Seit Juni 2021 ist Maike Finnern die neue Vorsitzende der GEW. Sie folgt damit Marlis Tepe, die nach acht Jahren an der Spitze der GEW aus Altersgründen nicht wieder kandidierte. Für das Interview im BM sprachen wir mit der neuen Vorsitzenden über Chancengleichheit, welche Schlüsse aus Krisenzeiten zu ziehen sind und wie die bessere Schule von morgen aussehen könnte.
Kay Herschelmann
Die GEW-Studie Digitalisierung an Schulen stellt u. a. klar heraus, dass deutliche Zusatzbelastungen für Lehrer:innen durch den Wechselunterricht während der Pandemie bestehen bzw. bestanden. Was fordert die GEW, um diesen Belastungen zu entgegnen?
Wechselunterricht ist kein Zukunftsmodell, er war als ein Baustein der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zeitweise notwendig, um die AHA + L-Regeln umzusetzen. Die Gründe: Die Räume sind zu klein, wenn man Klassen teilt, um weniger Schüler:innen in den Lerngruppen zu haben. Wegen des Lehrkräftemangels fehlen viele Fachkräfte. Die enorme Belastung entstand für die Kolleg:innen durch doppelte Unterrichtsvorbereitung, die Gleichzeitigkeit von Distanz und Präsenz sowie einen extrem hohen Korrekturaufwand. Das vergangene Schuljahr hat die Kolleg:innen und Schulleitungen durch Wechselunterricht, Unsicherheiten in der pandemischen Lage und ständig neue Aufgaben für die Schulen stark belastet. Es gibt zwei Hebel, um die Lehrkräfte zu entlasten: Die Unterrichtsverpflichtung senken und mehr Personal einstellen. Beides ist notwendig, weil die Aufgaben rund um den Unterricht in den Schulen – auch schon vor der Pandemie – deutlich gewachsen sind. Zusätzlich brauchen die Schulen qualifizierte Beschäftigte, die Lehrkräften fachfremde Aufgaben wie Systemadministration und Verwaltung abnehmen.
Kann man die Corona-Pandemie mit Blick auf das Schulwesen auch als Chance begreifen? Welche Schlüsse sind aus Sicht der GEW aus ihr zu ziehen?
Corona birgt dann eine Chance für unser Bildungssystem, wenn die Schwächen nachhaltig und zukunftsorientiert angegangen werden und es gelingt, einen gesellschaftlichen Konsens darüber zu erzielen, wie wir in Deutschland Bildung finanzieren. Als Konsequenz der Pandemie muss die kommende Bundesregierung einen Zehn-Jahresplan aufstellen, damit der Investitionsstau in Schulen und Hochschulen von insgesamt gut 90 Milliarden Euro abgebaut werden kann. Um dauerhaft eine auskömmliche Finanzierung von Bildung sicherzustellen, muss das immer noch in Teilen geltende Kooperationsverbot aufgehoben werden, damit der Bund dauerhaft mitfinanzieren kann. Gerade auch im Bereich der Digitalisierung sehe ich eine Chance in der Pandemie. Im Vergleich zu den skandinavischen Ländern liegt Deutschland 20 Jahre zurück. Allen Beschäftigten müssen jetzt endlich Dienstgeräte kostenfrei zur Verfügung gestellt, alle Schüler:innen müssen entsprechend ausgestattet werden. Wir brauchen eine Fortbildungsoffensive „Guter Unterricht“ und eine dauerhafte, verlässliche systemische Unterstützung der IT-Strukturen in den Schulen.
Du bist eine starke Verfechterin davon, dass Bildungserfolg nicht vom soziokulturellen und ökonomischen Hintergrund des Elternhauses abhängen darf. Was muss sich am System Schule ändern, damit Bildungerechtigkeit in Deutschland Realität wird?
Der Zusammenhang von Bildungserfolg und Herkunft ist in Deutschland überaus evident. Gleiche Bildungschancen sind Voraussetzung für echte Teilhabe. Ungleiches muss ungleich behandelt werden. Bildungseinrichtungen, die besondere Herausforderungen zu meistern haben, müssen besser ausgestattet werden, mehr und extrem gut qualifiziertes Personal bekommen. Eine echte und grundlegende Lehr- und Lernmittelfreiheit muss in Zeiten der Digitalisierung auch entsprechende Endgeräte, schulische Arbeitsräume und Internetverbindungen zu Hause enthalten. Der Ausbau von Ganztagsschulen ist ein wichtiger Baustein zu mehr Chancengleichheit genauso wie längeres gemeinsames Lernen. Es braucht also nichts weniger als eine kleine Bildungsrevolution.
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