DGB/Simone M. Neumann
Bei den Themen Arbeitszeit und Vereinbarkeit von Privatem und Beruf haben die Gewerkschaften nicht abgewartet bis die Politik für ein gutes Angebot sorgt: Die Gewerkschaften haben ganz konkret, im Rahmen des tarifvertraglich Möglichen, eine bessere Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf erkämpft. Doch auch der Staat bleibt in der Pflicht. Der DGB-klartext.
Das Thema Arbeitszeit spielt wieder eine große Rolle für die Beschäftigten in Deutschland. In einer groß angelegten Umfrage der IG Metall gaben zuletzt mehr als zwei Drittel der Befragten an, sich eine kürzere Arbeitszeit zu wünschen:
Grafik: DGB
Immer mehr Tarifverträge reagieren darauf und schaffen neue Möglichkeiten, die Arbeitszeit an individuelle Bedürfnisse und unterschiedliche Lebensphasen anzupassen. Die IG Metall verankerte in ihrem jüngsten Tarifabschluss beispielsweise einen individuellen Anspruch auf eine befristete Reduzierung der Arbeitszeit sowie eine Möglichkeit, zusätzliche freie Tage in Anspruch zu nehmen, wenn Beschäftigte Kinder erziehen, Angehörige pflegen oder in Schichtarbeit arbeiten. Damit geht sie über die Gesetzeslage hinaus, die immer noch keinen individuellen Anspruch auf befristete Arbeitszeitreduzierung vorsieht.
Im vergangenen Jahr vereinbarte die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) in ihrem Tarifabschluss für die Deutsche Bahn AG eine Wahloption: Die Beschäftigten konnten zwischen einer zusätzlichen Entgelterhöhung und sechs Extra-Tagen Urlaub wählen. 56 % der Beschäftigten entschieden sich für die freien Tage - ein klares Votum für mehr selbstbestimmte Zeit. In der Tarifrunde der Chemie Ost 2017 hat die IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) einen Tarifabschluss erwirkt, mit dem Arbeitszeit betrieblich innerhalb fester Leitplanken bedarfsgerecht festgelegt werden kann.
In all diesen Fällen haben die Gewerkschaften nicht abgewartet bis die Politik für ein gutes Angebot an Betreuungs- und Pflegeinrichtungen sorgt oder allen Beschäftigten ein garantiertes Recht auf befristete Teilzeit eingeräumt wird. Die Gewerkschaften haben ganz konkret, im Rahmen des tarifvertraglich Möglichen, eine bessere Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf erkämpft.
Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Staat nach wie vor in der Pflicht steht. Einen Anspruch auf befristete Teilzeit haben alle Beschäftigten verdient! Der Gesetzgeber muss an das Thema Arbeitszeit ran – allerdings im Sinne der Masse der Beschäftigten! Auf keinen Fall darf er den Arbeitgeber-Lobbyisten nachgeben und eine immer weitgehendere Entgrenzung der Arbeitszeit befördern. Arbeits- und Gesundheitsschutz gebieten es, die geltenden Grenzen der wöchentlichen Arbeitszeit nicht zu verwischen.
Auch muss der Staat mehr für eine umfangreiche soziale Infrastruktur mit ausreichend gut bezahltem und qualifiziertem Personal tun. Schließlich können professionelle Pflege und menschenwürdige Betreuung durch gewerkschaftlich erkämpfte freie Tage oder eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit nicht vollkommen ersetzt werden. Ob sich Beschäftigte eine Reduzierung der Arbeitszeit auch ohne große Einbußen leisten können, hängt zudem davon ab, wie es (über die tariflich geregelten Kompensationszahlungen hinaus) gelingt, mit Steuerpolitik den Rückgang der Nettolöhne und -gehälter zu dämpfen. Auch deshalb tritt der DGB für einen deutlich höheren Grundfreibetrag, gegen den starken Anstieg der Steuer-sätze im unteren und mittleren Einkommensbereich und für ein familienfreundlicheres Steuersystem ein.