Deutscher Gewerkschaftsbund

12.04.2022
Projekt Qualifica Digitalis

Digitale Kompetenzen fallen nicht vom Himmel

Wie verändern sich Tätigkeiten, berufliche Anforderungen, Arbeitsweisen und Arbeitskultur durch die Digitalisierung des öffentlichen Sektors? Auf welche Kompetenzen und Qualifikationen kommt es zukünftig verstärkt an? Wie muss gelungene Qualifizierung 4.0, passendes Lernen und Lehren für den öffentlichen Sektor gestaltet sein? Diesen Fragen widmet sich das IT Planungsrat Projekt Qualifica Digitalis unter Federführung der Freien Hansestadt Bremen.

Foto zeigt Glühlampe in der Hand eines Mannes

iStock - Natali Mis

Bei der digitalen Transformation der Verwaltung handelt es sich um einen ganzheitlichen Wandel, der die öffentlichen Arbeitgeber:innen vor Herausforderungen stellt. Neben der derzeit durch die Umsetzung des Onlinezugangsgesetz vorangetriebenen (technischen) Digitalisierung von Verwaltungsleistungen, geht es vor allem um die Veränderung von Strukturen und Prozessen innerhalb der Verwaltung. Dabei gilt: die umfassende digitale Transformation wird nur gelingen, wenn Verwaltungsmitarbeitende aller Bereiche über entsprechende berufliche Kompetenzen und Qualifikationen verfügen. Und: Für die Entwicklung passender Qualifizierungsmaßnahmen muss die Komplexität und Vielfältigkeit der Aufgabenfelder, Tätigkeitsbereiche und Beschäftigtengruppen des öffentlichen Sektors berücksichtigt werden. Dafür braucht es geeignete Qualifizierungsstrategien, die auf aktuellen und tragfähigen Erkenntnissen zum Einfluss von Digitalisierung auf Kompetenzen und Qualifikationen basieren.

DAS PROJEKT QUALIFICA DIGITALIS
Der IT-Planungsrat hat deshalb im Juni 2019(1) unter der Federführung der Freien Hansestadt Bremen das Forschungs-, Entwicklungs- und Umsetzungsprojekt für die Qualifizierung des digitalisierten öffentlichen Sektors, Qualifica Digitalis, eingesetzt. In dem Kooperationsprojekt sollen gemeinsam mit den wissenschaftlichen Projektpartnern (Fraunhofer Institut für offene Kommunikationssysteme FOKUS, Deutsches Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung, Institut für Informationsmanagement Bremen GmbH) sowie weiteren zahlreichen Beteiligten aus Wissenschaft, Gewerkschaften, Bund, Ländern und Kommunen geeignete und praxisnahe Lösungen für die „Qualifizierung 4.0“ gefunden werden. Während der Projektlaufzeit (01.01.2020 bis 30.09.2022) werden Strategien und Empfehlungen für die Ausgestaltung der beruflichen Aus-, Fort- und Weiterbildung sowie der Personalentwicklung erarbeitet.

DIGITALE KOMPETENZEN SIND NICHT REIN IT-BEZOGENE KOMPETENZEN
Wie steht es also um die Digitalisierung und Kompetenzentwicklung in der öffentlichen Verwaltung? Erstes Ergebnis der wissenschaftlichen Erhebungen ist die im Sommer 2020 veröffentlichte Metastudie(2): Basierend auf einer umfangreichen Analyse bestehender Literatur zur digitalisierten Verwaltung fasst diese zusammen, welche Kompetenzen für die digitalisierte Verwaltung als essentiell betrachtet werden. Als Analyseraster wurden die „Kompetenzbereiche in einer digitalen Welt“ der Kultusministerkonferenz (sog. KMK-Kompetenzrahmen 3) herangezogen. Darauf basierend sind neun digitale Kompetenzkategorien abgeleitet worden. Diese verdeutlichen: Digitale Kompetenzen sind nicht rein IT-bezogene Kompetenzen. Wenn wir von einer umfassenden digitalen Verwaltung ausgehen, dann erfordert dies neben grundlegenden IT- und Medienkompetenzen zusätzlich die Ausbildung neuer beziehungsweise veränderter personaler Kompetenzen wie z. B. Selbstorganisationsfähigkeit, Problemlösungskompetenz, soziale Kompetenz, Orientierungskompetenz und Managementtechniken. In diesem Zusammenhang definiert die Metastudie bewusst das „Digitale Mindset“ als eine der Kompetenzausprägungen der Hauptkategorie „Personale berufliche Handlungsfähigkeit im digitalisierten Berufsumfeld“: Es meint die persönliche Haltung und Einstellungen gegenüber der Digitalisierung und ist essentiell für das Zurechtfinden in der digitalisierten Arbeitswelt.

QUALIFIZIERUNG PER GIESSKANNENPRINZIP FUNKTIONIERT NICHT MEHR
Als weiterer Analysebaustein diente eine online-Befragung zum Status quo zu Kompetenzen und Digitalisierung in den im Projekt definierten Verwaltungsdomänen, die von November 2020 bis Ende April 2021 durchgeführt wurde. Die Befragung zeichnet ein je nach Verwaltungsbereich differenziertes Bild des Standes der Digitalisierung in der Verwaltung: während mobiles Arbeiten, e Akte oder Webkonferenzen in der Domäne IT-Steuerung und -management sowie in den Bereichen der Fachaufgaben der Zentralverwaltung weitgehend verbreitet sind, sind diese insbesondere in Bereichen mit Publikumskontakt (Sozialverwaltung, weitere bürgernahe Dienste) teilweise noch weniger etabliert (vgl. Abb. 1).

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DGB-Magazin BM

Die Befragung adressierte daneben mögliche Veränderungen der Arbeitsaufgaben und -dichte. Hier sieht ein Großteil der Befragten eine Zunahme und hat zuletzt Veränderungen im Bereich der Arbeitsmethoden, Arbeitsinhalte und IT-Lösungen festgestellt. Erfreulich dagegen: Über alle betrachteten Verwaltungsbereiche hinweg machen sich die Befragten wenig Sorgen, den Anforderungen in der Zukunft durch Digitalisierung nicht mehr gewachsen zu sein oder dass der eigene Arbeitsplatz entfallen könne (vgl. Abb. 2).

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DGB-Magazin BM

Ebenfalls bemerkenswert: Die meisten Befragten gaben an, vorrangig Kompetenzen „on the job“ zu erwerben. Daraus folgt: Qualifizierung muss möglichst gut in den Arbeitsalltag integriert werden und es braucht ein gutes Nebeneinander von „klassischen“ Fortbildungsangeboten und (in)formalen Lernangeboten am Arbeitsplatz. Learning on the job bedeutet aber auch, dass entsprechende Lernressourcen (Zeit, Lernorte) seitens der Arbeitgeber:innen zur Verfügung gestellt werden müssen. Daneben rückt die individualisierte Kompetenzentwicklung verstärkt in den Fokus: Qualifizierung per „Gießkannenprinzip“ funktioniert in einer zunehmend komplexen Arbeitsumgebung nicht mehr ausschließlich.

ZUKÜNFTIGE RAHMENBEDINGUNGEN UND STRATEGIEN FÜR DIE DIGITALE QUALIFIZIERUNG
Neue Kompetenzen und Qualifikationen sind nicht von heute auf morgen da, sondern müssen in grundständigen Studiengängen und Berufsausbildungen erlernt und dann vor allem im Berufsleben kontinuierlich weiterentwickelt werden. Es ist also wesentlich, die Aus-, Fort- und Weiterbildung im öffentlichen Dienst zu modernisieren und dabei die veränderten Rahmenbedingungen zu berücksichtigen. In der letzten Projektphase von Qualifica Digitalis werden daher in weiteren Workshops die Rahmenbedingungen der Ausbildung sowie der Fort- und Weiterbildung exemplarisch untersucht und daraus konkrete Handlungsempfehlungen abgeleitet. Allein mit der Bereitstellung technischer Ausstattung mit Laptops, Tablets, Smartboards und schnellem Internet wird es nicht getan sein. Formate und Konzepte dürfen sich nicht in „Lernen mit digitalisierten Medien“ erschöpfen. Gefragt sind Gesamtkonzepte, die die Digitalisierungskompetenzen als Querschnittskompetenzen betrachten und sich an den Arbeitsinhalten und -realitäten orientieren.

Hierzu sollen aus dem Projekt im Herbst 2022 konkrete Erkenntnisse und Empfehlungen veröffentlicht werden. Diese können aber natürlich nur weitere Bausteine für die insgesamt zu entwickelnde „Qualifizierung 4.0“ sein. Der Entwicklung moderner und zukunftsorientierter Qualifizierung für die digitale Verwaltung kann das insgesamt aber nur nutzen.


1) Vgl. ITPLR-Beschluss 2019/35 v. 27.06.2019 – Forschungs- und Umsetzungsprojekt zur digitalen Qualifizierung des öffentlichen Sektors, https://www.it-planungsrat.de/SharedDocs/Sitzungen/DE/2019/Sitzung_29.html?pos=17 (abgerufen am 07.04.2021).

2) Vgl. https://qualifica-digitalis.de/wp-content/uploads/QD_Metastudie_20201005_barrierefrei_v5.pdf

3) https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/PresseUndAktuelles/2016/2016_12_08-KMK-Kompetenzen-in-der-digitalen-Welt.pdf


Dieser Artikel ist Titel in der aktuellen Ausgabe das DGB-Magazins BM. Er wurde von Christine Schröder, Projektteam, Freie Hansestadt Bremen – Digitalisierungsbüro für das BM geschrieben. Das gedruckte Magazin kann zum Jahresbezugspreis von 15 Euro abonniert werden. Weitere Informationen und Leseproben gibt es hier: www.dgb.de/beamtenmagazin

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