Deutscher Gewerkschaftsbund

26.07.2023

Der Weg zur treibhausgasneutralen Verwaltung

Die Vorbildfunktion der öffentlichen Hand im Klimaschutz

von Dr. Burkhard Huckestein, Umweltbundesamt

Das Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) schreibt ambitionierte Ziele zum Klimaschutz vor: Bis 2030 sollen die Emissionen an Treibhausgasen (THG) in Deutschland im Vergleich zu 1990 um mindestens 65 Prozent und bis 2040 um mindestens 88 Prozent gemindert werden, bis 2045 sollen Netto-Treibhausgasneutralität und nach 2050 negative Treibhausgasemissionen erreicht werden. Gleichzeitig weist das KSG der öffentlichen Hand eine Vorbildfunktion zu. Nach § 13 (1) KSG haben die Träger öffentlicher Aufgaben bei ihren Planungen und Entscheidungen die genannten Klimaschutzziele zu berücksichtigen. Für die Bundesverwaltung wird diese Vorbildfunktion in § 15 (1) KSG konkretisiert. Darin setzt sich der Bund das Ziel, die Bundesverwaltung bis zum Jahr 2030 klimaneutral zu organisieren.

Pyramide aus 5 Holzklötzen mit Klimasymbolen (z.B. Symbol für Recycling). Der oberste Klotz der Pyramide, auf dem "Net Zero" steht, wird von zwei Fingern gehalten. Die Holzklötze stehen auf erdigen Untergrund. Der Hintergrund ist grün.

DGB/Sakorn Sukkasemsakorn/iStock

Klimaneutralität - Begriffe und Abgrenzungen

Der Intergovernmental Panel of Climate Change (IPCC) definiert Klimaneutralität als einen Zustand, in dem menschliche Aktivitäten keinen Netto-Effekt auf das Klimasystem haben. Dies schließt grundsätzlich alle vom Menschen verursachten Auswirkungen ein, einschließlich lokal wirksamer Änderungen der Landnutzung und der Albedo-Wirkung von Flächen. Wegen der schwierigen Erfassung mancher Auswirkungen wird Klimaneutralität oft auf die THG-Neutralität beschränkt. Das ist ein Zustand, in dem die vom Menschen verursachten Emissionen von THG durch deren Entnahme – z. B. durch Wälder, Pflanzen und Böden – ausgeglichen werden. Auf globaler Ebene und für Staaten wird dieser Zustand auch als „netto-null“ (net zero) bezeichnet. Für Staaten, Regionen und Kommunen werden dabei alle (direkten) THG-Emissionen und Entnahmen auf ihrem jeweiligen Gebiet gegenübergestellt (Territorialprinzip). Wird das Konzept der THG-Neutralität auf Unternehmen und Verwaltungen übertragen, werden die THG-Emissionen nicht nach dem Territorialprinzip, sondern nach dem Wertschöpfungskettenprinzip ermittelt. Neben den direkten Emissionen aus dem Verbrennen von Brenn- und Kraftstoffen werden dabei auch die indirekten THG-Emissionen aus vor- und nachgelagerten Prozessen einbezogen. Für Verwaltungen sind dies vor allem die Emissionen aus dem Bezug von Strom und Wärme, den Dienstreisen und Arbeitswegen der Beschäftigten sowie dem Einkauf und der Auftragsvergabe.

Trotz starker Überschneidungen ist für Organisationen THG-Neutralität nicht dasselbe wie netto-null. Während THG-Neutralität sich auch auf Produkte beziehen kann und die Kompensation, d. h. den Ausgleich der THG-Emissionen durch den Kauf von CO2-Zertifikaten, explizit einschließt, bezieht sich „netto-null“ nur auf Organisationen und berücksichtigt im Falle der Kompensation ausschließlich sogenannte „removal credits“, d. h. Zertifikate aus Klimaschutzprojekten, die der Atmosphäre CO2 entnehmen. Gerade solche Projekte sind aus Umweltsicht aber durchaus kritisch zu bewerten, da sie häufig Konflikte mit der Biodiversität oder Risiken für andere Umweltgüter hervorrufen.

Dr. Burkhard Huckestein

Dr. Burkhard Huckestein, Umweltbundesamt Dr. Burkhard Huckestein

Gründe für die treibhausgasneutrale Verwaltung

Der Staat hat im Klimaschutz vor allem eine Gestaltungs- und Vollzugsfunktion: Er muss den institutionellen und rechtlichen Rahmen gestalten und durchsetzen, um seine klimapolitischen Ziele zu erreichen. Daneben hat er aber auch eine Vorbildfunktion, die ganz praktische und konkrete Dimensionen hat: Indem der Staat in seiner Verwaltung Gebäude nutzt, Fahrzeuge, Anlagen und Geräte betreibt, Dienstreisen durchführt, Produkte beschafft, Aufträge vergibt, Veranstaltungen durchführt oder Menschen zu seinen Standorten kommen lässt und vieles mehr, verursacht er selbst THG-Emissionen. Wie die Verwaltung mit diesen Aspekten umgeht, beeinflusst nicht nur ihre Klimawirkungen, sondern prägt auch die Glaubwürdigkeit, Akzeptanz und Wirksamkeit der Klimapolitik insgesamt. 

Mit der Vorbildfunktion begibt sich der Staat auf Augenhöhe mit seinen Bürgerinnen und Bürgern und übernimmt deren Perspektive, nämlich die des von hoheitlichen Vorgaben betroffenen Akteurs. Die Bereitschaft zu klimafreundlichem Verhalten ist in der Verwaltung nicht unbedingt größer als außerhalb. Nicht alle Beschäftigten freuen sich, wenn aus Gründen des Klimaschutzes Gewohnheiten in Frage gestellt und neue Routinen und Abläufe etabliert werden. Mehr Arbeit im Homeoffice und das Ersetzen von Dienstreisen durch Videokonferenzen mögen noch begrüßt werden. Ausschließlich kaltes Wasser auf den Toiletten, Etagendrucker statt Bürodrucker oder weniger Fleischgerichte in den Kantinen werden manche bereits als Einschränkung erleben, lange Bahnfahrten statt Flugzeugnutzung, die Abkehr vom personengebundenen Büro oder das Absenken der Raumtemperatur vielleicht sogar schon als Zumutung.

Im Umgang mit konkreten Klimaschutzmaßnahmen kann der Staat in seiner Verwaltung ein praktisches und sehr konkretes Verständnis für die vielfältigen Hemmnisse und Schwierigkeiten entwickeln. Aber auch für die Möglichkeiten und Lösungen sowie für deren Erfolgsbedingungen. Für die Gestaltung und den Vollzug der Klimapolitik können das daraus entstehende Erfahrungswissen und die Problemlösungskompetenz sehr wertvoll sein, vorausgesetzt der Austausch und die Kommunikation zwischen den Entscheidungsträgern und den Betroffenen in der Verwaltung funktionieren.

Der Staat als Vorbild für die Wirtschaft

In den letzten Jahren haben sich zahlreiche Unternehmensinitiativen zur Klima- oder THG-Neutralität gebildet, die sich in ihren Ambitionen, Begriffen und Methoden teilweise deutlich unterscheiden. Gemeinsam sind diesen in der Regel drei Schritte: Bilanzieren, Reduzieren, Kompensieren. Im ersten Schritt ermittelt ein Unternehmen seine THG-Emissionen, im zweiten beschließt es Ziele und Maßnahmen und im dritten gleicht es die verbleibenden Emissionen durch den Kauf von CO2-Zertifikaten aus. Alle drei Schritte bieten viele Möglichkeiten zur Grünfärberei, z. B. durch unvollständige Bilanzierung, wenig ambitionierte Reduzierung oder die Kompensation durch minderwertige Zertifikate. Dadurch ist der Ansatz der THG-Neutralität in Verruf und unter den Generalverdacht der Grünfärberei geraten.

Voraussichtlich Ende 2023 wird eine internationale Norm zur THG-Neutralität – die ISO 14068 – erscheinen, die überprüfbare Anforderungen an THG-neutrale Organisationen und Produkte definiert. Neben der Bilanzierung, Reduzierung und Kompensation umfasst diese Norm auch Anforderungen an die Berichterstattung und Kommunikation. Ob damit Grünfärberei wirksam verhindert wird, ist unsicher. Der Staat wird sicherlich ergänzende rechtliche Regelungen beschließen müssen, um die Transformation der Wirtschaft im Hinblick auf die klimapolitischen Ziele und THG-Neutralität zu unterstützen. Dabei können ihm die in seiner eigenen Verwaltung gemachten Erfahrungen helfen, wissenschaftlich fundierte, klimapolitisch wirksame und praktisch erprobte Anforderungen an die THG-Neutralität zu etablieren, die eine hohe Glaubwürdigkeit und Akzeptanz haben. Ob die Bundesverwaltung das in § 15 (1) KSG festgeschriebene Ziel auf vorbildliche Weise erreicht, wird hierbei eine wichtige Rolle spielen.

Anmerkung: Der Beitrag gibt die persönliche Auffassung des Autors wieder, die nicht mit der des Umweltbundesamtes übereinstimmen muss.


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