Deutscher Gewerkschaftsbund

24.04.2015
Interview

Betriebliche Ausbildung leidet nicht unter "Überakademisierung"

Es wird zu wenig ausgebildet in Deutschland – aber nicht, weil es zu viele Hochschulabsolventinnen und -absolventen gibt, sagt die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack. Sie widerspricht damit einer Darstellung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) . "Die duale Ausbildung schrumpft, weil viele Firmen Hauptschülern und Migranten keine Chance mehr geben", so Hannack.

Der DIHK argumentiert: Die zunehmende "Überakademisierung" gehe zu Lasten der betrieblichen Ausbildungsplätze. Doch die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Mittlerweile hat jeder vierte Azubi eine Studienberechtigung, während nur noch sieben Prozent der Betriebe Hauptschüler ausbilden.

stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack

"Es wird zu wenig ausgebildet, was aber nicht am Boom der Hochschulen liegt. Mittlerweile hat jeder vierte Azubi eine Studienberechtigung, während nur noch sieben Prozent der Betriebe Hauptschüler ausbilden", sagt die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack im Interview mit der Saarbrücker Zeitung. DGB/Simone M. Neumann

Das Interview

Saarbrücker Zeitung: Frau, Hannack, wird in Deutschland zu viel studiert und zu wenig ausgebildet?

Hannack: Es wird zu wenig ausgebildet, was aber nicht am Boom der Hochschulen liegt. Mittlerweile hat jeder vierte Azubi eine Studienberechtigung, während nur noch sieben Prozent der Betriebe Hauptschüler ausbilden. Fast zwei von drei Angeboten in der IHK-Lehrstellenbörse bleiben ihnen von vornherein verwehrt. Die duale Ausbildung schrumpft, weil viele Firmen Hauptschülern und Migranten keine Chance mehr geben.

Vielleicht wäre eine Lehre für die 100 000 Studenten, die jährlich ihr Studium abbrechen, besser.

Hannack: Es spricht nichts dagegen, Studienabbrecher für eine betriebliche Ausbildung zu gewinnen. Das passiert ja auch oft. Die Hochschulen müssen aber auch selbst etwas gegen die hohe Zahl der Studienabbrüche unternehmen. Es gibt in Deutschland fast 10 000 verschiedene Bachelor-Studiengänge. Zum Vergleich: Wir haben nur 330 Ausbildungsberufe. Das Angebot ist kaum zu durchschauen. Da wählt man eben häufiger das falsche Fach. Die Hochschulen müssen ihr Angebot verschlanken.

Immer mehr Lehrstellen bleiben unbesetzt. 2014 waren es über 37 000 - ein Rekordhoch. Wie können Betriebe und Bewerber besser zusammenkommen?

Hannack: Die Firmen klagen über Fachkräftemangel, geben aber Jugendlichen mit Hauptschulabschluss zu wenige Chancen – selbst einfache Ausbildungen bleiben unerreichbar. 256 000 Jugendliche stecken in den Warteschleifen im Übergang von der Schule in Ausbildung – ohne Aussicht auf einen Berufsabschluss. Es droht eine abgehängte Generation. Aber auch die Betriebe brauchen Hilfe bei der Ausbildung. Deshalb hat der DGB darauf gedrängt, die assistierte Ausbildung bundesweit einzuführen.

Was steckt hinter diesem Konzept?

Hannack: Jugendliche und Betriebe bekommen einen Dienstleister zur Seite gestellt, der den Unternehmen hilft, die Ausbildung zu gestalten. Er bereitet die Jugendlichen vor und organisiert zusätzliche Förderung. Das hilft kleinen Unternehmen und leistungsschwächeren Jugendlichen und wirkt damit an der Achillesferse des Ausbildungssystems.

Der DIHK fordert sogar verschärfte Zulassungsbeschränkungen an Hochschulen, um mehr Azubis zu gewinnen. Eine sinnvolle Idee?

Hannack: Nein, das ist Unfug. Für die jungen Menschen geht es um eine ganz persönliche Entscheidung. Nur wer ihnen eine gute Ausbildung, einen anständigen Lohn und gute Karriereperspektiven bietet, wird sie für eine berufliche Ausbildung gewinnen können. Und da können die Arbeitgeber noch eine Schippe drauflegen. Zurzeit öffnet sich aber die Einkommensschere zwischen Facharbeitern und Akademikern. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag sollte sich dafür einsetzen, dass mehr Betriebe nach Tarif bezahlen. Das wäre ein guter Beitrag, um die duale Ausbildung zu stärken.


 

Saarbrücker Zeitung, 24. April 2015: "Bezahlung nach Tarif stärkt duale Ausbildung" - DGB-Vize Hannack sieht keine „Überakademisierung“ in Deutschland


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