Nach jahrelangen Verhandlungen hat das Europäische Parlament am Dienstag abschließend einer Reform der EU-Fiskalregeln zugestimmt. Was wie ein Thema für Experten klingt, hat es in sich: Es wird die Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten in den nächsten Jahren entscheidend prägen. Aus gewerkschaftlicher Perspektive stellt die Reform eine verpasste Chance dar. Die Reform hätte eine Wende einleiten können, hin zu einer sozial und ökologisch nachhaltigeren Wirtschaftspolitik. Leider konnten sich die EU-Institutionen nicht auf eine zukunftsfeste Reform einigen.
Das Gesetzespaket ist in vielen Punkten kritikwürdig: Die Reform wird in einer Vielzahl von Mitgliedstaaten zu einer Sparpolitik führen. Neue Berechnungen der Europäischen Kommission zeigen, wie restriktiv die neuen Regeln sind. Mitgliedstaaten mit hohen Schuldenständen wie Italien, Belgien, Spanien und Frankreich werden Kürzungen in ihren Staatshaushalten in Höhe von 0,6 - 1 Prozent des BIPs jährlich vornehmen müssen. Eine solche Sparpolitik ist nicht nur unsozial, sie wird die ohnehin schon schwierige konjunkturelle Lage in der EU noch weiter verschärfen.
Darüber hinaus bietet die Reform keine angemessene Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft. Der sozialökologische Umbau unserer Wirtschaft erfordert eine deutliche Ausweitung von Investitionen in Höhe von 2 – 6 Prozent des BIPs jährlich. Die Investitionsbedarfe in verschiedenen Sektoren sind wissenschaftlich gut belegt. Unklar ist, wie diese Investitionen finanziert werden sollen. Nach der Reform bleiben den Mitgliedstaaten weiterhin die Hände gebunden.
Schließlich enthält die Reform keine Maßnahmen zur Stärkung des Demokratieprinzips in der wirtschaftspolitischen Koordinierung. Gute Vorschläge zur Stärkung der Rolle nationaler Parlamente, des Europäischen Parlaments und der organisierten Zivilgesellschaft, sind im finalen Kompromiss leider nicht aufgenommen worden.
Angesichts der Tatsache, dass in naher Zukunft keine politische Mehrheit für eine progressive Reform der EU-Fiskalregeln absehbar war, ist es gut, dass die EU-Institutionen nun Klarheit geschaffen haben. Immerhin enthält das Gesetzespaket kleine Verbesserungen im Vergleich zu den alten Regeln, die sonst wieder angewendet worden wären.
Für die Gewerkschaften ist klar, dass wir uns weiter für eine progressive Reform der EU-Fiskalpolitik einsetzen werden. Der Fokus richtet sich nun zum einen auf technische Änderungen, etwa an der Schuldentragfähigkeitsanalyse, die zum Dreh- und Angelunkt des neuen Regelwerks geworden ist. Eine weitere Baustelle bleibt die soziale Dimension. Die sozialen Folgen fiskalpolitischer Entscheidungen müssen stärker berücksichtigt und soziale Ziele der EU wie eine Stärkung der Tarifbindung, Gute Arbeit, Verringerung von Ar-mut und bessere Weiterbildungs-möglichkeiten müssen stärker in den Mittelpunkt der wirtschaftspolitischen Koordinierung rücken.
Vor allem ist es aber wichtig, dass nach der EU-Wahl endlich eine Antwort gefunden wird auf eine der drängendsten Fragen des Green Deals, nämlich diejenige der Finanzierung. Was wir brauchen, ist ein europäisches Instrument zur Finanzierung von Zukunftsinvestitionen. Ein EU-Zukunftsfonds zur Finanzierung des sozialökologischen Umbaus ist notwendig, um die Handlungsfähigkeit der EU in der Transformation zu stärken und die Einheit und Wettbewerbsfähigkeit des Binnenmarktes sicher-zustellen.
DGB/hqrloveq/123rf.com
Gewerkschaftliche Wirtschaftspolitik stellt sich der Frage, wie der gesellschaftliche Reichtum gesteigert und zum Wohl der arbeitenden Bevölkerung verteilt werden kann. Uns geht es darum, den Zuwachs an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit für höhere Löhne, weniger Arbeitszeit und mehr Sozialstaat zu nutzen. Dies erfordert ein produktives Zusammenwirken von Staat und Markt. Märkte können schöpferisch sein und den gesellschaftlichen Wohlstand mehren. Märkte sind jedoch sozial und ökologisch blind. Die jüngste Finanz- und Wirtschaftskrise hat das destruktive Potenzial unregulierter Märkte eindrucksvoll offengelegt. Deswegen bedarf es staatlicher Regulierung, Verteilungs-, Wirtschafts-, Sozial-, sowie Industrie- und Dienstleistungspolitik, um die Marktkräfte zu zivilisieren. Die Abteilung Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik entwickelt und popularisiert wirtschaftspolitische Strategien und Instrumente, die diesen Zielen dienen.
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