Deutscher Gewerkschaftsbund

27.06.2023

Mit 40 noch Nachwuchs und befristet – gute Arbeit in der Wissenschaft sieht anders aus!

von Elke Hannack, Sylvia Bühler und Andreas Keller

Elke Hannack, stellvertretende Vorsitzende des DGB, Sylvia Bühler, Mitglied im ver.di-Bundesvorstand, und Andreas Keller, stellvertretender Vorsitzender der GEW, plädieren in ihrem Gastbeitrag für Table.Research für eine echte Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, die Beschäftigten planbarere Karriereperspektiven und bessere Arbeitsbedingungen bietet.

Zwei Forscher im Labor am Mikroskop

DGB/Simone M. Neumann

Die Arbeit in der Wissenschaft lässt sich für viele so zusammenfassen: Über viele Jahre hinweg befristet forschen und lehren, mit 40 immer noch als wissenschaftlicher Nachwuchs zählen und wenn es im hochgradig kompetitiven System nicht für den Sprung auf eine Professur reicht, enden Karriere und Arbeitsvertrag im Nichts. Kaum ein Unternehmen könnte mit dieser Personalentwicklungsstrategie heute punkten.

Möglich wird das durch ein Sonderbefristungsrecht, für das das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) geschaffen wurde. Seit der Einführung hatte es die Interessen der Wissenschaftsarbeitgeber im Blick, möglichst viele Zeitverträge zur Qualifizierung zu ermöglichen und dann die vermeintlich Besten für eine Professur auswählen zu können. Für das Interesse junger Wissenschaftler*innen an planbaren Karrierewegen und guten Arbeitsbedingungen hatte der Gesetzgeber nur warme Worte übrig. „Allerdings hat der Anteil von Befristungen – insbesondere über kurze Zeiträume – ein Maß erreicht, das Handlungsbedarf entstehen lässt“, heißt es zum Beispiel in der Begründung zur letzten WissZeitVG-Novelle 2016.

Sie ist jedoch krachend an diesem Anspruch gescheitert, wie die letzte Evaluation gezeigt hat. Die Befristungsquote lag bei nicht promovierten wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen an den Hochschulen 2020 bei 93 Prozent. Bei den Promovierten lag sie bei 63 Prozent. Der Anteil der Kurzzeitverträge mit Laufzeiten von einem Jahr oder weniger lag an Hochschulen bei über der Hälfte.

Es sind die warmen Worte in Gesetzesbegründungen und das tatsächliche Erleben der Arbeitsbedingungen an den Hochschulen und Forschungseinrichtungen, die junge Wissenschaftler*innen zurecht auf die Barrikaden treiben. Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften ver.di und GEW unterstützen den Protest gegen das WissZeitVG von Anfang an. Die von einem breiten Bündnis getragene  #AktionswocheWissenschaft hat gerade vom 12. bis 16. Juni mit über 60 Aktionen bundesweit gezeigt, dass immer mehr Menschen aus der Wissenschaft bereit sind, sich zu organisieren.

Aus der „Montagehalle“ (Staatsekretärin Prof. Dr. Döring) kam Anfang Juni der Referentenentwurf zurück an die Öffentlichkeit. Beim Schrauben hat man sich offensichtlich vor allem durch Vertreter*innen der Hochschulen und der Außeruniversitären Forschungseinrichtungen helfen lassen. Trotz kleinerer Fortschritte bei Mindestvertragslaufzeiten und bei studentischen Beschäftigten will der Entwurf mit dem Befristungsunwesen in der Wissenschaft nicht brechen.

Der Referentenentwurf sieht erneut keine Präzisierung des Qualifizierungsbegriffs vor. So bleibt es weiter der Kreativität der Hochschulen überlassen, was sie bis zur und neben der Promotion als Qualifizierung im Sinne des Gesetzes ansehen und zulassen. Das ist eine der Ursachen für die vielen Kurzzeitverträge.

Für die Zeit nach der Promotion sieht der Referentenentwurf ein 4+2-Modell vor, indem die zulässige Höchstbefristungsdauer auf vier Jahre gesenkt wird und eine weitere Befristung für höchstens zwei Jahre mit einer Anschlusszusage zulässig ist. Dieser Ansatz wird den Druck für die Betroffenen zusätzlich verschärfen und trägt auch nicht zu mehr Verbindlichkeit und Planbarkeit bei.

Für die Phase nach der Promotion muss aus unserer Sicht wie im deutschen und europäischen Arbeitsrecht vorgesehen, eine unbefristete Beschäftigung der Regelfall sein. Doch auch den Kompromissvorschlag der Einführung einer (kurzen) Orientierungsphase im Wissenschaftsbetrieb, gefolgt von einer Phase der Qualifizierung mit einer planbaren Anschlussperspektive, wie sie unter dem Stichwort 2+4-Modell entwickelt wurde, hat das BMBF in den Wind geschlagen.

Wenn es der Gesetzgeber nicht schafft, das Befristungsunwesen in der Wissenschaft einzudämmen, wäre es das selbstverständliche Recht der Beschäftigten, dies selbst in die Hand zu nehmen und als Gewerkschaftsmitglieder über Tarifverträge Verbesserungen zu erstreiten. Doch genau dem schiebt der Referentenentwurf auch weiterhin einen Riegel vor. Trotz verfassungsrechtlich garantierter Tarifautonomie soll es verboten bleiben, von den wesentlichen Inhalten des Gesetzes abzuweichen.

Auch wenn im Entwurf eine Erweiterung der Tariföffnungsklausel vorgesehen ist, Handlungsspielraum für grundsätzlich andere Modelle wird den Gewerkschaften nicht zugestanden. Es ist höchste Zeit, den Beschäftigten und den Gewerkschaften ihr Grundrecht zurückzugeben und die Tarifsperre vollständig abzuschaffen.

Der Wissenschaftsbereich steht immer mehr im Wettbewerb mit anderen Arbeits- und Wirtschaftsbereichen. Damit die besten Köpfe für die Wissenschaft gewonnen werden, muss sie attraktive Arbeitsbedingungen bieten. Bei der derzeitigen Situation ist es ist folgerichtig, dass es den Wissenschaftsinstitutionen zunehmend schwerfällt, vakante Stellen zügig zu besetzen.

Wir brauchen eine echte Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, die Beschäftigten planbarere Karriereperspektiven und bessere Arbeitsbedingungen bietet. Gemeinsam mit zahlreichen Initiativen, Organisationen und Aktiven unter den Hashtags #IchBinHanna, #IchBinReyhan oder #NotmyWissZeitVG erwarten wir, dass Bundesregierung und Bundestag deutlich nachlegen.

Der Beitrag ist erstmalig am 27.06.2023 bei Table.Research erschienen.


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