Deutscher Gewerkschaftsbund

19.06.2006
Dietmar Hexel

Mehr als eine Million Euro ist zuviel

Ein Interview der Berliner Zeitung

Berliner Zeitung: Herr Hexel, Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann hat im vergangenen Jahr knapp zwölf Millionen Euro verdient, RWE-Boss Harry Roels 6,8 Millionen. Ein durchschnittlicher Industriearbeiter kam hingegen auf einen Jahreslohn von 30 500 Euro. Ist Deutschlands Wirtschafts-Elite zu gierig?

Dietmar Hexel: In der Regel ist sie das nicht. Betrachtet man Unternehmen aller Größenordnungen, bekamen deutsche Manager im vergangenen Jahr im Schnitt Vergütungen von rund 350 000 Euro. Das ist viel Geld, aber bei herausgehobenen Tätigkeiten mitunter vertretbar. Es gibt jedoch auch sehr viele Manager, die mehr als eine oder zwei Millionen Euro pro Jahr erhalten. Das halte ich dann nicht mehr für angemessen.

Warum nicht?

Ein Manager ist ein Angestellter des Unternehmens und nicht dessen Eigentümer. Deshalb muss seine Vergütung in einem vernünftigen Verhältnis zu der der übrigen Mitarbeiter im Betrieb stehen. Klaus Rauscher, der Vorstandschef des Energiekonzerns Vattenfall Europe, vertritt die Auffassung, dass sich ein angestellter Manager mit einem Gehalt von einer Million Euro pro Jahr begnügen sollte. Ich kann dem nur zustimmen. Und ich möchte ergänzen: Vergütungen ab zwei Millionen Euro sind überhaupt nicht mehr vermittelbar. Die Menschen empfinden sie auch als unanständig.

In den Aufsichtsräten sämtlicher Aktiengesellschaften sitzen Arbeitnehmervertreter. Welche Möglichkeiten haben Sie, exzessive Vergütungen zu verhindern?

Da wir in den Aufsichtsräten keine Stimmenmehrheit haben, sind unsere Mittel begrenzt. Oft werden Vergütungsfragen auch in speziellen Aufsichtsrat-Ausschüssen behandelt, in denen wir nicht oder nur mit einer Stimmen vertreten sind. Gleichwohl dringen wir in den Aufsichtsräten darauf, dass die Manager-Gehälter im Rahmen bleiben. Oft tun wir das übrigens auch gemeinsam mit Vertretern der Kapitalseite.

Bedeutet das, dass Managern häufiger Gehaltserhöhungen verwehrt werden?

Das kommt durchaus vor. Insbesondere bei MDax-Unternehmen, also den Konzernen aus der zweiten Reihe der Börse. Da die Kontrollgremien zu Vertraulichkeit verpflichtet sind, gelangen solche Fälle aber nie an die Öffentlichkeit. Die Top-Verdiener unter den Wirtschaftsführern verweisen darauf, dass in ausländischen Chefetagen noch viel mehr gezahlt wird. Da herrscht seitens der deutschen Manager eine sehr selektive Wahrnehmung. Man sollte nicht immer nur in die USA schielen, sondern beispielsweise auch mal nach Japan. Dort bekommen Spitzenkräfte in der Wirtschaft deutlich weniger Geld als hier zu Lande. Die Wettbewerbsfähigkeit der japanischen Wirtschaft scheint darunter nicht zu leiden: Toyota baut keine schlechten Autos.

Brauchen wir ein Gesetz, das Managerbezüge deckelt?

Nein. Der Aufsichtsrat ist das Organ, das die Bezüge der Vorstände regelt. Dabei sollte es auch bleiben. Nur er kann beurteilen, was angemessen ist und was nicht. In vielen Unternehmen machen die Gehälter nur einen Teil der Manager-Vergütungen aus. Zahlreiche Vorstände verdienen extrem viel Geld mit Aktienoptionsplänen.

Ist das sinnvoll?

Wir sind gegen solche Optionsprogramme. Sie führen dazu, dass der Wert eines Unternehmens und die Leistung eines Managers nur noch am Aktienkurs bemessen werden. Das führt zu einer viel zu kurzatmigen Unternehmensführung. Der Wert einer Firma bemisst sich zum Beispiel auch danach, wie stabil die Kundenbeziehungen und wie groß die Leistungsbereitschaft und die Zufriedenheit der Arbeitnehmer sind.

Aktienoptionen sollen die Motivation des Managements steigern. Verfehlen sie ihren Zweck?

Ich glaube auch nicht, dass sich mit Aktienoptionen nachweislich die Motivation steigern lässt. Von einem Unternehmensvorstand, der 300 000 Euro im Jahr verdient, kann man erwarten, dass er rund um die Uhr motiviert ist. Er wird kaum andere oder bessere Entscheidungen fällen, nur weil er die Chance sieht, dank Aktienoptionen auf 500 000 Euro zu kommen. In Wahrheit geht dabei doch um den sozialen Status: Hohe Vergütungen erhöhen die Stellung gegenüber anderen Managern und Mitarbeitern.

Sehr nah an der Debatte über die Unternehmensführung ist die Diskussion über die  Mitbestimmung von Unternehmensentscheidungen durch Belegschaftsvertreter. Wird sich das deutsche Mitbestimmungsmodell auf Dauer halten lassen?

Davon gehe ich aus. In den meisten Ländern gibt es Mechanismen zur Regelung von Konflikten zwischen Kapital und Arbeit. In Frankreich beispielsweise kann man sofort streiken, das ist bei uns undenkbar. Bei uns gibt es Betriebsräte, Gewerkschaften als Tarifparteien und Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten. Konflikte werden frühzeitig und partnerschaftlich zum Nutzen des Unternehmens und der Belegschaft gelöst. Die Folge ist, dass der soziale Frieden hier zu Lande stabiler ist als irgendwo sonst auf der Welt. Das sollte man stets vor Augen haben, auch im Hinblick auf die enormen technologischen und ökonomischen Umwälzungen, die noch auf uns zukommen werden.

Kann das deutsche Mitbestimmungsmodell auf andere europäische Länder übertragen werden?

Das wäre wünschenswert, aber politisch ist es nicht realistisch, dass es 1:1 übertragen werden kann. Dafür sind die Rechtssysteme und die Kulturen zu verschieden. Die grundlegenden Ideen der Mitbestimmung haben in Europa eine Chance. Aber Kommunikation, Kooperation, Verantwortung und Mitentscheidung sind längst auf die unterschiedlichste Weise in 18 von 25 EU-Mitgliedsstaaten bereits Realität.

Also soll bei uns alles bleiben, wie es ist?

Das habe ich nicht gesagt. Wie Sie wissen, erarbeitet gerade eine Expertenkommission im Auftrag der Bundesregierung Vorschläge für die Reform der Mitbestimmung. Ihren Ergebnissen will und kann ich nicht vorgreifen. Aber es gibt keinen Grund, die Mitbestimmung in Deutschland einzuschränken oder gar abzuschaffen.

Gleichwohl müssen Sie doch sehen, dass das deutsche Modell unter Druck gerät. Die Fluggesellschaft Air Berlin beispielsweise hat sich die Rechtsform einer britischen Aktiengesellschaft gegeben, um die Mitbestimmung zu umgehen.

Ja. Das ist ein einziges Unternehmen. Viel mehr Beispiele werden Sie aber kaum nennen können. Es gibt solche Ausweichmöglichkeiten übrigens seit langem, aber nur ganz wenige Firmen machen davon Gebrauch. Der europäische Binnenmarkt führt eben nicht dazu, dass die deutsche Mitbestimmung erodiert. Und zwar deshalb nicht, weil bei nüchterner Betrachtung fast jedem Manager die Vorteile deutlich werden. Wenn es in dieser Frage einen Wettbewerb der Systeme gibt, kann sich die große Wirtschaftsnation Deutschland dem selbstbewusst stellen.

Berliner Zeitung, 19.06.2013


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