Bundesbildungsministerin Anja Karliczek will die Mindestausbildungsvergütung an das Schüler-BAföG koppeln - für mehr Gerechtigkeit. Doch sie vergleicht dabei "Äpfel mit Birnen", kritisiert DGB-Vize Elke Hannack: Anders als Schüler zahlen Azubis Sozialabgaben - und hätten nach diesem Vorschlag über 100 Euro pro Monat weniger in der Tasche.
DGB/nshirokova/123rf.com
Bundesbildungsministerin Anja Kaliczek will mit einer Mindestausbildungsvergütung die Leistung von Azubis anerkennen und ihnen Wertschätzung zukommen lassen. Das hat sie beim DGB-Tag der Berufsbildung in Berlin gesagt - und das klingt auch erstmal gut und richtig. Das Problem: Sie will die Höhe nicht, wie der DGB, an die tariflichen Ausbildungsvergütungen koppeln, sondern an das Schüler-BAföG, eine Sozialleistung also, die vollzeitschulisch Auszubildende erhalten. Und übersieht dabei, dass Auszubildende von ihrer Vergütung Arbeitslosen-, Kranken-, Unfall- und Rentenversicherungsbeiträge abführen müssen, Berufsfachschüler/nnen von ihrem BAFöG nicht.
Die praktische Wirkung dieses Vorschlags wäre also, dass Auszubildende mit Mindestausbildungsvergütung deutlich schlechter gestellt werden als Berufsfachschüler/innen mit BAföG-Anspruch. Das wird am Beispiel einer 20-jährigen Auszubildenden im ersten Ausbildungsjahr (Lohnsteuerklasse I, ohne Kinder, ohne Kirchensteuer, Berlin) deutlich:
BAföG für Berufsfach-schüler/innen |
Mindest-ausbildungsvergütung nach |
Mindest-ausbildungsvergütung nach DGB-Vorschlag |
|
Brutto | 504,00 € | 504,00 € | 635,00 € |
Sozialabgaben | 0,00 € | 103,19 € | 130,02 € |
Netto | 504,00 € | 400,81 € | 504,98 € |
Die Umsetzung des Vorschlags der Bildungsministerin wäre verheerend, nicht nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern für die duale Ausbildung insgesamt.
DGB/Simone M. Neumann
„Mit ihrem Vorschlag hat sich Anja Karliczek in der Brutto-Netto-Falle verheddert", sagt die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack. "In ihrem Entwurf zur Mindestvergütung vergleicht sie brutto mit netto, eine Vergütung mit einer Sozialleistung – und damit Äpfel mit Birnen.
Die vermeintliche Gleichwertigkeit der beruflichen Bildung wird mit diesem Vorschlag ad absurdum geführt. Geht es nach Anja Karliczek, bekommen Azubis mit Mindestvergütung exakt 103,19 Euro netto im Monat weniger als Berufsfachschüler mit BAföG-Anspruch. Anerkennung sieht anders aus.“
Maßgeblich für die Vergütung von Auszubildenden ist grundsätzlich die branchenübliche tarifliche Ausbildungsvergütung. Sie darf maximal um 20 Prozent unterschritten werden und soll mindestens einmal im Jahr angehoben werden, analog zur fortschreitenden Berufsausbildung. Sachleistungen etc. dürfen nicht auf die tarifliche Vergütungen angerechnet werden. Überstunden sind gesondert zu vergüten. Die Höhe der Mindestausbildungsvergütung darf nicht unterschritten werden.
Die Mindestausbildungsvergütung sollte bei 80 Prozent der durchschnittlichen tariflichen Ausbildungsvergütungen liegen. Das ergibt für das 1. Ausbildungsjahr eine Mindestvergütung von zur Zeit 635 Euro (2. Ausbildungsjahr: 696 Euro; 3. Ausbildungsjahr: 768 Euro; 4. Ausbildungsjahr: 796 Euro; Stand: 2017). Einjährige, einer Ausbildung vorgeschaltete Berufsorientierungen, die die Tarifpartner vereinbart haben, fallen nicht unter die Mindestausbildungsvergütung.
Alle anderen tariflichen Leistungen dürfen nicht mit der Mindestausbildungsvergütung verrechnet werden. Das Günstigkeitsprinzip ist zu gewährleisten. Damit bleiben gute Tarifverträge weiterhin das Maß der Dinge.
Die jährliche, automatische Anpassung geschieht auf Grundlage der vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) ermittelten durchschnittlichen Steigung der tariflichen Ausbildungsvergütung. Die Behörden der Zollverwaltung haben die notwendigen Einsichts- und Prüfrechte analog § 15 MiloG; der Ausbildende ist zur Mitwirkung verpflichtet. Die Vorschriften zur Generalunternehmerhaftung gem. § 13 MiloG gelten entsprechend. Die zuständigen Stellen (z.B. Kammern) sind ebenfalls aufgefordert, die Einhaltung der Mindestausbildungsvergütung zu kontrollieren.
In der außerbetrieblichen Ausbildung (in BBiG/HwO-Berufen), die durch staatliche Programme oder auf gesetzlicher Grundlage mit öffentlichen Mitteln finanziert wird, sowie in schulischer Berufsausbildung gelten die tariflichen Ausbildungsvergütungen bisher nicht. Die hier geleisteten Ausbildungsvergütungen liegen dabei erheblich niedriger als die tariflichen Sätze. Deshalb ist in § 79 und § 123 SGB III zu regeln, dass die Vergütung auch bei der außerbetrieblichen Ausbildung die Mindestausbildungsvergütung nicht unterschreitet.
Darüber hinaus bekräftigen der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften ihre Forderung, dass eine Mindestausbildungsvergütung auch für betrieblich-schulische Ausbildung (z. B. in Gesundheits-, Pflege- und Sozialberufen) gelten muss.