Deutscher Gewerkschaftsbund

07.05.2019

Eine griechische Tragödie: Der Kongress des griechischen Gewerkschaftsdachverbandes von linksradikalen DemonstrantInnen gestört

Auf dem 37. Kongress des griechischen Gewerkschaftsverbands GSEE Mitte März dieses Jahres kam es zu einem handfesten Eklat: Hunderte SympathisantInnen der linksradikalen Fraktion P.A.ME drangen ohne Erlaubnis in die Tagungsräume ein und verhinderten die Durchführung des Kongresses. Hintergrund des Protests ist ein seit Jahren schwelender Konflikt zwischen den politischen Fraktionen der griechischen Gewerkschaftslandschaft.

Aufgemalte Flagge Griechenlands auf zerbröckelnder Mauer

Colourbox.de

26 internationale Gewerkschaftsdelegationen waren in die hellenische Hafenstadt Kalamata auf der malerischen Halbinsel Peloponnes gereist, um ihre KollegInnen aus Griechenland bei deren wichtigster Zusammenkunft, dem Kongress des Dachverbands GSEE, zu besuchen. Statt Richtungsdebatten und Vorstandswahlen beizuwohnen, wurden die Gäste aus ganz Europa zu ZuschauerInnen einer griechischen Tragödie – von seelischer Läuterung kann indes keine Rede sein. Beginnen wir aber der Reihe nach:

1. Akt – Die GSEE, Griechenland und die Euro-Krise

Die GSEE ist der gewerkschaftliche Dachverband der griechischen Privatwirtschaft und repräsentiert die ArbeitnehmerInnen aller Branchen. Die landesweiten Tarifverträge der GSEE erfassen rund 2 Millionen Beschäftigte, die tatsächliche Mitgliederzahl des Verbands liegt allerdings bei lediglich 470.000 (zuletzt erfasst im Jahr 2007). Infolge des gezielten Abbaus tariflicher und gewerkschaftlicher Strukturen in den Jahren der Euro-Krise ist die Tarifabdeckung in Griechenland bis 2016 auf nur mehr 40% gesunken. Damit liegt sie um 42% niedriger als im Jahr 2000 – eine im Vergleich zu anderen „Krisenländern“ absolut beispiellose Entwicklung.

2. Akt – Schwindendes Vertrauen 

Da die Gewerkschaften trotz einer Vervielfachung der für den griechischen Arbeitskampf typischen eintägigen Generalstreiks (allein im Jahr 2010 waren es 12 Tage) nichts gegen die von der Troika auferlegte Austeritätspolitik auszurichten wussten, schwand das Vertrauen der Bevölkerung in erheblichem Maße. 2010 gaben nur 29% der GriechInnen an, der Gewerkschaftsbewegung „eher zu vertrauen“. Das Vertrauen der griechischen Bevölkerung in die GewerkschaftsführerInnen sank im Folgejahr auf gerade einmal 7%.  

Diesen fundamentalen Problemen steht die GSEE bis heute alles andere als geeint gegenüber. Die politischen Listen, die seit 1983 innerhalb der Organisation gewählt werden, kämpfen um Einfluss und Mandate – und zuletzt um die Entsendung der 400 Delegierten auf den 37. Kongress der GSEE, der vom 14. bis 17. März in Kalamata stattfinden sollte. Kurz vor Beginn der Auftaktveranstaltung drangen einige hundert Personen, teils mit brachialer Gewalt, mit Schildern und Transparenten in den Saal ein. Die Plakate wiesen die Eindringlinge als Anhänger von P.A.ME, der stalinistischen Fraktion der GSEE, aus, deren Widerstand gegen den Kongress bereits im Vorfeld erwartet worden war. 

3. Akt – Geschmacklose Sketche und verbale Drohungen

Die DemonstrantInnen waren zum Großteil mit Bussen aus Athen angereist, acht Busse hatten außerdem auf dem gesamten Peloponnes Arbeitslose und SchülerInnen eingesammelt und zum Kongress gefahren. Die DemonstrantInnen begnügten sich nicht damit, eine Erklärung abzugeben, sondern skandierten etwa zwei Stunden lang Parolen, die die Rechtmäßigkeit des Kongresses anzweifelten („Wahlbetrug“) sowie die politische Legitimität der gewählten Gewerkschaftsspitze in Frage stellten. Illustriert wurde dies mit einem extrem herabwürdigenden Sketch, in dem als Hunde verkleidete DemonstrantInnen Masken von GewerkschaftsführerInnen trugen; diese „Hunde“ wurden an Leinen von PolitikerInnen und Wirtschaftsbossen geführt. Am Abend wurden Kongressdelegierte von AnhängerInnen der P.A.ME in einer Gaststätte verbal bedroht.

P.A.ME ist nicht nur eine Fraktion des Dachverbands GSEE, sondern verfügt über eigene Organisationsstrukturen. Im Ausland tritt sie als eigenständige Gewerkschaft unter dem Namen „All Workers Militant Front“ auf. Gegründet wurde P.A.ME 1999 von der Kommunistischen Partei Griechenlands, um die ArbeiterInnen dem Einfluss der GSEE, die als von der sozialdemokratischen Partei PASOK dominiert wahrgenommen wurde, zu entziehen. Bis heute sieht sich die Strömung als Gegenspieler der sozialdemokratischen Mehrheit in den Führungsstrukturen der GSEE.

4. Akt – Delegierte oder keine Delegierte, das ist hier die Frage

Grund für die Auseinandersetzung zwischen P.A.ME und der GSEE waren die dem Kongress vorausgegangenen Wahlen der mehr als 400 Delegierten, deren Rechtmäßigkeit P.A.ME in einigen Fällen anzweifelte. Zwar sei einen ganzen Tag lang mit den VertreterInnen der Fraktion über die Frage der An- bzw. Aberkennung von Delegiertenmandaten verhandelt worden. Diese Verhandlungen seien jedoch letztlich ergebnislos und die Durchführung des Kongresses damit unmöglich gewesen. Laut Angaben der GSEE-Führung sei die Polizei den OrganisatorInnen in keiner Weise zur Hilfe gekommen, wie dies bereits seit etlichen Jahren der Fall sei.

Hintergrund der Anzweiflung von Delegiertenmandaten durch P.A.ME sind Gerüchte über Schein-Gewerkschaften, die angeblich von UnternehmerInnen und GSEE-FührerInnen gegründet worden seien, um auf die Zusammensetzung der Delegierten Einfluss zu nehmen. Diese Gerüchte können aus der Perspektive der Außenstehenden weder widerlegt noch bestätigt werden.

5. Akt – Katastrophe?

Offensichtlich ist jedoch, dass der Kongress einer griechischen Dachorganisation, die Mitglied des Europäischen wie auch des Internationalen Gewerkschaftsbundes ist, aus politischen Gründen gesprengt wurde. Für die internationale Gewerkschaftsbewegung ist dies keine Bagatelle, sondern gibt Grund zur Sorge. Wie sich die angespannte Situation in Griechenland in den nächsten Monaten – und vor allem mit Blick auf die Europawahlen – entwickeln wird, darüber kann heute nur spekuliert werden.

Doro Zinke, DGB-BVV


Nach oben

Finde deine Gewerkschaft

Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter halten Fahnen hoch: Grafik
DGB
Rechtsschutz, tarifliche Leistungen wie mehr Urlaubstage und Weihnachtsgeld, Unterstützung bei Tarifkonflikten und Weiterbildung – dies sind 4 von 8 guten Gründen Mitglied in einer DGB-Gewerkschaft zu werden.
weiterlesen …

Der DGB-Tarifticker

Ge­werk­schaf­ten: Ak­tu­el­le Ta­rif­ver­hand­lun­gen und Streiks
Gewerkschafter*innen auf Demonstration für besseren Tarif
DGB/Hans-Christian Plambeck
Aktuelle Meldungen zu Tarifverhandlungen, Tariferfolgen und Streiks der acht Mitgliedsgewerkschaften des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB).
weiterlesen …

RSS-Feeds

RSS-Feeds: Un­se­re In­hal­te – schnell und ak­tu­ell
RSS-Feed-Symbol im Hintergrund, im Vordergrund eine Frau, die auf ihr Handy schaut
DGB
Der DGB-Bundesvorstand bietet seine aktuellen Meldungen, Pressemitteilungen, Tarifmeldungen der DGB-Gewerkschaften sowie die Inhalte des DGB-Infoservices einblick auch als RSS-Feeds.
weiterlesen …

Direkt zu deiner Gewerkschaft

Zu den DGB-Gewerkschaften

DGB