoptionen sozialer Sicherung bei Entsendung, von Anneliese Kärcher und Manfred Walser.

Sozialversicherungsdaten bei Entsendung (PDF, 433 kB)

Kurzgutachten zur Reform der grenzüberschreitenden Koordination sozialer Sicherung, von Anneliese Kärcher und Manfred Walser.

Social security data for posting of workers (PDF, 402 kB)

Reform of cross border coordination of social security (English version, Anneliese Kärcher and Manfred Walser)


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