Deutscher Gewerkschaftsbund

14.12.2012
Mindestlohn-Interview

Christine Lieberknecht: Thüringen setzt sich für bundesweiten Mindestlohn ein

Keine Festlegung auf 8,50 Euro

Thüringische Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU)

Thüringische Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU)

Thüringen hat als bundesweit erste CDU-geführte Landesregierung eine Bundesratsinitiative für einen flachendeckenden Mindestlohn beschlossen, "weil Menschen in großer Zahl trotz Vollzeitbeschäftigung von ihrer Hände Arbeit nicht leben können", so Christine Lieberknecht, Thüringens Ministerpräsidentin. Im Interview mit mindestlohn.de erläutert sie, warum der Mindestlohn notwendig ist und wie eine eigens eingerichtete Kommission über die Höhe des Mindestlohns entscheiden soll.

Gemeinsam mit Thüringens Wirtschaftsminister Matthias Machnig (SPD) haben Sie eine Bundesratsinitiative für eine flächendeckende, einheitliche Lohnuntergrenze beschlossen. Damit beschreitet Thüringen bundesweit als erste CDU-geführte Landesregierung diesen Weg. Der CDU-Parteitagsbeschluss von November 2011 sieht noch eine Differenzierung der Mindestlöhne nach Regionen und Branchen vor. Weshalb sind Sie davon abweichend der Ansicht, dass es einen einheitlichen Mindestlohn für die gesamte Bundesrepublik geben muss?

Christine Lieberknecht: Die Thüringer Landesregierung sieht Handlungsbedarf mit Blick auf die Einführung einer allgemeinen Lohnuntergrenze bzw. eines Mindestlohnes, weil Menschen in großer Zahl trotz Vollzeitbeschäftigung von ihrer Hände Arbeit nicht leben können. Es gibt Handlungsbedarf, weil trotz guter wirtschaftlicher Entwicklung in unserem Land die Zahl der Beschäftigungsverhältnisse im Niedriglohnbereich ständig zunimmt und mehr als 20 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse davon betroffen sind. Daher haben wir in Thüringen eine gemeinsame Arbeitsgruppe der Koalitionspartner CDU und SPD begründet, die zu dem Ergebnis gekommen ist, eine entsprechende Bundesratsinitiative auf den Weg zu bringen. Wir haben uns darauf verständigt, dass es eine allgemeine Lohnuntergrenze bzw. einen Mindestlohn branchenübergreifend und einheitlich für das Bundesgebiet geben soll. Das ist gerade für Thüringen als ein Land, das über 20 Jahre hinweg Hervorragendes im Aufbau erreicht hat, ein wichtiges Petitum.

In Ihrem Gesetzentwurf ist keine konkrete Marke als Lohnuntergrenze benannt, wie es der DGB mit mindestens 8,50 Euro pro Stunde fordert. Sie wollen vielmehr, dass sich eine Kommission, die paritätisch aus Arbeitnehmern und Arbeitgebern zusammengesetzt ist, auf eine Lohnuntergrenze einigt. Sie haben bereits mehrfach geäußert, dass ein Beschäftigter in Vollzeit von seiner Hände Arbeit leben können muss. Es gibt zudem Untersuchungen wie z.B. vom Forschungsinstitut Prognos, die belegen, dass rund fünf Millionen Arbeitnehmer von einem Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro profitieren würden. Warum stellen Sie dann nicht gleich per Gesetz klar, dass alle Löhne unter 8,50 Euro obsolet sind, sondern verlagern die Entscheidung auf eine Kommission?
 

Christine Lieberknecht: Wir haben uns ausdrücklich darauf verständigt, dass die Kommission bereits die erstmalige Festsetzung vornimmt, die dann jährlich überprüft und anpasst werden soll. Es ist nicht Sache der Politik, in einem Wettlauf der Parteien einen politischen Mindestlohn festzusetzen. Das muss vielmehr unter Abwägung aller dafür erforderlichen Gesichtspunkte der Kommission – einer unabhängigen Kommission der Tarifpartner - vorbehalten bleiben.

Diese Kommission kann sich womöglich nicht auf eine verbindliche Summe einigen. Für diesen Fall soll ein von beiden Seiten getragener Wissenschaftler schlichten und das Zünglein an der Waage sein. Auch Wissenschaftler sind jedoch nicht neutral. Wenn sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf keinen gemeinsamen Schlichter aus der Wissenschaft verständigen können, soll wiederum das Arbeitsministerium einen Wissenschaftler benennen. Dieses Prozedere kann sich über einen langen Zeitraum erstrecken. Wie erklären Sie den Menschen im Niedriglohnsektor, dass Sie zwar gute Absichten hegen, aber den Weg zum klar benannten, gesetzlichen, flächendeckenden Mindestlohn nicht rasch und konsequent zu Ende gehen?

Christine Lieberknecht: Dem Gesetzentwurf ist zu entnehmen, dass sich die Kommission im Falle einer Nichteinigung zunächst auf eine Schlichterin oder einen Schlichter verständigt. Dass das ein Wissenschaftler sein muss, ergibt sich weder aus dem Gesetz noch aus dessen Begründung. Erst wenn keine solche Verständigung erfolgt, bestimmt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales eine Schlichterin oder einen Schlichter, der wiederum bei einer Nichteinigung entscheiden soll. Ich denke, dass wir damit einen vernünftigen Schlichtungsmechanismus geschaffen haben. Im Übrigen legt § 4 Abs. 1 des Gesetzentwurfes fest, dass die Kommission unverzüglich nach Inkrafttreten des Gesetzes einen Mindestlohn vorschlägt. Damit ist im Gesetz klargestellt, dass das Verfahren beschleunigt betrieben werden soll.

Angenommen, die Kommission einigt sich auf eine Lohnuntergrenze: Wie sieht es mit bestehenden Tarifverträgen aus, die unter diesem Stundenlohn liegen? Werden diese Tarifverträge damit sofort ungültig und müssen die Löhne ad hoc angehoben werden, oder wie lange sollen sie nachwirken?

Christine Lieberknecht: Für Tarifverträge ist im Gesetzentwurf grundsätzlich vorgesehen, dass andere Entgeltvereinbarungen nur zulässig sind, wenn sie ein Arbeitsentgelt mindestens in Höhe des Mindestlohnes vorsehen. Allerdings tritt diese Klausel für bestehende Tarifverträge erst nach einer Übergangsfrist von 12 Monaten in Kraft. Somit haben die Tarifvertragsparteien diese Zeit zur Anpassung ihrer Vereinbarungen.

Wie soll sich der einmal gefundene Mindestlohnkompromiss weiter entwickeln? In anderen Ländern werden Mindestlöhne nicht nur jährlich um die Inflationsrate nach oben angepasst, sondern zum Teil  ermittelt eine Kommission zudem, inwieweit es daneben noch einen Zuschlag geben muss. Welche Anpassungsmechanismen sehen Sie für den Mindestlohn in der Zukunft vor?

Christine Lieberknecht: Nach unserem Entwurf hat die Kommission das Recht und die Pflicht, jeweils zum 31. August eines jeden Jahres die Höhe des Mindestlohnes zu überprüfen und neu festzulegen. Eine automatische Anpassung anhand bestimmter Kriterien, wie z. B. der Inflationsrate, ist nicht vorgesehen. Vielmehr wird durch die Verpflichtung zur jährlichen Überprüfung sichergestellt, dass der Mindestlohn auch zeitlich im Gleichklang mit der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung fortgeschrieben wird.

Glauben Sie noch, dass Sie mit diesem Vorstoß im Bundesrat erfolgreich sein werden? Manche - auch CDU-regierte Länder haben bereits Zustimmung signalisiert, Sachsen-Anhalt stellt sich dagegen und das Thema wurde vertagt. Kommt der Mindestlohn noch vor der Bundestagswahl im nächsten Jahr?
 

Christine Lieberknecht: Das ist mein Ziel. Und das meiner Landesregierung. Wenn wir nicht an den Erfolg unserer Initiative glauben würden, hätten wir sie nicht auf den Weg gebracht. Ich habe den Thüringer Gesetzentwurf über die Festsetzung des Mindestlohns im Bundesrat vorgestellt. Dabei ist Brandenburg dem Thüringer Antrag sogleich beigetreten. Weitere Länder haben ihre Zustimmung signalisiert. Ich bin überzeugt, dass das Thüringer Modell ein Kompromiss ist, der auch auf Bundesebene tragfähig ist.


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