Deutscher Gewerkschaftsbund

06.11.2023
DGB-Tariffluchtbilanz 2023

Verluste in Milliardenhöhe: Tarifflucht und Lohndumping verursachen enormen finanziellen Schaden!

Neue DGB-Analyse: Tarifflucht ist für die Allgemeinheit teuer

Weniger Steuereinnahmen, weniger Zahlungen in die Sozialversicherung, weniger Kaufkraft: Durch Tarifflucht und Lohndumping entgehen Deutschland jedes Jahr Beiträge in Milliardenhöhe. Rechnet man alle Kosten zusammen, beträgt dieser finanzielle Schaden insgesamt 130 Milliarden Euro.

Infografik: Ikon eines Arbeitgebers mit Aktentasche

DGB

Teure Tarifflucht für die Allgemeinheit

Menschen ohne Tarifvertrag haben geringere Gehälter. Geringere Einkommen bedeuten gleichzeitig immer weniger Einzahlungen in die Sozialversicherungen – also geringere Einnahmen bei der Arbeitslosen-, Renten- und Krankenversicherung. Auch die Steuereinnahmen durch die Einkommensteuer fallen geringer aus. Mit unserer Tarifflucht-Bilanz haben wir diese Kosten der Tarifflucht berechnet.

Durch Tarifflucht und Lohndumping entgehen den Sozialversicherungen in Deutschland jährlich rund 43 Milliarden Euro an Beiträgen. Bund, Länder und Kommunen nehmen aus demselben Grund circa 27 Milliarden Euro weniger Einkommensteuer ein. Die mangelnde Tarifbindung wirkt sich darüber hinaus unmittelbar auf die Kaufkraft der arbeitenden Bevölkerung aus: Mit einer flächendeckenden Tarifbindung hätten die Beschäftigten insgesamt rund 60 Milliarden Euro mehr pro Jahr im Portemonnaie.

Kosten der Tarifflucht 

Gesamtdeutschland
  Auswertung 2023

Mindereinnahmen der Sozialversicherungen

43,1 Milliarden Euro

Mindereinnahmen Verlust bei der Einkommensteuer für Bund, Land und Kommunen insgesamt

27,1 Milliarden Euro

Kaufkraftgewinn, wenn Beschäftigte tarifgebunden wären

60,1 Milliarden Euro

Betrachtet über ganz Deutschland und über alle Branchen hinweg bedeutet das unter dem Strich, dass Beschäftigte, die keinen Tarifvertrag haben, jährlich 3.022 Euro netto weniger haben als Tarifbeschäftigte.

Addiert man alle Kosten zusammen, also die Mindereinnahmen bei den Sozialversicherungen, dem Fiskus und im Geldbeutel der Beschäftigten, ergibt sich ein Schaden von 130 Milliarden Euro pro Jahr. Die gesamten Kosten der Tarifflucht summieren sich im Osten auf mehr als 31 Milliarden Euro und im Westen auf 99 Milliarden Euro.

Ostdeutschland (inkl. Berlin)
  Auswertung 2023

Mindereinnahmen der Sozialversicherungen

10,3 Milliarden Euro

Mindereinnahmen Verlust bei der Einkommensteuer für Bund, Land und Kommunen insgesamt

6,4 Milliarden Euro

Kaufkraftgewinn, wenn Beschäftigte tarifgebunden wären

14,4 Milliarden Euro

Den Beschäftigten im Osten entgehen jährlich über 14 Milliarden Euro netto an Kaufkraft. Pro Arbeitnehmer*in, die/der nicht zu einem Tarifvertrag arbeitet, macht dies ein jährliches Netto-Minus von 3.915 Euro aus.

Westdeutschland
  Auswertung 2023

Mindereinnahmen der Sozialversicherungen

32,8 Milliarden Euro

Mindereinnahmen Verlust bei der Einkommensteuer für Bund, Land und Kommunen insgesamt

20,6 Milliarden Euro

Kaufkraftgewinn, wenn Beschäftigte tarifgebunden wären

45,7 Milliarden Euro

Im Westen summiert sich der Nettoverlust gesamtwirtschaftlich auf knapp 46 Milliarden Euro. Ohne Tarifschutz hat ein Beschäftigter oder eine Beschäftigte im Westen 2.819 Euro weniger in der Tasche.


Quelle: Eigene Berechnungen DGB auf Basis Verdiensterhebung (VE) des Statistischen Bundesamtes, Stand April 2022.

Portrait Stefan Körzell

DGB/Simone M. Neumann

"Mit einer flächendeckenden Tarifbindung hätten die Beschäftigten insgesamt rund 60 Milliarden Euro mehr pro Jahr im Portemonnaie."
DGB-Vorstand Stefan Körzell

Die Politik muss endlich handeln!

Für uns ist klar: Diese Entwicklung wollen und dürfen wir nicht länger hinnehmen, wenn wir unser Sozial- und Wirtschaftsmodell erhalten wollen. Wir brauchen mehr Tarifverträge in der Fläche, im Unternehmen und im Betrieb.

Die Bundesregierung hat sich für die laufende Legislatur in ihrem Koalitionsvertrag verpflichtet, für mehr Tarifbindung und Tarifanwendung zu sorgen:

  • mit einem Bundestariftreuegesetz, nach dem öffentliche Aufträge nur noch an Unternehmen vergeben werden sollen, die Tarifverträge anwenden,
  • mit neuen Regeln für die Fortgeltung von Tarifverträgen bei Betriebsausgliederungen und
  • durch ein digitales Zugangsrecht für Gewerkschaften in die Betriebe.

Diese Punkte müssen jetzt endlich auch auf den Weg gebracht werden. Aber sie allein werden nicht reichen!

Zusätzlich zu den bisherigen Plänen der Bundesregierung brauchen wir weitere gesetzliche Regelungen – beispielsweise um Tarifverträge besser für alle Unternehmen allgemeinverbindlich zu machen. Zudem muss das Engagement von Gewerkschaftsmitgliedern auch steuerlich honoriert werden. Ebenso müssen sogenannte "Ohne-Tarif-Mitgliedschaften" von Unternehmen in Arbeitgeberverbänden endlich abgeschafft werden.

Die neue EU-Mindestlohn-Richtlinie sieht vor, dass Mitgliedsstaaten, in denen die Tarifbindung unter 80 Prozent liegt, nationale Aktionspläne zur Stärkung der Tarifbindung vorlegen müssen. Die Bundesregierung hat ab jetzt noch genau ein Jahr Zeit, diese Richtlinie in deutsches Recht umzusetzen. Es wird also höchste Zeit für einen Aktionsplan zur Stärkung der Tarifbindung.


Informationen zu Hintergründen und Berechnungen:

Was ist Ziel und Hintergrund der Auswertung?

Mangelnde Tarifbindung kommt die Allgemeinheit teuer zu stehen! Tarifbeschäftigte haben höhere Einkommen als Nichttarifbeschäftigte. Geringere Einkommen bedeuten zugleich weniger Einzahlungen in die Sozialversicherungen (Arbeitslosen-, Renten-, Krankenversicherung), weniger Steuereinnahmen (Einkommensteuer) und weniger Netto bei den Beschäftigten. Wir haben berechnet, wie hoch diese Kosten sind.

Auf welcher Datenbasis?

Für die aktuelle Auswertung haben wir exklusives Datenmaterial der Verdiensterhebung (VE) des Statistischen Bundesamtes erhalten. Die Daten zeigen die Anzahl der nach Tarif bezahlten und nicht nach Tarif bezahlten Beschäftigten und deren Verdienste, sowohl bei Vollzeit- als auch Teilzeitbeschäftigung, pro Bundesland. Das zugrundliegende Datenmaterial wurde als Sonderauswertung nur dem DGB zur Verfügung gestellt. Referenzzeitpunkt der Datenerhebung ist April 2022. Die eigentlichen Berechnungen erfolgten dann durch den DGB.

Welche Grundannahmen wurden getroffen?

Wir untersuchen, wie hoch die Mehreinnahmen bei Einkommensteuern und Sozialabgaben bei einer "100 Prozent Tarifbindung" ausfallen würden. Dabei gehen wir davon aus, dass durchschnittlich nicht tarifgebundene Beschäftigte den/das gleichen Lohn/Gehalt erhalten (würden) wie die durchschnittlich tarifgebundenen Beschäftigten (differenziert nach Voll- und Teilzeit und im jeweiligen Bundesland).

Berechnungsweg

Um den Vergleich zum Status quo herstellen zu können, haben wir mithilfe eines Steuerrechners berechnet, wie hoch die individuellen Beiträge einerseits der tarifgebundenen und andererseits der nicht tarifgebundenen Beschäftigten zu den Sozialversicherungen und zur Einkommensteuer sind und wie hoch der Nettolohn ist.

Die Ergebnisse wurden dann über alle Beschäftigten addiert. Unter Annahme, dass alle Beschäftigten nach Tarif bezahlt werden, wurden dann die gesamten Sozialversicherungseinzahlungen, Steuereinnahmen und das Gesamt-Netto berechnet und mit der vorherigen Situation verglichen.

Weitere Annahmen

Bei der Berechnung der Mehreinnahmen bei Einkommensteuer und Sozialversicherung wurde berücksichtigt, wie sich die Beschäftigten nach der Einkommensteuerstatistik auf die jeweiligen Steuerklassen (I-V) verteilen, um möglichst realistische Zahlen zu gewinnen: etwa 51 Prozent in Steuerklasse 1, 2 Prozent in Steuerklasse 2, 23 Prozent in Steuerklasse 3, 15 Prozent in Steuerklasse 4, 9 Prozent in Steuerklasse 5 (gemäß der Steuerklassenverteilung, Quelle: BMF).

Zusätzliche Annahmen:

1 Kinderfreibetrag, keine Kirchensteuer, ohne geringfügige Beschäftigung


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Der DGB-Steuerrechner

DGB
Wieviel Netto bleibt vom Brutto? Wie hoch sind die Steuern und Abgaben? Was kann eine gerechte Lohnsteuerreform bewirken? Der DGB-Steuerrechner zeigt auf einen Blick, wieviel mehr Netto vom Brutto mit den DGB-Steuervorschlägen für Ihren Haushalt am Jahresende übrig bleiben würde.
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Lohn- und Gehaltscheck

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DGB/Vladyslav Starozhylov/123RF.com
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Stellungnahmen

Reichstag Berlin
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Hier finden Sie die Stellungnahmen und Positionen der Abteilung Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB).
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Die Abteilung Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik

Globus und Geldmünzen

DGB/hqrloveq/123rf.com

Gewerkschaftliche Wirtschaftspolitik stellt sich der Frage, wie der gesellschaftliche Reichtum gesteigert und zum Wohl der arbeitenden Bevölkerung verteilt werden kann. Uns geht es darum, den Zuwachs an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit für höhere Löhne, weniger Arbeitszeit und mehr Sozialstaat zu nutzen. Dies erfordert ein produktives Zusammenwirken von Staat und Markt. Märkte können schöpferisch sein und den gesellschaftlichen Wohlstand mehren. Märkte sind jedoch sozial und ökologisch blind. Die jüngste Finanz- und Wirtschaftskrise hat das destruktive Potenzial unregulierter Märkte eindrucksvoll offengelegt. Deswegen bedarf es staatlicher Regulierung, Verteilungs-, Wirtschafts-, Sozial-, sowie Industrie- und Dienstleistungspolitik, um die Marktkräfte zu zivilisieren. Die Abteilung Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik entwickelt und popularisiert wirtschaftspolitische Strategien und Instrumente, die diesen Zielen dienen.

Kontakt

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Bundesvorstand
Abteilung Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik
Keithstraße 1
10787 Berlin

E-Mail: info.wirtschaftspolitik.bvv@dgb.de

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Telefon +49 30 24060-727


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Telefon +49 30 24060-107

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Abteilungsleiter Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik


Dr. Dominika Biegoń
Europäische und internationale Wirtschaftspolitik


Nora Rohde
OECD/TUAC
Öffentliche Daseinsvorsorge
Handelspolitik

Raoul Didier
Steuerpolitik


Dr. Robby Riedel
Tarifpolitische Koordinierung und Mindestlohn

 

Dr. Inga Jensen
Wohnungs- und Verbraucher*innenpolitik

 
Friederike Posselt
Tarifkoordination
 
Tarifkoordination
 
Henriette Neumann
Allgemeine Wirtschaftspolitik Marktregulierung und Verteilungspolitik